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Altmodisch? Überaltert? Kneipensport?

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(mn) Die Mitgliederzahlen sinken. Eine Viertelmillion Menschen waren noch zur Jahrtausendwende im Kegler- und Bowling-Bund organisiert; heute sind es nur noch etwa 80 000 Sportler. Altmodisch, überaltert, Kneipensport – Klischees, mit denen auch die Klubs konfrontiert werden. Die WZ-Redaktion spricht mit drei Wetterauer Vereinen.

Stadthalle Friedberg, ein Mittwochabend, 19 Uhr: Im Kellergeschoss, auf der SechsBahnen-Anlage, ist es ruhig. Ruhiger als in all den Jahren zuvor. Vier, fünf Kegler schieben ihre Kugeln. »Früher«, sagt Wolfgang Kaes, »da war hier alles voll. Aber heute . . .« Der 74-Jährige sitzt als Vorsitzender vom Verein Friedberger Kegler mit der WZ-Redaktion am Tisch; mit dabei sind Michael Rosenauer, der Vorsitzende der KSG Florstadt, sowie Thorsten und Armin Fritzel vom Vorstand des KV Bad Nauheim; vier Funktionäre aus drei Vereinen, die exemplarisch für die Wetterauer Kegler-Szene stehen sollen. Friedberg, das Aushängeschild mit der Zweitliga-Mannschaft, Florstadt, wo die Jugendarbeit eine zentrale wie erfolgreiche Rolle spielt, und Bad Nauheim, der Verein, der vor mittlerweile schon zehn Jahren seine Räumlichkeiten verlassen musste und in Ober-Wöllstadt ein neues Zuhause gefunden hat. Kaes, Rosenauer und das Vater-Sohn-Gespann Fritzel stehen für rund 100 Jahre aktiven Kegelsport und fast ebenso lange Funktionärsarbeit.

Und sie alle eint die Frage: Sind Mitgliederschwund und Vereinssterben noch aufzuhalten? Welche Perspektiven hat der Sport, dem noch immer irgendwie Kneipen- und Senioren-Image anhängen, und dem das Spiel mit den Bowling-Kugeln im Freizeit- und Breitensport längst den Rang abgelaufen hat?

Der Nachwuchs fehlt

»Hobby- und Freizeitkegler gibt es bei uns nicht mehr«, erinnert Kaes wehmütig an längst vergangene Zeiten, in denen kaum eine freie Stunde auf den Bahnen zu buchen war. Mitte der 80er Jahre waren 185 Kegler in 18 Friedberger Klubs organisiert, heute nimmt nur noch ein Kreisstadt-Klub, die SG Friedberg/Dorheim, am Spielbetrieb teil. Drei Mannschaften rekrutieren sich aus den verbliebenen 33 Aktiven (dazukommen acht Passive). Die Herren haben sich in der 2. Bundesliga etabliert, sind der Stolz des Klubs. Dennoch: »Im Grunde haben wir davon gar nichts. Kein auswärtiger Kegler schließt sich uns deshalb an und hat das Interesse, sich mit den guten Spielern zu messen. Da will jeder für sich bleiben«, hat Kaes festgestellt. Hobby- und Freizeitkegler machen einen Bogen um die Stadthalle. Die Nachwuchsarbeit ist vor gut zehn Jahren eingeschlafen (»Die Jugendlichen haben andere Interessen.

Auch gibt es immer weniger Eltern, die ihre Kinder mitbringen«). Die Probleme seien vielschichtig, weiß Kaes, der 1990 die Fusion der Vereine Gut Wurf und Alle Neun begleitet hat und später auch den Zusammenschluss mit dem KV Dorheim. In der Altersstruktur erkennt er Probleme, auch sportliche (»Die Älteren ziehen sich zurück, junge Kegler kommen nicht nach.«). Dazukommen Hemmschwellen bei den administrativen Aufgaben (»Für die Vorstandsarbeit muss man mit allen Kommunikationskanälen umgehen können. Das trauen sich viele ältere Mitglieder nicht zu.«); ebenso im Zeitaufwand für den Wettkampf. Fünf bis sechs Stunden könne man bereits bei einem Heimspiel über 200 Wurf einplanen. »Welcher junge Erwachsene nimmt das denn heute noch auf sich?«, fragt er resigniert.

Ein düsteres Bild zeichnet Thorsten Fritzel vom KV Bad Nauheim. Vor zehn Jahren musste die sportliche Heimat an der Solgraben-Schule einer Mensa weichen. Über den Umweg Karben und Wohnbach sind die Kegler in Wöllstadt untergekommen. Von einem »blühenden Verein« spricht Fritzel rückblickend angesichts von einst 175 Mitgliedern. Heute lassen sich mit zwölf Aktiven unter 45 Mitgliedern gerade noch soeben zwei C-Liga-Mannschaften auf die Beine stellen. »Bewegungstherapie«, sagt Fritzel selbstironisch. »Der Verein wird sterben. Vielleicht in zwei Jahren, vielleicht in fünf Jahren«, weiß er um die Perspektivlosigkeit angesichts des fehlenden Nachwuchses. »Die Eltern hatten nach unserem Umzug erwartet, dass wir einen Fahrdienst einrichten. Wie sollten wir das leisten? Jugendarbeit gibt es seitdem nicht.« Die »Kriegskasse«, einst für einen Bahnbau in Bad Nauheim aufgefüllt, werde nun langsam geplündert. Ein Zusammenschluss mit dem KV Ober-Wöllstadt, der ebenfalls in der Römerhalle zuhause ist, sei nicht geplant. Ziele sind bei KV Bad Nauheim, in dessen Reihen immerhin die Deutsche Seniorenmeisterin Sylvia Best kegelt, entsprechend bescheiden. »Ein 1600-er Ergebnis wäre toll. Heute sind die Ansprüche andere als in der Vergangenheit.«

In Florstadt stellt sich Michael Rosenauer den kegelsportlichen Herausforderungen. Zwar ist auch bei der KSG die Zahl der Mitglieder von 150 im Jahr 2000 auf nunmehr knapp 100 geschrumpft, fehlt auch hier »das Mittelalter«, doch: »In der Jugendarbeit tut sich etwas.« Seit Mitte der 90er Jahre sind KSG-Jugendliche rund ein Dutzend Mal bei deutschen Meisterschaften angetreten, von 26 Nachwuchskeglern seien etwa 15 regelmäßig im Training. Eddy Kuczinsky habe »hochwertig an der Basis« gearbeitet. »Die Kinder müssen betreut, gefördert und bei der Stange gehalten werden.« Bei zwei Mitgliedern leiste er aktuell Überzeugungsarbeit, damit diese Lehrgänge zum Trainerschein absolvieren – rund 1000 Euro pro Mann müssen summa summarum investiert werden. Aber: »Das lohnt sich. Wir müssen auch Anreize bieten«, ist er überzeugt. Während die KSG-Herren aus gesundheitlichen und zeitlichen Gründen nicht mehr als 100 Wurf spielen wollen und deshalb nicht über die Bezirksebene hinaus spielen werden, kämpfen die Damen darum, ihren Regionalliga-Status zu erhalten. »Die Damen sind uns etwas weggebrochen«, räumt Rosenauer ein.

»Zu träge«

Der Verband habe die Probleme inzwischen erkannt, befinde sich im Umbruch, wissen Fritzel und Rosenauer. Die Grenze, in welcher Liga Vierer- und gemischte Mannschaften antreten, könne sich beispielsweise verschieben.

In der Wetterau soll die Kegel-Vereinigung Mittelhessen (KVM) das Sportkegeln der Jugend und der Senioren fördern; ein Zusammenschluss, der 2010 gegründet wurde, dem aktuell sieben Vereine angehören; darunter Bad Nauheim, Florstadt und der KV Karben. Auf diesem Weg können die vereinzelten Nachwuchs- und Seniorenspieler der Vereine gemeinsam unter dem Vereinsnamen KVM bei Meisterschaften starten. Als Vorbild dient der KV Aschaffenburg, der nahezu alle Klubs der Region vereine.

Überholt wurden die Kegler von den Bowlingspielern. »Das ist trendy. Der Unterhaltungswert ist ein anderer. Bowling bringt schnellere Erfolgserlebnisse und ist einfacher zu spielen«, nennt Thorsten Fritzel die Gründe. Große Bowling-Center ermöglichen zudem spontane Spielmöglichkeiten, klare Ergebnisse. »Da ist Kegeln einfach zu träge«, stimmt Rosenauer zu. Innerstädtisch sei man seitens der KSG um stete Präsenz bemüht; beispielsweise bei den Ferienspielen.

»Wenn ein Kind hängen bliebt, dann zieht das vielleicht auch den einen oder anderen Freund mit«, beschreibt der KSG-Vorsitzende den mühsamen Weg. »Momentan können wir den Verlust von älteren Mitgliedern durch den Zugang von Jugendlichen ausgleichen. Es baut sich etwas auf. Aber eben sehr langsam. Wir brauchen viel Geduld.« Mittelfristig sollen Bahn und Sport für Hobby-Kegler attraktiver gestaltet werden. »Samstags beispielsweise haben wir eine Vakanz. Wir wollen Anreize schaffen, die Menschen auf die Bahnen zu holen. Und vielleicht bleibt ja einer hängen«, hofft er.

***

Michael Rosenauer, Wolfgang Kaes, Thorsten Fritzel – Sie alle sind schon lange ehrenamtlich im Verein aktiv. Was treibt Sie in den schwierigen Zeiten an?

Michael Rosenauer: »Ich bin von Kindesbeinen an mit dem Sport verbunden. Mein Vater hat mich früh mitgenommen, mit 20 Jahren habe ich bereits die Jugendarbeit geleitet. Der Verein ist für mich wie eine kleine Firma. Meine Frau, meine Schwiegermutter und meine Kinder sind ebenfalls dem Sport verbunden. Da ist meine Tätigkeit familienintern natürlich leichter zu vermitteln.«

Thorsten Fritzel : »Eine Menge Idealismus gehört dazu, zumal ich in Idstein wohne. Ich mach das gerne, und es macht auch Spaß, solange die Mitglieder mitziehen. Und eines habe ich auch immer im Hinterkopf. Nach mir wird es keiner mehr machen.«

Wolfgang Kaes : »Ich habe noch im alten Keglerheim an der Seewiese angefangen, habe den Umzug in die Stadthalle miterlebt und Fusionen mitgetragen. Es hat mir immer Spaß gemacht – trotz aller Widerstände. Im April höre ich aber auf.«

Wie sehen Sie die Entwicklungen in Ihren Vereinen in den kommenden fünf Jahren?

Kaes: »Im Vergleich zur Gegenwart wird sich bei uns in Friedberg wohl nicht allzu viel ändern. Die Zweitliga-Mannschaft, in der auch einige jüngere Kegler spielen, werden diese Liga halten können. Innerhalb des Vereins wird das Durchschnittsalter der Mitglieder steigen.«

Rosenauer: »Mit unserer Jugendarbeit sind wir auf einem guten Weg. Und da erhoffe ich mir eine Initialzündung. Ohne Nachwuchs entsteht in der Vereinsstruktur schnell ein Loch. Aktuell haben wir viele Mitglieder um die 50 Jahre. Die werden sich auch in fünf Jahren noch spielen können.«

Fritzel: »Vielleicht existiert noch eine erste Mannschaft, vielleicht auch nicht. Das lässt sich heute nicht sicher prognostizieren. In Sachen Jugendarbeit haben wir einfach nicht die Möglichkeit, etwas zu entwickeln. Und wenn, dann würden wir mit Ober-Wöllstadt in einen Wettbewerb treten. Ich will nichts ausschließen. Aber realistisch ist das sicher nicht.«

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