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„Wir können die Zukunft nicht fühlen“: Darum verdrängen wir die Klimakrise

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Von: Christiane Kühl, Anna-Katharina Ahnefeld

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Ist Skifahren noch zeitgemäß? Daran scheiden sich die Geister. Besonders bei Aufnahmen aus Skigebieten wie in diesem Winter.
Durch Aufnahmen wie diese aus dem Skigebiet Schruns in Österreich wird klar: Der Klimawandel hat uns längst erreicht. Ist Skifahren noch zeitgemäß? © Dietmar Stiplovsek/afp

Viele unserer Gewohnheiten schaden dem Klima. Wir wissen das – und halten trotzdem an ihnen fest. Weil wir uns als Einzelne zu klein fühlen. Dabei können schon kleine Schritte sehr motivierend sein.

Frankfurt – Eines der bekanntesten Internet-Memes zeigt einen Hund, der in einem brennenden Haus sitzt und sagt: „This is fine“. Zwar ist offensichtlich nichts „in Ordnung“, kurz darauf sieht man ihn in Flammen aufgehen. Dennoch kommt er nicht auf die Idee, sich aus der Falle zu befreien, sondern trinkt in Ruhe seinen Kaffee – im tiefen Glauben, dass am Ende doch noch alles irgendwie gut wird. Wird es? Talkshowmaster Markus Lanz rief kürzlich die Aktivistin Carla Rochel von der „Letzten Generation“ dazu auf, angesichts der Klimakatastrophe doch nicht den Mut zu verlieren, sondern an die Anpassungsfähigkeit der Menschen zu glauben: „Sie sind jung, Sie müssten optimistisch sein!“

Die Realität macht Optimismus allerdings schwer. Die im Pariser Klimaabkommen angepeilte Erderwärmung von maximal 1,5 Grad ist kaum noch zu schaffen, aktuell ringen wir um die 2 Grad. Die globale Erhitzung bringt Dürren, Überflutungen, einen Anstieg des Meeresspiegels und tödliche Hitzewellen mit sich. Und das nicht in einer fernen Zukunft, sondern innerhalb der nächsten Jahrzehnte. Doch bisher führt auch eine Anerkennung der auf uns zukommenden Klimakrise bei den meisten Menschen nicht automatisch zum Handeln. Stattdessen klafft eine Lücke zwischen ihren Werten und ihrem Tun, die kognitive Dissonanz genannt wird. Vereinfacht gesagt: Wir wissen zwar, dass unser Konsum oder Fliegen, Skifahren und Autofahren klimaschädlich sind. Doch wir ändern unser Verhalten nicht.

Klimakrise verdrängen: Warum tun wir das überhaupt?

Warum ist das so? „Wir können die Klimakrise ausblenden“, sagt Prof. Dr. Myriam Bechtoldt, Psychologin an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht und Mitglied von Psychologists for Future, im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau von IPPEN.MEDIA. Die schlimmsten Klimaschäden liegen in der fernen Zukunft. Die aktuellen Veränderungen des Klimas sind zwar real, aber bisher gering oder nicht überall spürbar. Die Flutkatastrophe im Ahrtal mit vielen Toten war zwar schlimm, wird aber eher als singuläres Ereignis empfunden und ist für viele Menschen doch weit weg.

Das mache es unglaublich schwer zu verinnerlichen, dass sich eine Katastrophe ereigne, sagt Bechtoldt. „Wir können nur die Gegenwart erleben, physisch, emotional, seelisch. Die Vergangenheit und die Zukunft sind abstrakte Konzepte, die wir kognitiv verstehen können, aber nicht fühlen. Dadurch haben diese eine andere Dringlichkeit und auch eine andere Wahrheit für uns. Wahr ist das, was ich jetzt gerade empfinde.“

Wir alle müssen etwas tun – aber glauben doch, nichts ausrichten zu können

Zugleich wissen wir aber, dass wir vor einem erdrückenden Problem stehen. Und wir wissen, dass wir alle etwas tun müssen. Das gilt für uns selbst, und für Politiker:innen oder Unternehmenslenker:innen. „Die Krux ist, dass wir ein kollektives Problem haben“, sagt die Sozialpsychologin Dr. Karen Hamann von der Universität Leipzig der Frankfurter Rundschau von IPPEN.MEDIA. „Viele Menschen müssen handeln, es müssen sich ganze gesellschaftliche Strukturen verändern, um eine wirkliche sozial-ökologische Transformation hinzubekommen. Dadurch entsteht das Gefühl, dass wir als Einzelne nichts bewirken können. Und wenn dieses Gefühl zu stark wird, führt das dazu, dass wir uns mit dem Problem lieber gar nicht erst beschäftigen wollen.“

Die Folge: Medien berichten zu wenig, und viele Zeitungslesende gehen Artikeln zur Klimakatastrophe aus dem Weg. Andere reden einen nachhaltigen Lebensstil, vegetarische und vegane Ernährung oder Klima-Proteste mit Scherzchen klein. Dieses Ausweichen ist zwar ein normales Verhalten, das bei privaten Krisen sogar hilft, etwa um mit Trauer fertigzuwerden. „Doch bei kollektiven Krisen wie dem menschengemachten Klimawandel sind diese Strategien fatal“, sagt Hamann, die sich auch im Verein Wandelwerk Umweltpsychologie engagiert. Sie führen hier eher dazu, den Kopf in den Sand zu stecken.

Klimakrise: Wir leben in einer nicht nachhaltigen Gesellschaft

Wer sein Leben bewusst verändert, steht oft allein da. „Wir leben in einer Gesellschaft, in der sich die meisten anderen nicht nachhaltig verhalten“, sagt Hamann. „Auch die Strukturen sind weiterhin auf das gewohnte, wenig umweltfreundliche Verhalten ausgelegt.“ Wir alle kennen es: In den meisten Städten ist es bequemer, mit dem Auto zu Arbeit zu fahren, als mit dem Rad oder der U-Bahn. Unsere Bequemlichkeit ist uns wichtig. Und wer ein wenig Geld hat, konsumiert weit mehr als nötig. Was finden die Menschen schlimmer, persönlichen Verzicht oder die Folgen der Klimakrise? Viele Menschen sehen laut Bechtoldt das größere Problem darin, ihren mühsam erarbeiteten Lebensstandard womöglich aufgeben zu müssen.

Klimakrise: Gegen die Angst helfen gleichgesinnte Gruppen

Was uns nicht berührt, treibt uns nicht zum Handeln. Leider sind Angst und Krisenempfinden der bessere Katalysator. Deshalb ist es kein Wunder, dass sich vor allem junge Menschen wie die Aktivistin Carla Rochel für das Klima einsetzen. Der Großteil der Menschen zwischen 16 und 25 Jahren empfinde die Zukunft als beängstigend, ergab eine internationale Studie der University of Bath im Jahr 2021. Zwei Drittel der Befragten gab an, sich deshalb traurig und ängstlich zu fühlen. Was tun? „Es hilft, sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren“, empfiehlt Myriam Bechtoldt. „Was wir wirklich beeinflussen können, ist unsere Gegenwart, ist der heutige Tag. An diesem Tag kann ich das tun, was richtig ist, ich kann mich wert-konform verhalten. Und wenn ich das tue, fühle ich mich schon besser – weil ich das Gefühl habe, ich tue das, woran ich glaube. Und das gibt Kraft.“

Karen Hamann rät Menschen, die etwas verändern wollen, sich Gruppen mit ähnlichen Perspektiven zu suchen. Auch steigert es das Gefühl der Selbstwirksamkeit, sich in einem Umfeld zu bewegen, in dem auch andere bewusst mit der Bahn fahren, Plastik vermeiden oder regional einkaufen – ohne gleich als „Spaßbremse“ zu gelten. Erfolge eines Klima-Engagements seien auch im kleinen Rahmen motivierend, sagt Hamann – „vor allem, wenn sie langfristige strukturelle Veränderungen bewirken.“

Klar ist: Wenn wir unser Konsumverhalten ändern, hilft das zwar unserem Selbstgefühl und erhöht die Nachfrage nach umweltfreundlichen Produkten. Für die großen Stellschrauben aber sind Politik und Wirtschaft zuständig. „Wir brauchen strukturelle Veränderungen auf gesellschaftlicher Ebene, die es jedem von uns ermöglichen, sich richtig zu verhalten“, sagt Bechtoldt. „Wir werden die Klimakrise nicht dadurch in den Griff bekommen, dass wir uns nicht mehr erlauben, in den Urlaub zu fahren. Das Thema ist viel zu groß, als dass wir es der Verantwortlichkeit jedes Einzelnen überlassen. Die größten Klimaschädlinge sind Industrie oder Verkehr.“ Was wir laut Bechtoldt selbst tun können: Zum nötigen Druck aus der Gesellschaft heraus beitragen, damit die Klimakrise in Medien und Politik mehr diskutiert wird. Auch der Hund im Meme könnte etwas tun – zum Beispiel das Feuer löschen, bevor es sich ausbreitet und ihn verbrennt. Dann wäre wirklich alles „fine“.

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