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Bundestag gibt historisches Go für schwere Waffen – Russland poltert zurück: „Es wird traurig enden“

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Von: Stephanie Munk

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Historische Entscheidung im Bundestag: Die Abgeordneten stimmten mit großer Mehrheit für die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine.

Berlin – Der Bundestag unterstützt die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine. Die Abgeordneten stimmten am Donnerstag mit großer Mehrheit von 586 Stimmen für einen gemeinsamen Antrag der Ampel-Koalition und der Unionsfraktion zur Unterstützung der Ukraine. Darin wird eine „Beschleunigung der Lieferung wirksamer, auch schwerer, Waffen und komplexer Systeme durch Deutschland“ verlangt. Mit Nein stimmten 100 Abgeordnete, 7 enthielten sich.

Im Bundestag führte zuvor eine teils hitzige Debatte zu den Waffenlieferungen. Die Bundesregierung hatte dazu vor zwei Tagen eine Kehrtwende gemacht und beschlossen, nun doch Panzer und anderes schweres Kriegsgerät an die Ukraine liefern zu wollen. Aus Russland kamen bereits am Donnerstagmittag Zornes-Bekundungen: Ex-Präsident Dmitri Medweg zog einen Vergleich mit Nazi-Deutschland. „Offenbar lassen den deutschen Abgeordneten die Lorbeeren ihrer Vorgänger keine Ruhe, die im vergangenen Jahrhundert unter anderem Namen im deutschen Parlament saßen“, schrieb der Vizechef des russischen Sicherheitsrats am Donnerstag im Nachrichtenkanal Telegram. „Das ist traurig für das Parlament. Es wird traurig enden.“

Antrag zu Waffenlieferungen beschlossen: Das steht drin

In dem Antrag mit dem Titel „Frieden und Freiheit in Europa verteidigen - Umfassende Unterstützung für die Ukraine“ wird die Bundesregierung aufgefordert „Lieferung benötigter Ausrüstung an die Ukraine fortzusetzen und wo möglich zu beschleunigen und dabei auch die Lieferung auf schwere Waffen und komplexe Systeme etwa im Rahmen des Ringtausches zu erweitern“. Die Fähigkeiten Deutschlands zur Bündnisverteidigung dürften dabei nicht gefährdet werden.

Die Bundesregierung erhielt auch ausdrückliche Rückendeckung für alle bisher ergriffenen Schritte, darunter die Sanktionen gegen Russland, Hilfe bei Ermittlungen wegen Kriegsverbrechen und den Umbau der Infrastruktur in Deutschland, um nicht mehr auf russische Energielieferungen angewiesen zu sein. „Der Deutsche Bundestag verurteilt den brutalen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine aufs Schärfste. Russland bricht damit das internationale und humanitäre Völkerrecht auf eklatante Weise und versucht, die europäische Friedensordnung dauerhaft zu zerstören“, heißt es in dem Antrag.

Bundestagsdebatte zu Ukraine-Waffenlieferungen: Merz startet mit scharfer Kritik an Olaf Scholz

Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) begann seine Rede im Bundestag mit harter Kritik an Bundekanzler Olaf Scholz (SPD). Er warf Scholz „Unsicherheit und Schwäche“ im Sprachgebrauch vor. „Der Bundeskanzler hat über Wochen die Diskussion über die Frage, ob der Ukraine denn nun Waffen geliefert werden sollten oder nicht, hingehalten, offengelassen, ausweichend beantwortet“, kritisierte Merz. Das sei nicht „Besonnenheit“, sondern „Zögern, Zaudern, Ängstlichkeit“. Dadurch habe man wertvolle Zeit verloren.

Friedrich Merz, CDU-Vorsitzender, redet zum Tagespunkt zur Lieferungen schwerer Waffen in die Ukraine.
Friedrich Merz, CDU-Vorsitzender, redet zum Tagespunkt zur Lieferungen schwerer Waffen in die Ukraine. © Fabian Sommer/dpa

Merz nannte es außerdem „herablassend“, dass Scholz Bundestagsabgeordnete, die seine Haltung zu Waffenlieferungen an die Ukraine kritisiert hatten, als „Jungs und Mädels“ bezeichnet hatte. „Das ist einem Bundeskanzler nicht angemessen“, so Merz. Scholz hatte in einem Interview gesagt, „manchen von diesen Jungs und Mädels muss ich mal sagen: Weil ich nicht tue, was Ihr wollt, deshalb führe ich.“ Gemeint gewesen waren offenbar die drei Vorsitzenden der Ausschüsse für Auswärtiges, Verteidigung und Europa - Michael Roth (SPD), Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) und Anton Hofreiter (Grüne), die Mitte April in die Westukraine gereist waren

Bundestag debattiert Ukraine-Waffenlieferungen: Merz nennt Warnungen vor Drittem Weltkrieg „verantwortungslos“

Zu den Lieferungen schwerer Waffen im Kampf gegen Putins Armee sagt Merz, diese müssten „immer das letzte Mittel sein“ und seien nicht zuletzt „ein Eingeständnis des Scheiterns von Diplomatie“. Die Union würde dies nicht leichtfertig befürworten, aber seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine stehe man vor einer neuen Situation.

Bedenken, dass die Lieferung schwerer Waffen die Gefahr eines Dritten Weltkriegs erhöhen, nannte Merz „unverantwortlich“ und „eine groteske Umkehrung von Ursache und Wirkung.“ Auch andere Länder würden schon lange Panzer und ähnliches an die Ukraine liefern, „warum sollten gerade deutsche Waffen diese Wirkung haben?“ Gerade Deutschland müsse wissen, „dass Beschwichtigung und Besänftigung die Ausweitung einer Aggression erst möglich macht“, so Merz. Einem Aggressor wie Putin müsse man auch mit schweren Waffen begegnet. Unterlasse man dies, dann werde er über kurz oder lang auch andere Länder bedrohen.

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Bundestag debattiert Ukraine-Waffenlieferungen: Klingbeil mahnt zu Besonnenheit auch bei „Zeitenwende“

SPD-Chef Lars Klingbeil sprach nach Merz im Namen der SPD-Fraktion – Kanzler Scholz befindet sich derzeit auf Staatsbesuch in Japan. Klingbeil erinnerte zuerst an die Schrecken des Krieges und das Leid der Menschen in der Ukraine. „Wir stehen an der Seite der Ukraine, das machen wir mit diesem Antrag deutlich.“

Lars Klingbeil, SPD-Vorsitzender, redet zum Tagespunkt zur Lieferungen schwerer Waffen in die Ukraine.
Lars Klingbeil, SPD-Vorsitzender, redet zum Tagespunkt zur Lieferungen schwerer Waffen in die Ukraine. © Fabian Sommer/dpa

Mit Blick auf Merz‘ Generalkritik am Kanzler betonte Klingbeil sodann: „Herr Merz, es war mir wichtig, das am Anfang zu sagen. Bei Ihnen hat es fünf Minuten gedauert.“ Der Oppositionsführer habe die Chance gehabt, eine „staatspolitische Rede zu halten, sie ist aber parteipolitisch geworden“, schoss Klingbeil zurück, „aber hier ist nicht der Platz für parteipolitische Profilierung.“

Deutschland unterstütze die Ukraine sei Beginn des Kriegs, erinnerte Klingbeil, „aber wir haben auch Prinzipien“: Man müsse sich mit internationalen Partnern abstimmen, sich genügend eigene Mittel zur eigenen Verteidigung und Verteidigung des Nato-Bündnisgebiets bewahren und dürfe nicht selbst zur Kriegspartei werden. „Ich bin dankbar, dass wir eine Regierung haben, die schnell entscheiden kann, aber auch Grundüberzeugungen und Prinzipien hat, die man auch in der Zeitenwende nicht über den Haufen wirft.“

Bundestagsdebatte zu Waffenlieferungen: Ukraine könne Russland nicht schutzlos ausgeliefert werden

Der russische Angriffskrieg in der Ukraine breche „in eklatanter Weise“ mit internationalem Recht und zerstöre die europäische Friedens- und Sicherheitsordnung, hatte zuvor Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann in ihrem Redebeitrag gesagt. Die Ukraine habe ein „uneingeschränktes Recht auf Selbstverteidigung“. Deutschland wolle nicht Kriegspartei werden, könne das Land aber nicht dem Aggressor Russland schutzlos ausliefern. Deshalb müsse die Ukraine auch mit Waffenlieferungen unterstützt werden.

Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Agnieszka Brugger kritisierte Merz‘ Generalattacke auf Kanzler Scholz via Twitter: Dieser hätte besser Einigkeit demonstrieren sollen, anstatt derart scharf aufzutreten.

Bundestagsdebatte zu Ukraine-Waffenlieferungen: Habeck erklärt sich in emotionalem Video

Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) hat kurz vor Start der Bundestagsdebatte ein Video auf Twitter veröffentlicht, in dem er erklärt, weshalb er für die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine stimmen werde. Habeck schildert in dem Video auf emotionale Weise seine Reise in die Ukraine vor einem Jahr. Jetzt wisse er, dass das Hotel in Mariupol, in dem er damals wohnte, zerstört sei, und frage sich, ob sie Menschen, denen er dort begegnet sei, noch leben.

Er sei sich bewusst, dass durch die Entscheidung Deutschlands, schwere Waffen zu liefern, ebenfalls Menschen sterben würde, so Habeck: „In diesem Fall russische Soldaten, aber die hatten wahrscheinlich auch was besseres vor, als ihr Leben für Putin zu lassen.“ Er verstehe deshalb auch Menschen, die die Lieferung von Waffen falsch fänden. „Ich glaube aber, sich nicht dafür zu entscheiden, lädt größere Schuld auf einen“, begründet Habeck seine Entscheidung, im Bundestag für den Antrag zu stimmen. „Selbst wenn man nichts tut, beteiligt man sich am Töten.“

Bundestagsdebatte zu Ukraine-Waffenlieferungen: Strack-Zimmermann prangert „deutsche Ruhe“ an

Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, sagte bei der Debatte, Deutschland habe Warnzeichen übersehen und „naiv, ignorant, in deutscher Ruhe“ zugesehen, wie Russland bereits vor acht Jahren einen Krieg in der Ostukraine anzettelte, sagte die FDP-Politikerin am Donnerstag im Bundestag. Seitdem seien 14.000 Menschen ums Leben gekommen.

„Es geht um Freiheit und Demokratie, um Selbstbestimmung, um Menschenrechte, die mit den Füßen getreten werden“, sagte Strack-Zimmermann. Deshalb bitte, rufe und schreie die Ukraine „nach unserer Hilfe“. Strack-Zimmermann unterstrich: „Und das mag manchen tierisch auf den Keks gehen. Wir sollten aber so lange bereit sein, da zu stehen, so lange, bis die vollständige territoriale Integrität der Ukraine wiederhergestellt ist.“

Bundestagsdebatte zu Ukraine-Waffenlieferungen: Unionsfraktionsvize kritisiert Abwesenheit von Scholz

Unionsfraktionsvize Johann Wadephul (CDU) kritisierte in der Debatte, dass Kanzler Olaf Scholz wegen seiner Japanreise nicht anwesend war. In dieser historischen Situation und nach der schwierigen Entscheidung für die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine wäre es seine Verantwortung als Kanzler gewesen, Deutschland und der Welt zu erklären, warum diese Entscheidung getroffen worden sei, sagte Wadephul. Vorher hatte es schon AfD-Fraktionschef Tino Chrupalla als „unentschuldbar“ bezeichnet, dass Scholz nicht anwesend sei. Der Bundestag streite über Krieg und Frieden „und Herr Scholz reist zur Kirschblüte nach Japan“.(smu mit Material von AFP)

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