Dienstagvormittags kann es an der großen Treppe des Bad Vilbeler Rathauses schon einmal voll werden. Immer wenn Hans-Joachim Prassel als kommunaler Behindertenbauftragter der Stadt von 10 bis 12 Uhr eine Sprechstunde anbietet, warten Ratsuchende oft schon länger, um den Experten mit ihren Fragen löchern zu können.
»Acht bis 13 Menschen sind es, die teilweise schon ab halb neun vor der Tür stehen«, weiß Prassel. Die zwei Stunden Beratungszeit reichen selten aus. Einige Arbeit nimmt sich Prassel dann auch mit nach Hause. »Etwa ein Drittel der Anfragen erfordern eine Vor- oder Nachbereitung.« Mit Stand der jüngsten Erhebung im April leben alleine in Bad Vilbel 5145 Menschen mit Behinderungen. Doch nicht nur die wollen Rat von Prassel, wenn es um Anerkennung oder die Inanspruchnahme weiterer Leistungen geht.
Doch ist das nicht alles, was den Rentner umtreibt. Nebenbei sitzt er im Landesvorstand des VdK Hessen-Thüringen, er hat Lehraufträge an der FH Frankfurt, sitzt im Inklusionsbeirat des Wetteraukreises und im Ortsbeirat der Kernstadt. »Und mir geht es um eine qualitative Beratung, was oft mit einem hohen Zeitaufwand verbunden ist«, sagt der Mann, der seit einem Unfall im Jahr 1984 im Rollstuhl sitzt.
Das bedeutete für ihn eine erhebliche Umstellung. Zuvor hatte er eine Lehre beim Hessischen Rundfunk angefangen. Trotz Probezeit durfte er nach dem Unfall bleiben, der Sender ermöglichte ihm eine Umschulung im Berufsförderungswerk in Bad Vilbel. 1987 fand er hier auch eine Wohnung, ist seitdem in der Stadt geblieben. 1990 ist er wieder beim HR eingestiegen, als Schwerbehindertenbeauftragter. Er vertiefte sich ins Thema, studierte Disability Management, fand ein neues Lebensziel. Er will als Lotse fungieren, um Betroffene durch den Paragrafendschungel führen zu können. Und um Bewusstsein zu schaffen. So mischte er sich in die Stadtpolitik ein, saß im Parlament, wurde SPD-Stadtrat. Und ist seit nun zweieinhalb Jahren Behindertenbeauftragter.
Gegen alltägliche Stolperfallen
Ob Kombibad, neue Stadthalle oder die ganz alltäglichen Stolperfallen und Engstellen in der Stadt: Prassel mischt sich ein, kämpft nicht nur für Menschen mit Behinderungen, sondern etwa auch für jede Mutter mit Kinderwagen. Dabei muss er auch mal nerven, mit stetem Tropfen den Stein höhlen. Doch Prassel findet Fürsprecher. Er lobt den Ersten Stadtrat Sebastian Wysocki und CDU-Fraktionschefin Irene Utter, die hinter die Worthülse »Barrierefreiheit« kommen wollten und sich über Tücken im Detail aufklären ließen.
»Der Bereich ist vielfältig, es geht um komplexe Fragestellungen im Sozialrecht«, beschreibt Prassel seine Aufgaben. Und es geht um alle Generationen. So hat Prassel etwa eine Kita in Dortelweil besucht, um dort Fragen der Inklusion und Barrierefreiheit zu besprechen. Nun aber zieht es ihn nach Michelstadt im Odenwald. Dort hat er ein Haus im Familienbesitz barrierefrei gestaltet. »Es ist ruhiger dort«, sagt er und verweist darauf, dass sich Bad Vilbel extrem gewandelt habe. »Es ist hier hektisch und laut geworden.« Dennoch ist ihm der Schritt zum Umzug schwergefallen. Zumal er gerne noch den Hessentag erlebt und in Sachen Barrierefreiheit mitgewirkt hätte.
Nachfolger gesucht
Die Suche nach einem Nachfolger dürfte sich schwierig gestalten. Auf etwa »ein halbes Dutzend Leute« schätzt Prassel den Kreis in Bad Vilbel, der über ausreichend Expertise verfügen dürfte, um Hilfe anbieten zu können. Auch die Anzahl der Fachanwälte für Sozialrecht sei niedrig, »da gibt es nicht viel zu verdienen«. Auch vor »Pseudoexperten« warnt er: »Nicht ist gefährlicher als Halbwissen, vor allem in diesem Bereich.«
Im nächsten Sommer zieht er nun um. Ob er da auf die Bremse treten kann? »So ganz wohl nicht«, sagt Prassel. Denn schließlich gehören Bürgermeister Stephan Kelbert (parteilos) und der Erste Kreisbeigeordnete Oliver Grobeis (SPD) zu seinen Nachbarn. Auch vom örtlichen VdK wurde er schon angesprochen.