Ungarn verzögert Sanktionen gegen Russland
Auf einem Gipfeltreffen beraten die EU-Staaten die weitere Strategie im Ukraine-Konflikt – und einigen sich auf einen Kompromiss beim Öl-Embargo gegen Russland.
+++ 23.20 Uhr: Das geplante EU-Sanktionspaket und das damit verbundene Teil-Ölembargo gegen Russland konnten am Mittwoch (1. Juni) nicht verabschiedet werden, wie die Agence France-Press (afp) berichtet. Bei den Detailverhandlungen habe Ungarn eine Verzögerung bewirkt, so EU-Diplomaten. Ungarn wollte den Angaben zufolge, die Sanktionen gegen den russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill nicht mittragen.

Botschafter der 27 Mitgliedsstaaten hatten sich getroffen, um die juristischen Details der Sanktionen zu klären. Neben dem Patriarchen stehen rund 60 weitere Kreml-nahe Personen auf der Sanktionsliste. Außerdem sollen drei weitere russische Banken von dem Zahlungssystem Swift ausgeschlossen werden, so afp.

„Hitze Debatte“ über Putin-Anrufe: Estlands Regierungschefin nennt Details zu EU-Gipfel
Update vom Mittwoch, 1. Juni, 12.00 Uhr: Auf dem EU-Gipfel gab es offenbar hitzige Diskussionen darüber, ob und in welchem Umfang Telefonate mit Wladimir Putin geführt wurden und geführt werden sollen. Das erklärte Estlands Regierungschefin, Kaja Kallas, im TV: „Wir hatten eine sehr hitzige Debatte darüber, Putin anzurufen.“ Sie habe dabei ihre Ansicht darüber geäußert, was „die sogenannten Vorteile“ der Telefonate seit Beginn des Ukraine-Kriegs gewesen sind. Kallas hatte sich wiederholt kritisch zu Gesprächen mit Putin gezeigt.
Seit Beginn der russischen Invasion hat Bundeskanzler Scholz bereits mehrfach mit Putin telefoniert. Am Samstag (28. Mai) fand das jüngste Telefonat statt. Zuvor hatte mehrere Wochen Funkstille zwischen Berlin und Moskau geherrscht.
+++ 23.00 Uhr: Der Energie-Streit zwischen der Russland und der EU spitzt sich weiter zu. Während von dem russischen Energiekonzern Gazprom zuvor bereits der Stopp von Lieferungen an den niederländischen Versorger Gasterra bekannt gegeben wurde, folgten nun zwei weitere, wie afp schreibt. Ab Mittwoch (1. Juni) wird von russischer Seite der Gashahn nun auch für das dänische Unternehmen Orsted und den britisch-niederländischen Konzern Shell zu gedreht.
Grund sei die Weigerung der Unternehmen, sich auf eine Zahlung in Rubel einzulassen. Aufgrund der Sanktionen der EU gegen Russland hatte Wladimir Putin Zahlungen von „unfreundlichen“ Ländern in Rubel gefordert. Da die Verträge in Dollar und Euro geschlossen wurden, ist der Forderung in den meisten EU-Ländern nicht nachgekommen worden. Zuvor beendete Russland die Lieferung für die Länder: Finnland, Bulgarien und Polen.
Öl-Embargo gegen Russland: Orban spricht von „verhinderter Atombombe“
+++ 13.00 Uhr: Familien können heute Nacht ruhig schlafen“, verkündete Viktor Orbán, denn: „Wir haben die haarsträubendste Idee abgewehrt.“ Ungarns Premier äußerte sich nach der Kompromiss-Entscheidung zum Öl-Embargo gegen Russland umgehend auf Facebook. „Wir haben eine Vereinbarung getroffen, die besagt, dass Länder, die Öl durch Pipelines erhalten, ihre Volkswirtschaften unter den bisherigen Bedingungen weiter betreiben können“, fuhr Orbán fort. Der EU-Beschluss soll bis Ende des Jahres mehr als zwei Drittel der russischen Ölimporte abdecken.
Bei den Verhandlungen kam aus der ungarischen Regierung offenbar enormer Widerstand. Ein vollständiges Importverbot für russisches Öl wäre für Ungarn „untragbar“ und „wie eine Atombombe“ gewesen, sagte Orbán in seiner Botschaft weiter. „Aber wir haben es geschafft, das zu verhindern.“ Kanzler Olaf Scholz (SPD) sprach dennoch von „einschneidenden“ Sanktionen gegen Russland. An seiner Politik im Ukraine-Konflikt gab es aber nun erneut prominente Kritik.
+++ 10.30 Uhr: Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, hat den Kompromiss beim Öl-Embargo gegen Russland als „Halbschritt“ bezeichnet. Melnyk äußerte sich nach dem gemeinsamen Beschluss auf dem EU-Gipfel gegenüber dem Deutschlandfunk. Auch mit dem getroffenen Beschluss seien weiterhin Lieferungen von russischem Erdöl möglich, beklagte der ukrainische Botschafter.
Auf diese Weise erhalte Wladimir Putin weiterhin Millionen Euro aus Europa, um Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine zu finanzieren, so Melnyk. Beispielsweise biete der russische Präsident Soldaten das Vierfache an, um sie als Söldner für den Ukraine-Krieg anzuheuern. Das sei die russische Strategie, um schwere Verluste zu kompensieren. Melnyk betonte, dass ein sofortiges, vollumfängliches Öl-Embargo nötig sei, um Putin Einhalt zu gebieten.
Update vom Dienstag, 31. Mai, 00.30 Uhr: Die EU-Staats- und Regierungschefs haben sich auf ein Öl-Embargo für einen Großteil der Einfuhren an Erdöl aus Russland verständigt. Der Beschluss decke bis Ende des Jahres „mehr als zwei Drittel der Öl-Einfuhren aus Russland ab“, sagte EU-Ratspräsident Charles Michel am späten Montagabend (30. Mai) in Brüssel. Die EU schneide den Kreml so „von einer riesigen Finanzierungsquelle für seine Kriegsmaschinerie ab“, betonte er in einem ersten Statement.
+++ 20.30 Uhr: Die Pläne für ein vollständiges europäisches Öl-Embargo gegen Russland sind wegen einer Blockade aus Ungarn vorerst vom Tisch. Bei einem Gipfeltreffen in Brüssel zeichnete sich am Montagabend ab, dass die 27 EU-Staaten - wenn überhaupt - nur ein eingeschränktes Verbot von russischen Öl-Importen beschließen. Demnach würden nur Lieferungen über den Seeweg unterbunden. Der Bezug per Pipeline wäre hingegen weiter möglich. Ungarn könnte sich somit weiterhin auf dem Landweg über die riesige Druschba-Leitung versorgen.
Diesen Kompromiss schlug die EU-Kommission unter ihrer Präsidentin Ursula von der Leyen angesichts der bisherigen Blockade aus Budapest kurz vor dem Gipfel vor. Ungarns rechtsnationaler Regierungschef Viktor Orban begrüßte dies, stellte aber neue Forderungen. Wegen des seit mehr als drei Monate dauernden Angriffskriegs auf die Ukraine hat die EU Russland bereits mit massiven Sanktionen belegt. Die Europäer sind darum bemüht, gegenüber Moskau geschlossen aufzutreten.
EU-Gipfel: Ungarn blockiert vollständiges Öl-Embargo
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte zu den jüngsten Entwicklungen: „Alles, was ich höre, klingt danach, als ob es einen Konsens geben könnte. Er machte zugleich deutlich, dass Deutschland ebenso wie Polen nicht von der Ausnahme für Pipeline-Öl profitieren will. Auch EU-Ratspräsident Charles Michel und andere Gipfelteilnehmer zeigten sich optimistisch, dass nach wochenlangem Streit ein Kompromiss gelingt. Nach Angaben des niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte würde das Embargo trotz der Ausnahmeregelung dazu beitragen, die russischen Ölverkäufe in die EU um rund 90 Prozent zu reduzieren.
Ungarns Regierungschef Orban bezeichnete den Kompromissvorschlag als guten Ansatz - stellte zugleich jedoch erneut Forderungen. Er verlangte Garantien, falls etwa wegen eines Unfalls kein Pipeline-Öl mehr in sein Land geliefert werden könne. Dann müsse Ungarn das Recht haben, Öl auch über den Seeweg zu beziehen. Außerdem forderte Ungarn Finanzzusagen für den Umbau seiner Öl-Infrastruktur. Die Kosten für die Umstellung von Raffinerieanlagen auf nicht-russisches Öl bezifferte die Regierung in Budapest auf bis zu 550 Millionen Euro. Zudem müssten 200 Millionen investiert werden, um das Land künftig über eine Pipeline zu versorgen, die an der Adriaküste beginnt.
EU-Gipfel: Streit über Öl-Embargo gegen Russland – Ungarn blockiert erneut Kompromiss
Erstmeldung vom Montag, 30. Mai, 09.28 Uhr: Brüssel – Der am Montag (30. Mai) beginnende EU-Gipfel in Brüssel könnte von dem anhaltenden Streit über ein Öl-Embargo der EU gegen Russland überschattet werden. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur verhinderte die Regierung des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban am Sonntag (29. Mai) die Einigung auf einen neuen Kompromissvorschlag, indem sie ihre Zustimmung von finanziellen Zusagen der EU abhängig machte. Auch Länder wie die Niederlande äußerten sich kritisch zu dem Kompromissvorschlag.
Um die seit Wochen anhaltende Blockade Ungarns zu lösen, hatte die EU-Kommission zuvor vorgeschlagen, vorerst nur die Einfuhr von per Schiff transportiertem Öl auslaufen zu lassen. Das von russischen Energieträgern stark abhängige Ungarn könnte sich demnach weiterhin über die riesige Druschba-Pipeline mit Öl aus Russland versorgen.
An die Leitung sind auch Raffinerien in der Slowakei und in Tschechien sowie in Polen und Ostdeutschland angeschlossen. Deutschland und Polen haben allerdings bereits klargestellt, dass sie unabhängig von einem Embargo bis Ende dieses Jahres unabhängig von russischen Öllieferungen werden wollen. Vorher sollte das Öl-Embargo ohnehin nicht vollständig in Kraft sein.
EU-Gipfel: Ungleiche Bedingungen bezüglich der Öl-Exporte aus Russland befürchtet
Bei den nun von Ungarn geforderten Finanzzusagen geht es nach Angaben aus EU-Kreisen vor allem um Mittel, die das Land für den mittelfristigen Umbau seiner Öl-Infrastruktur will. So beziffert die Regierung in Budapest die Kosten für die notwendige Umstellung von Raffinerieanlagen auf nicht-russisches Öl auf bis zu 550 Millionen Euro. Zudem müssen den Angaben zufolge 200 Millionen Euro investiert werden, um das Land künftig über eine an der Adriaküste beginnende Pipeline zu versorgen.
Inhaltliche Probleme mit dem Kompromissvorschlag haben nach Angaben von Diplomaten hingegen die Niederlande. Sie befürchten, dass es in der EU zu ungleichen Wettbewerbsbedingungen kommen könnte, wenn einige Staaten weiter relativ günstiges Pipeline-Öl aus Russland beziehen. Relevant ist dies auch, weil der Hafen in Rotterdam bislang ein wichtiger Umschlagplatz für russisches Öl ist und dort durch das Embargo zunächst Geschäft wegbrechen könnten.
Der ursprüngliche Vorschlag der EU-Kommission sah vor, wegen des Ukraine-Kriegs den Import von russischem Rohöl in sechs Monaten und den von Ölprodukten in acht Monaten komplett zu beenden. Lediglich Ungarn und die Slowakei sollten 20 Monate Zeit bekommen.
EU-Gipfel: Zur Not Lösungen ohne Ungarn?
Der CSU-Europapolitiker Manfred Weber sprach sich vor dem Hintergrund der Diskussionen gegen weitreichende Kompromisse zugunsten von Ungarn aus. „Ich bin es ehrlich gesagt leid, dass sich die gesamte EU bei den Sanktionsbeschlüssen immer nach dem Zögerlichsten richten muss“, sagte der Vorsitzende der christdemokratischen EVP-Fraktion der Deutschen Presse-Agentur. Wenn der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban die gegen Russlands Präsidenten Wladimir Putin notwendige Geschlossenheit blockiere, müssten zwischenstaatliche Lösungen ohne Ungarn gesucht werden.
„Wenn es nicht anders geht, dann darf dieser Weg nicht ausgeschlossen sein“, sagte Weber mit Blick auf die Option, das Öl-Embargo ohne die Einbeziehung Ungarns zu beschließen. Orban müsse gezeigt werden, dass es nicht den Rest der EU in Geiselhaft nehmen könne.
Deutschland zeigte sich nach Angaben von EU-Diplomaten bei den EU-Beratungen am Sonntag grundsätzlich bereit, dem Kompromissvorschlag der Kommission zuzustimmen. Zugleich machte die Bundesregierung demnach deutlich, dass die Ausnahmeregelungen eigentlich nicht in ihrem Interesse sind. (tk/tu/lm mit AFP/dpa)