Das Türkei-Erdbeben und der Ukraine-Krieg: Wie die Katastrophen die beiden Länder verbinden

Die Ukraine unterstützt mit Rettungstrupps Erdbebenopfer in der Türkei. Das kriegsgebeutelte Land versteht das Leid der Menschen. Und Kiew braucht das strategisch wichtige Land am Bosporus.
Ankara/Kiew/Frankfurt – Seit dem verheerenden Erdbeben in der Türkei und Syrien sind Rettungsteams aus aller Welt in die zerstörten Gebiete gefahren. Dazu gehören auch 88 Katastrophenhelfer aus der Ukraine, darunter Spezialisten für Such- und Rettungsaktionen, Ärzte, Hundeführer mitsamt Spürhunden sowie Feuerwehrleute. Das Land ist seit Beginn der russischen Invasion vor knapp einem Jahr selbst betroffen von Tod und Zerstörung. „Es herrscht Krieg in unserem Land, aber wir verstehen, dass wir helfen müssen, und diese Hilfe beruht auf Gegenseitigkeit. Es gibt keine andere Möglichkeit“, sagte Oleksandr Khorunzhyi, ein Sprecher des ukrainischen Katastrophenschutzdienstes kurz nach dem Beben. Bis zum Montag hatten seine Leute nach Angaben der Behörde in der Türkei 26 Leichen geborgen und 340 Gebäude untersucht.
Erdbeben: Ukraine verspricht Hilfe für Türkei
„Wir sind in dieser schwierigen Zeit bei ihnen. Wir sind bereit, die notwendige Hilfe zu leisten, um die Folgen der Katastrophe zu überwinden“, twitterte Präsident Wolodymyr Selenskyj nur Stunden nach dem Beben in türkischer Sprache. Die Hilfe der Ukraine ist angesichts des eigenen Leids großherzig – und zugleich strategisch klug. Denn zum einen will Kiew vermeiden, dass die Welt den Krieg in der Ukraine unter dem Eindruck der Horrorbilder aus dem Erdbebengebiet mit mehr als 33.000 Todesopfern vergisst. Zum zweiten spielt die Türkei für Selenskyj im Krieg eine wichtige Rolle. Die Rettungsteams sind somit eine wichtige Geste an Ankara, dass Kiew selbst in eigener größter Not etwas geben kann und somit in jeder Situation ein nützlicher Partner ist.
Türkei für Ukraine strategisch wichtiger Partner
Für Kiew stellte die Partnerschaft mit der Türkei schon vor Kriegsausbruch „den Schlüssel zur Sicherheit im Schwarzen Meer“ dar. Das Land ist Mitglied der Nato und kontrolliert auf Basis internationaler Verträge den Zugang zum Schwarzen Meer durch die Meerenge des Bosporus in Istanbul. „Was die Souveränität und die territoriale Integrität der Ukraine betrifft, so steht Ankara eindeutig auf der Seite Kiews“, schrieb kürzlich Daria Isachenko, Politikwissenschaftlerin am Centrum für angewandte Türkeistudien der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Zwar schließe sich Ankara den westlichen Sanktionen nicht an. Die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan habe aber schon 2014 die Annexion der Halbinsel Krim für rechtswidrig erklärt. „Die Gebiete, in die eingedrungen wurde, werden der Ukraine zurückgegeben werden“, betonte Erdogan im September in einem US-Interview. Dazu zählte er auf Nachfrage auch die Krim.
„Für Ankara stellt es keinen Widerspruch dar, Bayraktar TB2-Drohnen an Kiew zu liefern, die zum Symbol des Widerstands der Ukraine gegen Russland geworden sind – gleichzeitig aber enge Beziehungen zu Moskau zu pflegen“, erklärt Türkei-Expertin Isachenko. Und so hält Erdogan zwar die die wirtschaftlichen Verflechtungen mit Russland aufrecht und steht in Kontakt zu Präsident Wladimir Putin. Doch zugleich lieferte Ankara schon kurz nach Kriegsbeginn Waffen an Kiew – neben den Drohnen auch mehr als 200 BMC-Kirpi-Panzerfahrzeuge sowie vier Korvetten der türkischen Ada-Klasse – und blockiert den Bosporus für die Durchfahrt ausländischer Kriegsschiffe, einschließlich jener Russlands.
Welche Rolle spielt die Verbindung zwischen Erdogan und Putin?
Präsident Erdogan strebt eine größere geopolitische Rolle für die Türkei an – und nutzt dafür die geografische Lage seines Landes zwischen Ost und West. Seit Beginn des Krieges setzt er auf eine Vermittlerrolle zwischen Russland und der Ukraine. So richtete die Türkei im März 2022 die ersten, gleichwohl gescheiterten Gespräche zwischen Vertretern beider Kriegsparteien aus. Mehr Erfolg hatte er bei Vermittlungen zum Gefangenenaustausch sowie dem Getreideabkommen, das der Ukraine Exporte in die Welt ermöglicht und im Juli 2022 gemeinsam mit den Vereinten Nationen ausgehandelt wurde.
„Putins Drohgebärden gegen die Waffenlieferungen ließ der türkische Präsident unterdessen ins Leere laufen: Man mache mit Kiew Geschäfte und habe keinen Einfluss darauf, wofür die Waffen eingesetzt würden“, erklärt der Historiker und Türkei-Experte Rasim Matz in einem Beitrag für die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung. „Moskau musste dies hinnehmen, da die Türkei als letzter westlicher Partner verblieb, um für Russland das Tor nach Europa offenzuhalten.“ Die Nato habe derweil zwar die türkische Waffenhilfe für die Ukraine gelobt, „musste jedoch den türkischen Sonderweg mit Russland akzeptieren.“
Leidet jetzt die humanitäre und finanzielle Hilfe für die Ukraine?
Bei der Spendenbereitschaft in Deutschland öffnete das Erdbeben derweil die Portemonnaies noch weiter als der Ukraine-Krieg. Die Aktion Deutschland Hilft sammelte nach einem Bericht des WDR innerhalb von drei Tagen 10,2 Millionen Euro für die Opfer der Erdbebenkatastrophe, deutlich mehr als bei anderen Katastrophen. Ihr Spendenaufruf für die Menschen in der Ukraine kurz nach Kriegsausbruch erzielte in den ersten drei Tagen 4,5 Millionen Euro. Die Spendenbereitschaft für die Ukraine ist laut Deutschland Hilft allerdings knapp ein Jahr nach Kriegsausbruch weiter „sehr hoch“. Vergessen wird die Ukraine hierzulande also nicht.