Mögliche Gasknappheit und Ausstieg aus fossilen Energien – Habeck sieht „Zerreißprobe“ kommen
Robert Habeck spricht angesichts drohender Gas-Stopps von „Albtraum-Szenario“ und „Zerreißprobe“. Auch Olaf Scholz sieht jahrelange Energieprobleme kommen. Wie ist die Lage aktuell?
Berlin - „Politisches Albtraum-Szenario“: Deutschland bereitet sich laut Wirtschaftsminister Habeck auf einen teuren Winter und Gassparen vor. Das „Albtraum-Szenario“, wie er es nennt, würde eintreten, wenn der Staat im akuten Krisenfall die Zuteilung von Gas steuern müsste, sagte Habeck am Samstag dem Deutschlandfunk.
Er mache sich „keine Illusion“, was dann passieren werde, so der Grünen-Politiker. „Das wird Deutschland vor eine Zerreißprobe stellen, die wir lange so nicht hatten.“ Ein akuter Gasmangel würde die gesellschaftliche Solidarität „bis an die Grenze und wahrscheinlich darüber hinaus“ strapazieren, heißt es weiter. Doch woher kommen die düsteren Worte?
Potenzieller Gas-Stopp durch Russland nach Wartung: Habeck stellt sich auf „Schlimmstes“ ein
Seit Beginn der Sanktionen bereitet sich Deutschland auf weniger Gaslieferungen aus Russland vor. Zahlreiche Ersatzmaßnahmen wurden bereits getroffen. Aktuell steht jedoch zusätzlich die Wartung von Nordstream 1 an. Am 11. Juli beginnen jährliche 10-tägige Wartungsarbeiten. Im Zuge dessen wird die Gaszufuhr von Russland nach Deutschland abgestellt. Die Bundesregierung bereitet sich für den Fall vor, dass Wladimir Putin auch danach die Gaszufuhr stoppt, berichtet das RND. Gazprom hatte die Lieferungen bereits Mitte Juni verringert und mit Verzögerungen bei Wartungsarbeiten begründet. Aktuell fließen noch etwa 40 Prozent der Maximalmenge durch die Rohre.
Robert Habeck warf dem Gaskonzern vor, unter „fadenscheinigen Gründen“ die Gaslieferungen nach Deutschland reduziert zu haben. Unklar sei, wie es nach den am Montag beginnenden Wartungsarbeiten an der Pipeline Nord Stream 1 weitergehen werde.

„Alles ist möglich, alles kann passieren“, sagte Habeck. „Es kann sein, dass wieder mehr Gas fließt, auch mehr als davor. Es kann aber auch sein, dass gar nichts mehr ankommt.“ Der Minister riet: „Wir müssen uns ehrlicherweise immer auf das Schlimmste einstellen und ein bisschen für das Beste arbeiten.“
Notlage im Winter? Robert Habeck erklärt Gegenmaßnahmen
Eine Notlage, in der der Staat in die Verteilung eingreifen würde, müsse durch Einsparen von Gas und Einspeichern verhindert werden, so Habeck. Der Minister betonte, dass im Krisenfall laut europäischer Rechtsnorm in den privaten Gasverbrauch sowie die kritische Infrastruktur wie Krankenhäuser und Altenheime „als Allerletztes“ eingegriffen werde. Konkrete Entlastungen für Bürger werden derzeit bereits in der Regierung diskutiert.
Staatlicher Eingriff in die Energieversorgung
Der Notfallplan Gas regelt in Deutschland die Lage, sollte die Energieversorgung drohen sich zu verschlechtern. Die drei Stufen umfassen die Frühwarnstufe, die Alarmstufe und die Notfallstufe. Private Haushalte, aber auch Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen, die Feuerwehr und die Polizei sind in der dritten und höchsten Stufe.
Ende Juni wurde die zweite Stufe, die Alarmstufe ausgerufen.
Energiesicherheit: Olaf Scholz spricht von Problem der „nächsten Wochen, Monate und auch Jahre“
Olaf Scholz sieht das Problem der Energiesicherheit noch als jahrelanges Thema. „In diesen Tagen beschäftigt uns die Sicherheit unserer Energieversorgung. Sie wird es noch die nächsten Wochen, Monate und auch Jahre“, sagte der Kanzler in einer am Samstag veröffentlichten Videobotschaft.
Er betonte, die Bundesregierung habe bereits binnen kurzer Zeit viele Entscheidungen getroffen, damit Deutschland gut vorbereitet sei „auf Mangellagen, etwa wenn es um Gas geht“. Er sagte: „Wir bauen Pipelines, Flüssiggasterminals. Wir sorgen dafür, dass eingespeichert wird in unsere Gasspeicher. Und wir sorgen dafür, dass jetzt Kohlekraftwerke genutzt werden, damit wir Gas sparen.“ Auf lange Sicht müsse man jedoch unabhängig werden und auf erneuerbare Energien bauen. Scholz verwies auf die jüngst verabschiedeten Gesetze zum Ausbau der erneuerbaren Energien.
- Aktueller Füllstand der Gasspeicher in Deutschland
- Aktueller Füllstand: 63 Prozent, berichtet der NDR.
- Zwei Prozentpunkte unter dem 5-Jahresmittel zu dieser Zeit (aber höher als 2021)
- Angestrebtes Ziel laut Gasspeichergesetz: 90 Prozent bis 1. November
Ende der fossilen Energien: Baerbock drängt zum weltweiten Ausstieg
Während die Regierung in Deutschland scheinbar versucht, die Bevölkerung auf einen teuren Winter und eine lang anhaltende Energiekrise einzustimmen, hat auch Außenministerin Annalena Baerbock das Thema fossile Energien bei einem Besuch in Palau zum Thema gemacht. Nicht nur aufgrund Abhängigkeiten, auch angesichts schwerer Auswirkungen der Klimakrise auf kleine Länder wie Palau müsse der Ausstieg weltweit vorangetrieben werden.
Die nächste Welt-Klimakonferenz im November in Ägypten müsse deutlich machen: „Wir teilen dieses Schicksal gemeinsam und wir können diese Klimakrise nur gemeinsam bewältigen“, sagte die Grünen-Politikerin am Samstag. Auf Twitter schrieb die Außenministerin: „‘Der Ozean verschlingt unsere Häuser‘, haben mir die Leute hier in Palau gesagt.“ Indes spitzt sich die Lage in der Ostukraine weiter zu. Russland verstärkt die Angriffe auf das Gebiet Donezk. (chd/dpa/AFP)