Wächter über die himmlische Verkehrsordnung
Frankfurt. Ein Mausklick genügt, und auf Walter Leibingers Computerbildschirm verwandelt sich die unendliche Weite des Himmels in ein akribisch ausgemessenes Areal aus Sektoren, Koordinaten und fein gestrichelten Luftfahrtschneisen. Nichts, so hat es den Anschein, bleibt in dieser Welt über den Wolken, wo die Freiheit doch angeblich grenzenlos sein soll, dem Zufall überlassen. Alles - vom Nebelstreif auf Bodenhöhe über 99 aufsteigende Luftballons bei einer Geburtstagsparty bis hin zum Nato-Gipfel in Straßburg und Baden-Baden - wird registriert und in die Planung einbezogen.
Frankfurt. Ein Mausklick genügt, und auf Walter Leibingers Computerbildschirm verwandelt sich die unendliche Weite des Himmels in ein akribisch ausgemessenes Areal aus Sektoren, Koordinaten und fein gestrichelten Luftfahrtschneisen. Nichts, so hat es den Anschein, bleibt in dieser Welt über den Wolken, wo die Freiheit doch angeblich grenzenlos sein soll, dem Zufall überlassen. Alles - vom Nebelstreif auf Bodenhöhe über 99 aufsteigende Luftballons bei einer Geburtstagsparty bis hin zum Nato-Gipfel in Straßburg und Baden-Baden - wird registriert und in die Planung einbezogen.
So viel Sicherheit, so viel vorausschauende Umsicht wünschte man sich mitunter auch hienieden, zum Beispiel im allmorgendlichen Berufsverkehr. Doch Walter Leibinger und seine 74 Kollegen beraten Piloten und keine Autofahrer, und dass es auf den Luftstraßen Gott sei Dank nur extrem selten zu Unfällen und Zusammenstößen kommt, ist vor allem auch ihr Verdienst. Denn ihr Job endet erst dort, wo die Fluglotsen die Verantwortung übernehmen - wenn die Maschine endlich gestartet ist (»airborne«) und in die Höhe steigt.
Jeden Tag 24 Stunden lang ist das AIS-C (Aeronautical Information Service Centre) in Rödelheim erreichbar. Luftfahrzeugführer, wie Piloten in der Fachsprache genannt werden, können sich also zu jeder Tages- und Nachtzeit an die Experten wenden, um sich vor dem Start mit allen wichtigen Informationen rund um die Flugsicherheit zu versorgen.
Die »Steigerung der Erreichbarkeit«, so erläutert Gerd Witt, Referent Management und Stab, sei auch einer der Gründe gewesen, warum man 2003 die bundesweit 17 Flugberatungsstellen in dieser einen Zentrale zusammengefasst habe. Doch sind es nicht die großen Fluggesellschaften, die die Dienste des AIS-C in Anspruch nehmen, sondern vielmehr die privaten Sport- und Geschäftsflieger, die zum Teil auf Sicht und nicht instrumentengeleitet ihre Maschinen durch die Luft steuern. Rund 800 Flugpläne werden von den 75 Beratern an jedem Tag entgegengenommen, geprüft und im Bedarfsfall mit den Anrufern durchgesprochen; gearbeitet wird im Wechselschichtdienst rund um die Uhr, in Teams zu je acht Mitarbeitern, inklusive der so genannten Wachleiter wie zum Beispiel Leibinger. Nachts sind stets drei Kollegen im Dienst. Alle Berater haben eine anspruchsvolle Ausbildung an der Akademie der Deutschen Flugsicherung an deren Hauptsitz in Langen absolviert; der Anteil der Frauen in diesem Beruf beträgt etwa 40 Prozent.
Früher suchten die Piloten vor dem Start einen Beratungstresen am Flughafen auf und ließen sich dort von den Experten der Flugsicherung im direkten Gespräch alle wichtigen Daten erläutern. Heute ist es eine hochmoderne automatische Telefonzentrale, die die eingehenden Anrufe mit den einzelnen Arbeitsplätzen verbindet, und zwar immer mit demjenigen, der zuvor am längsten keinen Kunden in der Leitung gehabt hatte. Auch steigt der Anteil derer, die sich über eine E-Mail briefen lassen, stetig an.
Kunden sind zufrieden
Kritiker hatten befürchtet, dass die Zusammenlegung der Beratungsstellen zu Beeinträchtigungen im Service führen könnte, doch das Gegenteil ist der Fall. In Umfragen zur Kundenzufriedenheit hat das AIS-C in den vergangenen zwei Jahren die Traumnote von 1,8 erreicht, was sich vielleicht auch zum Teil dem neuen Bonussystem verdankt, mit dem vor allem eine ebenso zügige wie kompetente und freundliche Gesprächsführung belohnt werden soll. Von einer Kommerzialisierung der Deutschen Flugsicherung kann dennoch nicht die Rede sein: Zwar wurde sie inzwischen in eine GmbH umgewandelt, doch gehört sie weiterhin zu 100 Prozent dem Bund. Die meisten Dienstleistungen sind ohnehin über die Flugsicherungsgebühren abgedeckt.
Nur wer beispielsweise einen Rundflug über den australischen Kontinent plant, dabei aber nicht auf die vertraute Beratung aus Rödelheim verzichten möchte, muss diesen Service aus eigener Tasche bezahlen. Denn das Aufgabengebiet der Flugsicherung erstreckt sich jeweils nur auf den eigenen Luftraum.
Über diesen aber haben sie gewissermaßen die Lufthoheit. So prüfen sie nicht nur, ob der von einem Piloten vorgelegte Flugplan vollständig und richtig ist, sondern stimmen diesen auch mit der Verkehrsflusssteuerungszentrale in Brüssel ab. Außerdem informieren sie den Flieger über alle »Notam«, das sind kurzfristige Änderungen oder Beeinträchtigungen der »himmlischen Verkehrsordnung«, wobei es sich ebenso um eine Gruppe von Heißluftballons am Horizont wie um einen Staatsbesuch mit Sperrung von Luftfahrtstraßen handeln kann.
Außerdem koordiniert das AIS-C im Auftrag des Flughafenkoordinators Start- und Landezeiten an einigen großen internationalen Flughäfen. Eine weitere wichtige Dienstleistung besteht in der so genannten Landeüberwachung. Stets sind es die Rödelheimer, die zuerst bemerken, wenn an einem kleineren Flughafen eine erwartete Maschine nicht pünktlich eintreffen sollte. In solch einem Fall lösen sie eine Suchaktion (»Search and Rescue«) aus, doch klingt das dramatischer, als es in der Realität ist, beruhigt Wachleiter Leibinger.
Durchschnittlich 180, in Spitzenzeiten bis zu 330 Überwachungen am Tage übernimmt das AIS-C, etwa bei jedem 50. Flug geht ein Warnhinweis ein. Doch in den seltensten Fällen - etwa fünfmal pro Jahr - handelt es sich tatsächlich um einen Flugunfall. Viel häufiger haben die Piloten einfach vergessen, sich abzumelden. »Die sitzen dann schon gemütlich beim Bier im Airport-Restaurant, während wir noch am Himmel nach ihrer Maschine suchen«, berichtet Leibinger. Statt einer aufwändigen Such- und Rettungsaktion genügt dann heutzutage meist ein Anruf auf seinem Handy. Barbara Goldberg/pia