„Nie wieder Grüne“: Habecks Gipfelstürmer am Autobahn-Abgrund - Schon jetzt nur CDU-„Schoßhund“?
In einem knappen Jahr wollen die Grünen in die Bundesregierung. Doch schon jetzt zeigen sich Abgründe - einstige Unterstützer vergleichen Parteispitzenpersonal mit Jair Bolsonaro.
Berlin/Wiesbaden - Jahrzehntelang waren die Grünen vorne mit dabei, wenn es Umweltproteste gab. Vor Ort oder auch im Parlament. Nun schickt sich die Partei an, bei der Bundestagswahl 2021 zum zweiten Mal in Regierungsverantwortung zu kommen Und ausgerechnet jetzt - schon jetzt - bekommt sie die Schattenseiten des Erfolgs zu spüren: Im Dannenröder Forst, wo Aktivisten gegen einen Autobahnbau protestieren, gelten sie auf einmal als Gegner. Womöglich ein Vorgeschmack auf größere Verwerfungen...
Grüne im Dilemma: Umweltpolitik wie bei Bolsonaro? Autobahn-Streit legt heikles Problem offen
In Hessen, wo die A49 auch unter der schwarz-grünen Landesregierung durch den Dannenröder Forst planiert werden soll, ist derzeit viel los. Der Wald ist besetzt. Eine Demo jagt die andere. Und die Aktivisten haben nun einen neuen Feind ausgemacht: Die Grünen. Die der Öko-Partei nahestehende taz hat Anfang Oktober ein besonders harsch formuliertes Protest-Banner ausgemacht: „Bolsonaro in Brasilien – in Hessen Al-Wazir“. Ein harter Angriff auf den grünen Vizeregierungschef Tarek Al-Wazir. Gilt doch Jair Bolsonaro als Totengräber des Regenwaldes. „Voldemort“ wurde Al-Wazir ebenfalls genannt. Den Slogan „Nie wieder die Grünen“ sah der Spiegel auf ein Transparent gepinselt.
Die Lage ist pikant. Im Bundestag forderten die Grünen* zuletzt gar ein generelles Moratorium für neue Autobahnen und Bundesstraßen. Für die A49 verlangten sie einen Baustopp. Das stieß auf herbe Kritik: Von einem „Rückfall in grüne Sponti-Politik“ sprach der FDP-Verkehrsexperte Oliver Luksic - und von einer „Partei der Autohasser“. Spott kam von Ex-Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU): Die Grünen müsse man daran erinnern, „dass auch Elektroautos nicht fliegen können“. Womöglich war das aber schon die Grüne-Reaktion auf ein Dilemma, das die Gemüter erhitzte.

Denn stärker getroffen hat die Grünen eventuell ein Vorwurf des alten Koalitionspartners SPD. Deren Fraktionsvize Sören Bartol warf der Ökopartei Populismus vor. In den Ländern bauten grüne Verkehrsminister munter Straßen, im Bundestag werde das Gegenteil gefordert. Das fällt der Partei nun eben auch in Hessen auf die Füße. Als Bundesgeschäftsführer Michael Kellner bei einer Demo im Dannenröder Forst sprach, schallte der Zorn lautstark aus dem Publikum.
Grüne in Nöten: Hessischer Vize-Ministerpräsident sieht sich machtlos - doch der Fehler könnte früher passiert sein
Wie reagiert die Partei? Al-Wazir meint: Ihm seien die Hände gebunden. Der Bundestag habe den Bau beschlossen, die Gerichte hätten zugestimmt. „Ein Minister kann und darf sich nicht aussuchen, welches Gesetz er umsetzt“, betonte er im Landtag. Und betonte: „Ich war immer gegen das Projekt.“
Dem Bericht der taz zufolge hat sich die Partei aber womöglich selbst in die Bredouille gebracht. Die Grüne-Landtagsabgeordnete Katy Walther erklärte, man habe im Koalitionsvertrag mit der CDU* einen Hebel untergebracht, um die Autobahn zu verhindern. Allzu mächtig scheint er in der Rückschau gleichwohl nicht. Eine rechtssichere durchgehende Planung und eine gesicherte Finanzierung seien gefordert gewesen. Beides liegt nun vor. Offenbar waren für die Regierungsbeteiligung Zugeständnisse nötig.
Schwarz-Grün nach der nächsten Bundestagswahl? SPD sieht Ökopartei schon jetzt als CDU-“Schoßhund“
Der Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz geriet auf Twitter am Sonntag in einen vielsagenden Wortwechsel. Es sei „schon auch drollig“, dass „gerade diejenigen, die sonst keine Gelegenheit auslassen, den Grünen eine kompromisslose Fundihaltung vorzuwerfen, derzeit Kompromisse in Koalitionsverträgen auf Landesebene als Verrat an der Grünen Sache anführen“, beklagte er sich. Auch einen Giftpfeil an die Adresse der SPD schoss er ab - die vertrete in Sachen „dringend notwendiger Änderungen“ in Sachen Klima, Verkehr und Landwirtschaft doch sonst explizit andere Positionen.
Die Retourkutsche folgte schnell. „Drollig ist, dass ihr im Bund mit Fundipositionen Wahlkampf macht und auf Landesebene mit #Schwarzgrün als Schoßhund der CDU das Gegenteil“, ätzte der hessische SPD-Fraktionsgeschäftsführer Bastian Fleig.
Grüne im Autobahnstress: Luisa Neubauer zählt Partei an - „mit jedem gefällten Baum...“
Für die Grünen könnte es so oder so nun unangenehm werden. Ein Clinch mit Umwelt- und Klimaschützern könnte Stimmen kosten. Und die schwersten Proben könnten nach der Bundestagswahl womöglich noch folgen. Denn Dobrindt hätte es wohl gar nicht gebraucht, um die Öko-Partei an ein Problem zu erinnern: Unter einem Unionskanzler* wird die A49 nicht der letzte Autobahnneubau bleiben. Selbst, wenn der Juniorpartner Grüne heißt - und dessen Wählerschaft zu großen Teilen den Protestierenden die Daumen drückt.
Luisa Neubauer, deutsche Ikone der Klimabewegung „Fridays For Future“* hat schonmal eine Art Strichliste aufgemacht: „Mit jedem gefällten Baum“ schwinde die „ökologische Integrität der (schwarz-)Grünen“. Und ausgerechnet Friedrich Merz hat bereits einmal klargestellt: Schwarz-Grün, das ist eine Option... (fn) *Merkur.de ist Teil des Ippen-Digital-Netzwerks.