»Das beste Training ist das Spiel«
Der Verein hat kürzlich seinen Vertrag bis 2018 verlängert und auch der deutsche Handball-Bund (DHB) ist an einer Zusammenarbeit interessiert. Seine Schützlinge vertrauen ihm, profitieren von seinem Erfahrungsschatz, den er nur allzu gerne weitergibt. Die Rede ist von Jasmin »Jasko« Camdzic, dem Torwart-Trainer der Grün-Weißen. Mit Benjamin Buric hat der Bosnier nach Andreas Wolff das nächste Juwel an die Lahn gelockt. Youngster Till Klimpke steht in der A-Jugend in den Startlöchern. Im Gespräch erläutert uns Jamsin Camdzic seine Philosophie in der Arbeit mit dem Torhüter.
Wie war das damals?
Er war 18 Jahre alt, ein ganz junger Torwart. Ich hatte dann 2013/2014 die Gelegenheit, viel mit ihm zu trainieren, ihn besser kennenzulernen als Typ. Da habe ich mir gesagt: Das ist einer, der auf jeden Fall Bundesliga-Potenzial hat. Ich habe sofort mit ihm gesprochen, ihm ein paar Tipps gegeben, was er in seinem Verein erarbeiten soll, um in der Bundesliga eine gute Basis zu haben. Ich habe seine Spiele in Slowenien verfolgt und dann kam die Situation, die wir hier in Wetzlar befürchtet haben. Andreas Wolff wollte uns verlassen und wir brauchten einen neuen Torwart. Der musste natürlich Qualität haben und ich wusste, dass ›Benko‹ Qualität hat. Aber es wusste keiner, dass er das in der kurzen Zeit, in dieser Qualität, abrufen kann. Es hat mit ›Benko‹ alles so geklappt, wie wir uns das vorgestellt haben. Das war auch für mich persönlich wichtig, weil es die Vertrauensbasis zwischen Trainer uns Spieler stärkt. Beim Spiel sehen wir – wo war die Schwäche, wo war die Stärke. Das ist, was man erkennen muss. Im Zusammenhang mit der Mannschaftstaktik, nicht nur das individuelle Torwartspiel. Da ist am einfachsten zu analysieren – was war gut, was war schlecht. Die gehaltenen Bälle kann jeder sehen. Es geht um die Mannschaft, die Absprache mit dem Block zum Beispiel. Das sind die wichtigsten Erkenntnisse aus einem Spiel. Wenn du die hast, kannst du mit Besprechung und Videoanalyse praktisch daran arbeiten. Wenn du für den Torhüter Klarheit hast, dann ist er mental stark. Wenn etwas unklar ist, gibt es immer Gesprächsstoff, dann ist er mental instabil. Er muss sich gut fühlen, mit seinem Block, mit seinen Mitspielern, was sie abgesprochen haben. Wenn sie mental stark sind, hast du eine gute Basis für eine gute Leistung. Das machst du während der Woche, neben den Übungen. Wir bekommen auch ein-, zweimal während des Trainings zehn, 15 Minuten für das Torwarttraining mit der Mannschaft. Das ist wichtig und keine Selbstverständlichkeit, aber wir haben dadurch gute Ergebnisse. Das ist wichtig für das Torhüterspiel. Wenn ich merke, dass mein Torhüter auf das Spiel nicht gut vorbereitet war, bekommen die auch Hausaufgaben. Sie sollen sich Videosequenzen anschauen, wohin die einzelnen Spieler am liebsten schießen, im Zusammenhang mit der Spielsituation, mit welchem Zeitdruck, in welcher Spielminute, mit welchem Ergebnisdruck. Wir schauen uns das dann gemeinsam an. Ich mische mich nicht ein in die Wurfvorbereitung, in die Wurfbilder, das sehen die genauso wie ich. Aber wenn ich merke, sie werden nachlässig, muss er mir zeigen, was er erarbeitet hat. Durch diese Selbständigkeit bleiben sie mental stabil. Es kommt darauf an, welche Spiele der Torhüter absolviert hat. Hatte er drei gute oder schlechte Spiele hintereinander, das ist das entscheidende. Ich persönlich versuche immer positiv zu reden, aber es kommt schon mal vor, dass wir anderer Meinung sind über Fehler des Torhüters oder Situationen im Spiel. Wenn es gut läuft, rede ich mehr mit den Spielern, das ist gut für die persönliche Entwicklung, da kann man viele Sachen ansprechen, kann neue Impulse geben. Wenn es aber mehr Situationen gab, mit denen ich nicht zufrieden war, mehr Diskussionsstoff, dann gibt es bei mir mehr Übungen. Ich halte bei schlechten Leistungen nicht viel davon, jemanden mit Worten aufzubauen, sondern mehr mit Übungen, mit Praxis. Er soll die Fehler einfach vergessen, es richtig machen. Bei den Übungen redet man am besten darüber, wie man es richtig macht. Wie man die eine oder andere Situation besser löst. Es gibt genug Leute, die einen gehaltenen Ball feiern, aber es war nur ein Ball. Es geht um kleine Korrekturen, Torhüter brauchen ein Feedback von einer Vertrauensperson. Warum ist der Ball rein? Zum Beispiel der Dreher von außen. In Melsungen ist ›Benko‹ nur mit Beinen und Armen in den Ball gegangen, aber nicht mit dem ganzen Körper. Gegen Sellin hätte er mehr Bälle gehalten, wenn er mit dem ganzen Körper hingegangen wäre. Bein und Arm wollten hin, aber es fehlte der Rest der Körperfläche. Solche Sachen. Dafür musst du deinen Athleten kennenlernen. Um zu sagen, du warst zu klein, mach dich groß. Wenn du schon zwei Meter nach vorne gehst, musst du groß bleiben. Oder wenn ein Wurf von sechs Metern kommt und er hat es nicht geschafft, offensiv zu sein, das musst du ihm sagen. Beim nächsten Mal musst du raus und es ist alles in Ordnung. Dabei immer positiv bleiben. Meistens geht es um den nächsten Schritt. Das ist auch mental wichtig für die Torhüter, dass Leute, denen sie vertrauen, ein Feedback geben. Manchmal kritisiert er sich auch selbst. Dann sage ich: Nein, es war ein guter Wurf, wir können nicht alles halten. Manchmal denkt er zu negativ, dann musst du ihn in die positive Schiene bringen. Alles andere ist bereits vorbereitet. Nur wenn neue Situationen entstehen, muss ich ihn mal in die richtige Richtung bringen. Oder wir haben etwas mit der Abwehr vorbereitet, aber es funktioniert nicht. Dann sage ich ihm, dass er sich an sich selbst orientieren soll, nicht am Block. Diese Freiheit hat er. Unter dieser Voraussetzung, eine gute Persönlichkeit zu sein, stehen all die anderen Punkte für mich. Die Persönlichkeit für die Bundesliga ist zielorientiert und bereit, tagtäglich alles für das Ziel Bundesliga zu geben. Und ich will nicht in der Bundesliga bestehen, mein Ziel ist es, den besten Torhüter der Bundesliga zu haben. Dafür arbeiten wir bei der HSG hart und haben einen Trainer, der uns im Torhüterbereich sehr unterstützt. Du kannst jeden Trainer, ob in der Oberliga oder sonstwo danach fragen: Wie wichtig ist der Torhüter? Jeder wird dir sagen: Sehr wichtig, zum Beispiel 80 Prozent. Dann kommt die nächste Frage: Wie viel Zeit verwendest du für die Torhüter? Ganz selten kommt dann derselbe Prozentsatz. Du kannst aber keine 80 Prozent erwarten, wenn du als Cheftrainer nur fünf Prozent investierst. Das hat Kai Wandschneider verstanden und gibt mir freie Hand und viel Zeit. Das macht viel Freude, weil du richtig mit diesen Jungs, die sehr wichtig sind, arbeiten kannst. Wir haben das auch unseren Feldspielern beigebracht und die arbeiten dann im Training auch konzentriert für die Torhüter. Damit sind die Voraussetzungen geschaffen, der Beste zu sein. Dafür brauchst du Persönlichkeit. Dann hast du die Qualität, mentale Stärke, Stabilität und Bereitschaft, alles zu geben, besser zu sein, sich zu quälen, um sich weiter und weiter zu verbessern. Wenn ein Teil Persönlichkeit dafür fehlt, ist alles Mittelmaß, dann bleibst du irgendwann auf der Strecke. Um höchste Leistung zu bringen, brauchst du meiner Meinung nach Persönlichkeit. Talent ist eine Voraussetzung von mehreren. Mein großer Wunsch als Torwarttrainer der HSG Wetzlar in Bezug auf Till Klimpke ist: Ich wäre glücklich, ihn eines Tages mit Andreas Wolff gemeinsam im Nationalteam zu sehen. Das wäre für alle Beteiligten die Bestätigung für die gute Arbeit. Das wäre ein Traum, der mich glücklich machen würde. Till besitzt die Persönlichkeit dafür. Daniela Pieth