Voll im Soll: Für Eintracht Frankfurt geht es nun darum, das ganze Gebilde zu verfeinern

Eintracht Frankfurt kann ein durchaus positives Zwischenfazit ziehen – trotz der unangenehmen Dämpfer zuletzt.
In den Irrungen und Wirrungen rund um den Bodycheck des Frankfurter Mannschaftsführers David Abraham, der in der Bundesliga erst im kommenden Jahr wieder spielen darf, ist die aktuelle sportliche Bestandsaufnahme des Bundesligisten vom Main in der breiten Öffentlichkeit etwas untergegangen. Nicht bei allen und schon gar nicht bei Adi Hütter, dem Fußballlehrer, aber ein derartiger tätlicher Übergriff eines Spielers auf einen Trainer wie jener von Abraham auf den Freiburger Christian Streich überlagert erst einmal alles und nimmt eine ganze Menge Raum ein.
Dabei taugt die momentane und letzten Bundesligapause in diesem Jahr sehr wohl dazu, ein erstes Zwischenfazit zu ziehen, und das fällt im Fall von Eintracht Frankfurt trotz der herben Dämpfer in Lüttich und Freiburg gar nicht so schlecht aus.
Der Klub aus dem Hessischen liegt alles in allem im Soll, befindet sich in der Spur. Im DFB-Pokal steht die Eintracht im Achtelfinale gegen RB Leipzig. Eine schwierige, aber im eigenen Stadion auch machbare Aufgabe. In der Europa League haben die Hessen noch intakte Chancen, das Sechzehntelfinale zu erreichen, auch wenn sie durch den Nackenschlag in Belgien vor knapp einer Woche mehr denn je und mehr als vermutet um den Einzug in die K.o.-Phase bangen müssen. Die ganz große Begeisterung hat die Eintracht auf internationalem Parkett in dieser Saison nicht entfachen können, was aber in der Natur der Sache liegt. Dieser Kitzel, das fast schon Magische, lässt sich nicht per Knopfdruck erzeugen, da müssen alle Parameter stimmen und energetische Beziehungen entstehen.
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Eintracht Frankfurt liegt in Lauerstellung
Der Europacup ist keine Normalität geworden, aber das Außergewöhnliche und ganz Besondere hat sich verflüchtigt, zumindest bisher. Sollte sich das Team für die nächste Runde qualifizieren, könnte das schnell wieder anders aussehen.
Auch spielerisch hat die Eintracht den Wettbewerb, obzwar sie ihn sehr wohl sehr seriös angegangen ist und sich in einer wahren Ochsentour erst qualifizieren musste, bislang nicht dominieren können. Vor Jahresfrist waren die Frankfurter mit Siebenmeilenstiefeln durch die Gruppe marschiert und hatten alle sechs Partien für sich entschieden – das ist zuvor noch keiner deutschen Mannschaft auf internationalem Geläuf gelungen.
In der Liga parkt Eintracht Frankfurt auf Rang neun, hat vier Punkte Rückstand auf einen Champions-League-Platz. Das ist nicht die Welt. Das Team von Adi Hütter liegt in Lauerstellung, in Schlagdistanz, muss andererseits aufpassen, nicht im Niemandsland zu versinken, nach dem punktgleichen VfL Wolfsburg, dem nächsten Gegner in zehn Tagen, auf Rang zehn folgt die Zweiteilung der Liga, Union Berlin auf Platz elf hat erst 13 Zähler.
Vor einem Jahr hatte die Eintracht zum vergleichbaren Zeitpunkt drei Punkte mehr eingesammelt, die Mannschaft hatte sich in einen richtigen Lauf hineingespielt, war in der Hinserie in elf aufeinanderfolgenden Pflichtpartien ungeschlagen geblieben, darunter zehn Siege. Auch in der Rückrunde nahm das Ensemble um das Trio Infernale im Angriff schnell Fahrt auf, blieb in 15 Begegnungen ungeschlagen – ehe dieser merkwürdige Einbruch zum Schluss mit neun Spielen und nur einem Sieg folgte und die Königsklassenträume jäh zerstörte. Die Mannschaft der Vorsaison war individuell stärker, vorne schneller und dynamischer.
Die Zeit spielt diesmal eher für Eintracht Frankfurt
Dass es nach dem Verlust aller Topstürmer schwer werden würde, das Niveau zu halten, war allenthalben klar. Insofern ist das bisherige Abschneiden aller Ehren wert. Die Zeit spielt in dieser Saison eher für die Frankfurter, die immer noch im Findungsprozess sind, noch enger zusammenwachsen, stabiler werden müssen. Auch deshalb hat das Team noch nicht die allerletzte Konsequenz in ihr Spiel bekommen, die längste Serie war eine von sechs Partien ohne Niederlage, was ja schon mal nicht so schlecht ist. Und: Die Eintracht hat bis auf Schalke schon gegen alle Gegner aus dem oberen Tableau gespielt, in den kommenden Wochen geht es gegen Kontrahenten aus dem unteren Drittel. Da muss man punkten.
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Die Mannschaft ist zudem topfit, ein Substanzverlust ist trotz der hohen Belastung nicht zu erkennen, dabei hat das Team mehr Spiele auf dem Buckel als jedes andere, nämlich 23. Wohin die Reise gehen wird, ist unklar, die Saison ist immer noch lang und unwägbar, die Liga ausgeglichen, die Spiele eng. Die Eintracht wird, wenn sie die vorderen Ränge angreifen will, ein Rezept finden müssen, ihre Auswärtsschwäche abzustreifen. Drei Punkte und Rang 16 in diesem Segment sind nicht der Anspruch des Vereins und auch nicht ausreichend, um Boden gutzumachen – zumal man ja nicht davon ausgehen kann, bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag zu Hause alle Partien zu gewinnen.
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Eintracht Frankfurt: Tuchfühlung nach oben halten
Die Frankfurter werden auch darauf angewiesen sein, dass die Leistungsträger nicht wegbrechen oder sich verletzten. Gerade im Sturm musste Hütter schon einmal eine Phase ohne die Angreifer Bas Dost und André Silva überstehen. Das macht das Unterfangen nicht leichter. Sollte Filip Kostic mal längerfristig ausfallen, hätte der Coach ein immenses Problem, da der Serbe zum einen ohnehin nicht zu ersetzen ist und zum anderen das Spiel der Eintracht noch mehr als letzte Saison von den Flügelläufern lebt.
Auffällig ist zudem, dass die Mannschaft ihre mit Abstand besten Spiele (beim herausragenden 3:0 gegen Leverkusen und beim grandiosen 5:1 gegen die Bayern) machte, wenn sie von Anfang an konsequent nach vorne spielte und den Gegner proaktiv unter Druck setzte. Da entfaltet das Team noch diese Wucht, die es im vorherigen Jahr ausgezeichnet hatte. Auswärts, auch so wird ein Schuh draus, ist diese Lesart des Spiels aber generell schwieriger durchzusetzen, was die Divergenz zwischen den Partien daheim und in der Fremde erklären kann. Für Eintracht Frankfurt wird es nun darum gehen, das ganze Gebilde zu verfeinern, Tuchfühlung nach oben zu halten und sich in Stellung zu bringen – nicht immer muss man auf den letzten Metern abschmieren.
Von Ingo Durstewitz