Ukraine: Was eine Katastrophe am AKW Saporischschja für Deutschland bedeuten würde

In Europa wächst die Sorge vor einer Katastrophe im Atomkraftwerk Saporischschja in der südlichen Ukraine. Doch was konkret könnte dort passieren?
Kiew/Brüssel – Immer wieder schlagen auf dem Gelände des größten Atomkraftwerks Europas Geschosse ein. Die russische Armee hält das Atomkraftwerk, das über sechs der 15 ukrainischen Atomreaktoren verfügt, seit März besetzt. Russland und die Ukraine machen sich jedoch gegenseitig für den Beschuss verantwortlich. Seit Wochen beunruhigt die Lage in Saporischschja die internationale Staatengemeinschaft, die Angst vor einer atomaren Katastrophe steigt.
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hatte bereits dringend eine Inspektion der Anlage durch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) gefordert. Die Tatsache, dass russische Truppen die Anlage kontrollieren, schaffe „das Risiko eines Atomunglücks oder Zwischenfalls“. Auf einen solchen Unfall bereiteten sich kürzlich Dutzende ukrainische Rettungskräfte bei einem speziellen Erste-Hilfe-Training vor, berichteten Reporter der Nachrichtenagentur AFP.
In der Stadt Saporischschja, die etwa 50 Kilometer Luftlinie vom Atomkraftwerk entfernt liegt, übten sie in Schutzkleidung mit Strahlungsmessgeräten und Gasmasken die Evakuierung von Verletzten und die Reinigung kontaminierter Fahrzeuge. Nach den Worten des ukrainischen Innenministers Denys Monastyrsky, der an den Übungen teilnahm, muss sich das Land auf „alle möglichen Szenarien“ im Atomkraftwerk Saporischschja vorbereiten.
Ukrainisches AKW Saporischschja: Das wäre das Worst-Case-Szenario
Doch wie sehen diese möglichen Szenarien aus? Was konkret droht bei einem Unglück in dem AKW? Und welche Folgen hätte es für Deutschland? Das wohl größte Risiko bergen wohl Schäden am Reaktordruckbehälter einer laufenden Anlage. „Das wäre Stufe dunkelrot“, zitiert Spiegel Online Clemens Walther, Professor an der Universität Hannover sowie geschäftsführender Leiter des Instituts für Radioökologie und Strahlenschutz.
„Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat kürzlich gesagt, ein laufendes Kernkraftwerk zu treffen, wäre genauso schlimm wie eine taktische Kernwaffe. Tatsächlich könnte bei solch einer Havarie insgesamt aber sogar mehr Radioaktivität freigesetzt und vor allem über große Entfernungen transportiert werden.“
Ukraine-Krieg: Unfall in Saporischschja könnte im schlimmsten Fall auch Folgen für Deutschland haben
Je nach Windrichtung und Wetter könnte es dann auch zu einer erhöhten Radioaktivität in Deutschland kommen. Bei der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl hatte dies dazu geführt, dass etwa Wildfleisch und Getreide kontaminiert werden. Da die Reaktoren in der Ukraine aber so gut geschützt seien, dass sie im Zweifelsfall dem Absturz einer Militärmaschine standhalten, ist ein solcher Unfall wohl der unwahrscheinlichste. „Das ist durch ein einfaches Versehen – etwa durch verstreute Geschosse, die das Reaktorgebäude streifen und beschädigen – kaum denkbar“, erklärt Walther gegenüber Spiegel Online.
Wie der Experte erklärt, sei ein Stromausfall am AKW wahrscheinlicher. Dies würde verhindern, dass die Brennstäbe gekühlt werden – es kommt zur Kernschmelze wie in Fukushima. Doch zum einen gibt es im Gegensatz dazu in Saporischschja mobile Notstromaggregate. Im äußersten Fall würde zudem normalerweise „der geschmolzene Kern in den großen betonierten Keller des Gebäudes fließen, Radioaktivität würde dann kaum nach außen dringen.“ Ebenfalls beherrschbar seien Schäden an auf dem AKW-Gelände gelagerten ausgedienten Brennelementen. Kommt es im Rahmen des Ukraine-Kriegs zu einem Beschuss auf diese, würden Bruchstücke womöglich einige Hundert Meter weit geschleudert. (tk mit dpa/afp)