Herausforderung für die Energiewende: So gewaltig ist unsere Abhängigkeit von China bei Solaranlagen

China dominiert den Weltmarkt für Photovoltaik-Technologie. Auch Deutschland ist deshalb bei seiner Energiewende abhängig von Herstellern aus der Volksrepublik. Nun sollen Kapazitäten zurück in die EU.
Frankfurt/Peking – Die traurige Geschichte von China und der deutschen Photovoltaik-Industrie ist schon mehr als zehn Jahre alt. Wer erinnert sich noch an Solarworld, Q-Cells oder Conergy? Sie waren die Pioniere des deutschen Photovoltaik-Booms: Deutschland produzierte in den Nullerjahren mehr Solarzellen als jedes andere Land der Welt. Bis Chinas Solarhersteller wie Suntech, Yingli Solar oder Trina Solar ab 2010 auf den Plan traten: Dank Staatssubventionen sowie Zugang zu günstigen Rohstoffen und Arbeitskräften konnten sie ihre Solaranlagen zu unschlagbaren Preisen weltweit anbieten.
Das machte Photovoltaik auf einen Schlag erschwinglich – aber bedeutete zugleich das Aus für die deutschen Firmen. Denn Deutschland und die EU konterten damals nicht mit eigenen Hilfen für den Sektor. Im Gegenteil: Der damalige Wirtschaftsminister Peter Altmaier kürzte in Deutschland sogar die bestehende Förderung über das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Und so verlagerten sich die Produktionskapazitäten für Solaranlagen von Europa, aber auch von Japan und den USA, nach China. „China hat über 50 Milliarden US-Dollar in neue Photovoltaik-Lieferkapazitäten investiert – zehnmal mehr als Europa – und seit 2011 mehr als 300 000 Arbeitsplätze in der gesamten Wertschöpfungskette der Fotovoltaik geschaffen“, schreibt die Internationale Energie-Agentur IEA.
China dominiert den Weltmarkt für Fotovoltaik-Technologie
Die Folge: In keinem Segment der Energiewende ist die Abhängigkeit von China so groß wie bei der Photovoltaik. Diese Abhängigkeit reicht vom Rohstoff Polysilikon über Vorprodukte wie Ingots und Wafer bis hin zu fertigen Solarzellen und dem kompletten Photovoltaikmodul. Bei Wafern – dünnen Siliziumscheiben, die mithilfe von Sonnenstrahlen den Strom erzeugen – liegt Chinas Weltmarktanteil bei unfassbaren 97 Prozent. „Dies hat über die vergangenen fünf bis sechs Jahre dazu geführt, dass sich auch alles Umgebende – also Gerätschaften oder Verbrauchsmaterialien – in China ansiedelte und nun zu ähnlich hohen Prozentsätzen von dort stammt wie die Wafer selbst“, sagt Jochen Rentsch, Solarexperte am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme.
Die Folgen für den geplanten Wiederaufbau einer heimischen Industrie sind dramatisch. „Wenn Sie zum Beispiel Ausrüstung für die Solarwafer-Produktion suchen, werden Sie aktuell keinen wettbewerbsfähigen nicht-chinesischen Hersteller finden. Wenn wir den Aufbau schnell umsetzen wollen, wären wir dabei also auf China angewiesen“, erklärt Rentsch im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau von IPPEN.MEDIA. Vereinfacht gesagt: Wir brauchen Maschinen aus China, um uns aus der Abhängigkeit von China zu lösen.
Solarmodule: Produktion steigt, aber Komponenten kommen trotzdem aus China
Angesischts von Energiekrise und Klimawandel liegt Fotovoltaik im Trend. Im November 2022 waren nach Angaben des Statistischen Bundesamtes von Anfang März rund 2,5 Millionen Photovoltaikanlagen auf Dächern und Grundstücken in Deutschland installiert, 14 Prozent mehr als im Vorjahresmonat. Der Anteil der Photovoltaik an der deutschen Stromerzeugung stieg 2022 um drei Prozentpunkte auf zwölf Prozent. Die Bundesregierung plant für 2030 mit einer weiteren Verdreifachung der Kapazität auf 215 Gigawatt. Zehn Jahre später sollen es sogar 400 Gigawatt sein.
Dazu werden viele Anlagen gebraucht. Erfreulicherweise hat die Produktion von Solarmodulen in Deutschland zuletzt stark zugelegt, wie die Statistiker berichten. In den ersten neun Monaten 2022 wurden 2,9 Millionen Stück gebaut, rund 44 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum und sogar 75 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum des Vor-Corona-Jahres 2019. Doch klar ist eben, dass die Firmen mit Rohstoffen und Vorprodukten aus China arbeiten müssen. Zudem werden nach wie vor viele komplette Solaranlagen importiert – und 87 Prozent davon kamen 2022 aus China.
Warum China als Herkunftsland problematisch ist
Seit der russischen Invasion in der Ukraine ist Diversifizierung von Einkauf und Absatzmärkten das Gebot der Stunde, quer durch die Wirtschaftsbranchen. China ist wie Russland ein autokratischer Staat, dem Berlin nun auch zutraut, eine Krise auszulösen – etwa durch einen Angriff auf Taiwan – oder über Exportbeschränkungen seine Marktmacht auszuspielen.
Peking erwägt bereits, die Ausfuhr der Solartechnologie in die Welt zu erschweren. Ein Gesetzgebungsverfahren ist im Gange, das ausländische Käufer in komplizierte Genehmigungsverfahren für zahlreiche Produkte zwingen würde, vom Wafer bis zur Produktionsmaschine für Solaranlagen. Ob das Gesetz so in Kraft tritt, ist noch offen. Doch ein Exportbann Chinas für Teile der Fotovoltaik-Wertschöpfungskette würde hierzulande auf jeden Fall zu Verzögerungen beim Aufbau einer Photovoltaik-Industrie führen, sagt Rentsch. „Denn die EU müsste diese Industrie dann selbst hochfahren – und das braucht Zeit.“
Doch das ist nicht einmal das einzige Problem. Auch knapp 80 Prozent des wichtigsten Rohstoffs Polysilizium kommen aus China – und fast alle Fabriken dafür stehen in Xinjiang, wo Peking schwere Menschenrechtsverstöße gegen die muslimische Minderheit der Uiguren vorgeworfen werden. Neben der zeitweisen Inhaftierung von bis zu einer Million Menschen in Umerziehungslagern gehört dazu auch Zwangsarbeit in Fabriken der Region. Die USA haben daher die Einfuhr von Photovoltaikanlagen und Komponenten aus Xinjiang verboten, sofern Importeure nicht nachweisen können, dass ihre Lieferketten frei von Zwangsarbeit sind.
Wege aus der Abhängigkeit
Die EU ist diesen Schritt bisher nicht gegangen. Sie will eine eigene Solarindustrie aufbauen, und braucht dafür eben die Bauteile aus China. EU-Politiker und europäische Photovoltaik-Hersteller haben im Dezember 2022 eine Initiative namens Solar PV Industry Alliance gegründet, die bis 2025 eine Photovoltaik-Produktionskapazität von 30 Gigawatt in Europa aufbauen will, und zwar entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Das wäre das Sechsfache der heutigen Kapazität. Die neue Allianz soll mithilfe eines Solarfonds bei der Finanzierung helfen. Technologisches Know-how ist nach Ansicht von Rentsch noch vorhanden.
„Wichtig ist es, günstige Voraussetzungen zu schaffen“, sagt der Experte. „Das hat die EU bereits angestoßen, indem sie zugelassen hat, dass die Mitgliedstaaten Unternehmen der Energiewende-Technologien gezielt fördern dürfen. Das verbietet normalerweise das Wettbewerbsrecht der EU. Die Mitgliedsstaaten können dafür zum Beispiel Gelder aus dem ‚Green Deal‘-Topf verwenden. Auch können sie mithilfe von gezielter Standortförderung versuchen, Industriecluster anzulegen.“ Herausforderungen bleiben. So kostet die Produktion von Solarmodulen in Europa nach Angaben von S&P Global Commodity Insights etwa 50 Prozent mehr als in China, vor allem aufgrund höherer Strompreise und Arbeitskosten. Hersteller drängen daher auf staatliche Unterstützung und klare Perspektiven.
Doch es gibt Hoffnung. Ein Beispiel ist der Schweizer Hersteller Meyer Burger, der auch im sächsischen Freiberg und in Thalheim bei Bitterfeld Standorte betreibt. Das Unternehmen wachse stark, wie die Geschäftsführung diese Woche mitteilte. Es konnte seinen Nettoumsatz 2022 mehr als verdreifachen und will die Solarzellenkapazität in Thalheim erweitern. 2022 und Anfang 2023 schloss Meyer Burger Verträge ab mit zwei norwegischen Lieferanten über die Lieferung qualitativ hochwertiger Siliziumwafer mit niedrigem CO₂-Fußabdruck. Und so entsteht doch ganz langsam wieder eine Lieferkette in Europa.
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