»Wissenschaftler rennen uns die Türen ein«
Frankfurt. Wasser aus dem Main. Strom aus einer Klärschlamm-Verbrennungsanlage. Über 800 handelsübliche PCs mit Grafikkarte. - Damit haben Volker Lindenstruth und Hans Jürgen Lüdde einen Hochleistungs-Computer zum Leben erweckt, den es so kein zweites Mal auf der Welt gibt.
Frankfurt. Wasser aus dem Main. Strom aus einer Klärschlamm-Verbrennungsanlage. Über 800 handelsübliche PCs mit Grafikkarte. - Damit haben Volker Lindenstruth und Hans Jürgen Lüdde einen Hochleistungs-Computer zum Leben erweckt, den es so kein zweites Mal auf der Welt gibt. Er steht in 34 Serverschränken im Industriepark Höchst und rechnet für die hessische Wissenschaft - ein Supercomputer, der im Vergleich zur Konkurrenz weniger Strom verbraucht, einfach zu warten ist und gerade mal fünf Millionen Euro gekostet hat. Der zurzeit schnellste Superrechner Deutschlands in Jülich ist nur etwa dreimal schneller, aber über zehnmal teurer in der Anschaffung. »Diesel mit Turbolader« nennt Lindenstruth, Professor am Frankfurt Institute for Advanced Studies, daher liebevoll seinen »Loewe-CSC«.
»Der Frankfurter Rechner setzt einen neuen Technologietrend für Supercomputer weltweit«, sagt Erfinder Lindenstruth.
Der Rechner ist unter den zehn umweltfreundlichsten der Welt und dabei der zweitschnellste Deutschlands - mit einem unschlagbaren Preis-Leistungsverhältnis: »Bei Hochleistungsrechnern gibt es nirgendwo so niedrige Kosten«, schwärmt der Leiter des Zentrums für Wissenschaftliches Rechnen (CSC), Professor Hans Jürgen Lüdde. Obendrein wird der »grüne Rechner« ausschließlich mit Öko-Strom betrieben, das im Industriepark Höchst selbst erzeugt wird - aus Klärschlamm und organischen Abfällen.
Kern- und Hirnforschung
Ausschließlich Wissenschaftler dürfen Hessens ersten Hochleistungsrechner nutzen, der von der Goethe-Universität betrieben wird. Die Schwerionenforscher der GSI in Darmstadt, die Elementarteilchensucher beim Cern in Genf, aber auch hessische Hirnforscher und Biologen, Physiker und Quantenchemiker rennen Lüdde die Tür ein, wie er sagt - der Landesrechner ist auf Monate hin ausgebucht. Dieser wertet Experimente aus, die kein anderer Computer in vernünftiger Zeit hinbekommen würde, baut virtuell Hirnareale nach oder hilft, Gluonen, subatomare Elementarteilchen, nachzuweisen. Er ist genau auf diese Aufgaben hin entwickelt worden. Denn schließlich ist sein Name Programm: Die hessische »Landes-Offensive zur Entwicklung wissenschaftlich ökonomischer Exzellenz« steckt hinter dem Namen »Loewe«.
Wenn ein Computer eingeschaltet wird, produziert er Wärme. Diese wieder abzuführen, geht gewaltig ins Geld: Die meisten Rechenzentren benötigen fast genauso viel Energie für die Kühlung ihrer Elektronenhirne, wie sich diese für ihre umfangreichen Berechnungen selbst genehmigen. Lindenstruth hat für den »Loewe-CSC« einen physikalischen Kniff angewendet, der diese Kosten um ein Vielfaches senkt: Er lässt Wasser verdunsten. Den Kühl-Effekt kennt jeder, den es nach dem Duschen fröstelt. Die Hitze, die der »Loewe-CSC« während seiner Denkarbeit produziert, wird von vielen Dutzend Kühlrippen aufgenommen und zu einem Wärmetauscher transportiert, der die Energie dieses Kühlwassers an Wasser aus dem Main abgibt. Dieses verflüchtigt sich in zwei kleinen Plastikkühltürmen neben der Alten Messwarte und nimmt die überschüssige Energie einfach mit. Allzu tief muss das Mainwasser den Keller der Alten Messwarte ohnehin nicht herunterkühlen. 30 Grad Celsius halten die Computerkomponenten problemlos aus. Was nochmals Kosten sparen hilft - nur acht Prozent des Energieverbrauchs des Computers gehen für Kühlung drauf. Noch ein Rekord. Die Technik ist also einfach und robust. Und der Hochleistungs-Computer ist seinerseits aus sehr günstiger Technik aufgebaut.
Fast 21 000 Prozessorkerne in 832 PCs arbeiten dabei mit 778 Grafikkarten zusammen, wie sie einzeln in Heim-PCs verbaut sein könnten. Sie können viele gleichartige Berechnungen parallel ausführen und sind daher gerade für wissenschaftliche Simulationen perfekt geeignet. Weil die einzelnen PCs einfach ausgetauscht und durch neuere ersetzt werden können, ist auch die Wartung des Hochleistungsrechners einfach und günstig. Der Rechner kann so niemals veralten. Was auch den Steuerzahler freut.
Seit Ende November ist der Rechner nun offiziell in Betrieb. Lindenstruth plant bereits einen noch größeren Rechner für das Beschleunigerzentrum GSI bei Darmstadt. Und im Nachbarraum ist noch Platz für einen weiteren Großrechner. Den wollen Lindenstruth und Lüdde, wenn sie ihn denn bauen, dann an private Auftraggeber vermieten. Harald Ille, pia