Statt Boykott: So schauen Sport-Experten vom Bundestag die WM in Katar
Schauen Sie die WM-Spiele in Katar? Das und mehr haben wir die sportpolitischen Sprecher der Bundestagsfraktionen gefragt – niemand von ihnen boykottiert.
Berlin – Am Sonntag startet in Katar die bisher wohl umstrittenste Fußball-Weltmeisterschaft. Der WM-Gastgeber steht aufgrund von Menschenrechtsvorwürfen in der Kritik, die Fifa wegen des von Korruption begleiteten Vergabeprozesses. Ein Großteil der aktiven Fanszenen tat an den vergangenen Spieltagen ihre Ablehnung für das Turnier kund, auch einige Bars und Restaurants verzichten bewusst auf die Übertragung.
Gleichzeitig hat sich Katar zu einem wichtigen globalen Partner entwickelt, auch für Deutschland. Bundespräsident, Kanzler und Vizekanzler trafen sich in diesem Jahr mit dem katarischen Emir Tamim bin Hamad Al Thani, die Bundesregierung plant eine Energiepartnerschaft mit dem Emirat.

Wie also umgehen mit der WM? Wir haben drei Fragen an die sportpolitischen Sprecher der Bundestagsfraktionen gestellt. Privat schauen die Parlamentarier von Union, SPD, Grüne, FDP und Linke die Spiele. Auf Anfrage von IPPEN.MEDIA verweisen sie aber auf die schwierige Menschenrechtslage vor Ort. Es sei Aufgabe der Politik, diese zu ändern. Gleichzeitig sollte auch die deutsche Nationalmannschaft die Initiative ergreifen, meinen einige. Die AfD antwortete nicht auf unsere Anfrage.
Werden Sie die Spiele schauen oder persönlich boykottieren?
- Stephan Mayer (CDU/CSU): Ich werde unsere deutsche Nationalmannschaft unterstützen und die Spiele dieser schauen, sofern mir das möglich ist. Ich denke, man muss die zu kritisierenden Umstände in Katar, vor allem die Situation der Gastarbeiter klar benennen, doch die hoffentlich sportlichen Erfolge der Nationalmannschaft klar davon abtrennen. Daher hoffe ich auf rege Unterstützung und viele Zuschauer ob zu Hause oder beim Public-Viewing.
- Sabine Poschmann (SPD): Wenn es die Zeit zulässt, werde ich die Spiele des deutschen Teams verfolgen, denn natürlich drücke ich unserer Mannschaft die Daumen und habe als sportpolitische Sprecherin meiner Fraktion ein Interesse an dem Turnier. Angesichts der widrigen Umstände der Weltmeisterschaft habe ich aber Verständnis für jeden und jede, der oder die seinen oder ihren Protest gegenüber der WM durch einen Boykott der TV-Übertragungen ausdrücken möchte.
- Philip Krämer (Grüne): Ich werde die Spiele verfolgen, auch weil ich zu einigen Anlässen geladen bin, auf deren Programm das gemeinsame Fußball-Schauen steht. Zudem werde ich ganz genau beobachten, wie sich Katar und die Fifa während der Weltmeisterschaft verhalten und ob Zusagen eingehalten werden.
- Philipp Hartewig (FDP): Bei aller Kritik an der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar will ich auch die Unterstützung für die deutsche Nationalmannschaft zum Ausdruck bringen. Mehr als ein Boykott hilft, dass politische Akteure das kritische Gespräch mit Verantwortlichen suchen und auch öffentlich den Finger in die Wunde legen. Ich werde die Spiele von Deutschland aus als Fußballfan schauen.
- André Hahn (Linke): Ich werde mir sicher einige Spiele sowie auch die Berichterstattung drumherum ansehen, auch wenn diesmal die sonst übliche Vorfreude auf eine WM nicht so recht aufkommen will.
Einwurf Katar
Dieser Text ist Teil unserer Themenwoche zur Fußball-Weltmeisterschaft in Katar. Auch in den kommenden Tagen bieten wir Ihnen auf sämtlichen Portalen von IPPEN.MEDIA sportpolitische Hintergrundberichte zu Katar.
Sollten die deutschen Spieler die Menschenrechtslage vor Ort kritisieren?
- Stephan Mayer (CDU/CSU): Meiner Meinung nach, darf dieses komplexes Thema nach einer Vergabe vor 10 Jahren nicht als Zwang unserer Nationalelf auferlegt werden. Diese muss sich ganz auf die intensive Vorbereitung und die anstehenden Spiele konzentrieren können. Ich sehe hier den DFB, im besonderen Präsidenten Bernd Neuendorf, in der Verantwortung, diese Rolle bei Bedarf zu übernehmen.
- Sabine Poschmann (SPD): Menschenrechtsverletzungen zu kritisieren und Verbesserungen unmissverständlich einzufordern, ist vor allem Aufgabe der Politik. Aus diesem Grund ist die für Sport zuständige Bundesinnenministerin Nancy Faeser bereits im Vorfeld der WM nach Katar gereist. Auch der DFB in Person des Präsidenten Bernd Neuendorf positioniert sich sehr eindeutig. Die deutschen Nationalspieler müssen sich vor Ort vor allem auf ihren Sport konzentrieren. Wenn das Team sich jedoch entschließt, vor Ort ein Zeichen zu setzen – in welcher Form auch immer – dann begrüße ich das ausdrücklich. Die Politik darf aber ihre Verantwortung nicht auf den Sport abwälzen.
- Philip Krämer (Grüne): Ich würde mich freuen, wenn sie das aus eigenem Antrieb tun und so ihre Popularität nutzen, um nachhaltige Veränderungen in Katar zu erreichen. Grundsätzlich gilt aber, dass niemand gezwungen werden kann, politisch zu sein.
- Philipp Hartewig (FDP): Jeder Spieler wird sich mit der Situation in Katar auseinandersetzen. Der DFB hat für die Spieler auch entsprechende Angebote auf die Beine gestellt. Es liegt an jedem selbst, daraus Schlussfolgerungen zu ziehen. Wichtig ist, dass unsere Spieler unsere Rückendeckung haben, wenn sie sich vor Ort zur Menschenrechtslage äußern, diese aber ebenso erhalten, wenn sie dies nicht tun.
- André Hahn (Linke): Ich würde es sehr begrüßen, wenn unser Team das tut.
Der Sport verweist bei der Problemlösung auf die Politik. Wie sollte man also Ihrer Meinung nach mit Ländern umgehen, die Menschenrechte missachten?
- Stephan Mayer (CDU/CSU): Ich glaube, auch wenn man die Vergabe im Jahr 2010 unter den damaligen Bedingungen kritisch sehen kann, hat die Fußball-WM in Katar bisher schon zu gesellschaftspolitischen Veränderungen geführt, welche für mich die Hoffnung regen, dass vor allem nach der Fußball-Weltmeisterschaft weitere und langfristige humanitäre Verbesserungen angestoßen werden.
- Sabine Poschmann (SPD): Aufgabe der deutschen Politik ist es, Menschenrechtsverletzungen klar als solche zu benennen und von den betroffenen Ländern Verbesserungen einzufordern. Man muss sich jedoch bewusst sein, dass Veränderungen nur langsam angestoßen werden können. Daher ist es wichtig, Reformbemühungen innerhalb der einzelnen Länder zu unterstützen. Sportgroßveranstaltungen dürfen in Zukunft nicht mehr ohne jegliche Berücksichtigung der Menschenrechtslage vergeben werden – so wie dies leider 2010 bei der Vergabe nach Katar der Fall war. Es ist gut, dass die FIFA 2016/17 ihre Vergabekriterien hinsichtlich Menschenrechten angepasst hat. Wir werden die FIFA bei künftigen Vergaben daran messen.
- Philip Krämer (Grüne): Die Einhaltung der universalen Menschenrechte muss verbindlicher Teil der Vergabe von Sportgroßveranstaltung sein. Hier wäre es denkbar, mit festen Zwischenzielen bis zum Austragungstermin zu arbeiten. Wenn diese von der Ausrichternation nicht erreicht werden, muss auch der folgenlose Entzug einer Vergabe möglich sein.
- Philipp Hartewig (FDP): Konkret zur Lage in Katar ist es wichtig, dass die Politik auf die Umsetzung der vor allem durch öffentlichen Druck angestoßenen Reformprozesse hinwirkt. Vergabekriterien für Sportgroßveranstaltungen sind verbindlich an menschenrechtlichen Standards auszurichten. Das betrifft vor allem die Einhaltung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte sowie Nachhaltigkeit. Verbände und Gastgeber sollten dazu verpflichtet sein, Risiken zu vermeiden und bei Rechtsverletzungen effektive Abhilfemechanismen zum Schutz aller Beteiligten gewährleisten. Auch deutsche Bewerbungen zu internationalen Sportgroßveranstaltungen können eine wertebasierte Organisation und Durchführung solcher Veranstaltungen insgesamt befördern.
- André Hahn (Linke): Nimmt man sich offizielle Menschenrechtsberichte zur Hand, wird man feststellen, dass in sehr vielen Ländern der Welt Verstöße gegen UN-Menschenrechtskonventionen zu verzeichnen sind, auch in solchen, die gemeinhin als demokratisch gelten. Natürlich gibt es Unterschiede in Art und Umfang der Verstöße. Auch deshalb habe ich mich mehrfach, nicht nur mit Blick auf Katar, für Dialog statt Boykotte ausgesprochen. Nur so kann auch der Sport einen aktiven Beitrag für Frieden, Völkerverständigung und die Durchsetzung der Menschenrechte leisten. Gleichzeitig erwarte ich von der Bundesregierung, dass die Einhaltung der Menschenrechte als ein nicht verhandelbares Kriterium für den Sport wie auch für die Wirtschaft, den Handel und andere Formen internationaler Zusammenarbeit gelten muss.
Andreas Schmid