Klingbeil-Machtwort nach SPD-Streit um Ukraine-Botschafter Melnyk: „Total unnötig“

Der ehemalige Außenminister Sigmar Gabriel wirft der Ukraine „wahrheitswidrige und böse“ Unterstellungen vor und verteidigt die deutsche Außenpolitik. Der Konter von Botschafter Andrij Melnyk folgt prompt.
- Die Ukraine hat Bundespräsident Steinmeier als unerwünscht ausgeladen.
- Danach entbrannte ein hitziger Schlagabtausch - vor allem um den Ukraine-Botschafter Melnyk.
- Nun versucht sich SPD-Chef Klingbeil an einem Machtwort.
Update vom 19. April, 17.45 Uhr: „Alle sollten sich darauf konzentrieren, worum es wirklich geht“, reagierte SPD-Chef Lars Klingbeil am Dienstag auf die teils hitzig geführte Debatte um den Ukraine-Botschafter Melnyk im Nachgang des Steinmeier-Eklats gegenüber der Bild. Klingbeil weiter: „In der Ukraine sterben jeden Tag Menschen. Und verantwortlich dafür ist der russische Präsident Putin, ein Kriegsverbrecher, der seinen brutalen Angriffskrieg im Osten des Landes weiter verschärft. Unser Fokus liegt auf der Unterstützung der Ukraine. Alles andere ist Nebensache und total unnötig“. Klingbeil vermied es in seinem Statement Namen zu nennen. Doch seine Aussage soll wohl die eigene Partei davor bewahren, sich weiter im Streit mit Botschafter Melnyk zu verlieren. Mehrere SPD-Politiker hatten den Botschafter zuvor teils hart wegen seiner Worte gegenüber Sigmar Gabriel und Steinmeier kritisiert.
Update vom 18. April, 10.30 Uhr: Den Vorwurf, „wahrheitswidrig und böse“ über die deutsche Außenpolitik unter Frank-Walter Steinmeier zu urteilen, lässt Andrij Melnyk nicht auf sich sitzen. Der ukrainische Botschafter konterte die von Sigmar Gabriel via Spiegel-Kolumne vorgebrachte Kritik auf Twitter, indem er auch den ehemaligen Wirtschafts- und Außenminister sowie Vizekanzler mit ins Boot nahm. An dessen Adresse schreibt er: Bösartig sei vor allem die jahrelange Putin-freundliche Politik von Gabriel und seiner „SPD-Kumpanen“, die somit „den barbarischen Vernichtungskrieg gegen den ukrainischen Staat, die ukrainische Nation, die ukrainische Kultur, gegen ukrainische Frauen und Kinder erst herbeigeführt“ hätten. Melnyk schließt mit den Worten: „Die Aufarbeitung kommt noch. Shame on you.“
Erstmeldung vom 17. April
Berlin - Nachdem ein Besuch des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier in der Ukraine von der Führung in Kiew abgelehnt wurde*, verteidigt der ehemalige Außenminister und Vize-Kanzler Sigmar Gabriel (SPD) nun den Bundespräsidenten. In einem Gastbeitrag für den Spiegel schreibt Gabriel, dass die Kritik des ukrainischen Botschafters Andrij Melnyk*, Steinmeier habe in seiner aktiven Zeit als Außenminister „seit Jahrzehnten ein Spinnennetz der Kontakte mit Russland geknüpft“, „wahrheitswidrig und böse“ sei.
Diese Darstellung bezeichnet Gabriel als „Verschwörungstheorien über die Politik unseres Landes und seiner Verantwortungsträger“. Hierzu gehöre auch die Behauptung, Steinmeier, seine Nachfolger im Amt und die Bundeskanzlerin seien „quasi voraussetzungslos für den Abbau der nach der russischen Annexion der Krim verhängten Sanktion eingetreten“. Gabriel betont, dass Frank-Walter Steinmeier in seinem damaligen Amt als Außenminister gemeinsam mit Angela Merkel „mehr als alle anderen in Europa dafür getan hat, die Ukraine zu unterstützen“.
Gabriel über Steinmeier: „Mehr Geld zu Unterstützung mobilisiert als jeder andere EU-Mitgliedsstaat“
Zur Stützung dieser Aussage zählt der ehemalige Vize-Kanzler in seinem Gastbeitrag eine Vielzahl von Beispielen auf. So habe Steinmeier als Außenminister „im deutschen Bundeshaushalt mehr Geld zur Unterstützung der Ukraine mobilisiert als jeder andere EU-Mitgliedsstaat. Und das obwohl die Ukraine bis zum Angriffskrieg durch Russland von schwerster Korruption gekennzeichnet war“. Durch den Druck aus Deutschland* habe man damals darüber hinaus erreichen können, dass die ukrainische Anti-Korruptionsbehörde nicht aufgelöst wurde. Als Kronzeuge hierfür nennt Gabriel den ukrainischen Präsidenten Selenskyj selbst. Denn er verdanke sein Amt „dem Zorn und der Enttäuschung der ukrainischen Bürgerinnen und Bürger über ihre korrupten politischen und wirtschaftlichen Eliten.“
Gabriel kritisiert nicht nur den ukrainischen Botschafter Melnyk explizit, sondern auch Selenskyj. Dass die Minsker Verträge zur Schaffung einer Waffenruhe in der Ostukraine nie wirklich eingehalten wurden, liege „ganz gewiss nicht an Frank-Walter Steinmeier oder an den Patronatsstaaten Deutschland und Frankreich“. „Die politischen Vertreter der Ukraine haben nie so etwas wie ‚Ownership‘ für die Minsker Abkommen entwickelt, was wiederum die russische Führung ihrerseits nutzte, um sich ihrer Verantwortung für die Umsetzung der Abkommen zu entziehen“, so Gabriel.
Diplomatischer Affront gegen Steinmeier: Teil der ukrainischen Innenpolitik?
Der ehemalige Außenminister sieht den diplomatischen Affront im Zusammenhang der Ausladung des Bundespräsidenten in einem innenpolitischen Kontext. Die massive Kritik des ukrainischen Präsidenten betreffe nicht nur Steinmeier, sondern auch die frühere Kanzlerin Angela Merkel, den französischen Präsidenten Emmanuel Macron und auch seinen Amtsvorgänger Petro Poroschenko. „Alle stehen für die Minsker Verträge, die als Weg zur friedlichen Lösung des Konflikts in der Ostukraine eine Art regionaler Teilautonomie unter Wahrung der Staatszugehörigkeit zur Ukraine vorsahen“, so Gabriel.
Die Minsker Verträge seien in der Ukraine jedoch höchst umstritten und Teil einer innenpolitischen Auseinandersetzung*. „Was hierzulande also als außenpolitischer Dissens um die frühere Russlandpolitik Deutschlands wahrgenommen wird, ist in Wahrheit mindestens ein Teil des innenpolitischen Meinungskampfes in der Ukraine“, schlussfolgert Gabriel. Die deutsche Politik sei seiner Einschätzung nach nicht „zögerlich“ oder „russlandfreundlich“, sondern im Zusammenhang des Ukraine-Kriegs* bedacht.
Zum Hintergrund: Ein Besuch des deutschen Staatsoberhauptes in der Ukraine ist von der Führung in Kiew abgelehnt worden. Eine gemeinsame Visite mit seinem polnischen Kollegen Andrzej Duda und den Staatschefs der baltischen Staaten sei in Kiew offenbar „nicht gewünscht“, sagte der Bundespräsident am Dienstag (12. April) während eines Besuchs in Warschau. (at) *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA