Erstmeldung vom 22. November, 10.40 Uhr: Berlin – Kaum ein Thema erhitzt die Gemüter aktuell so sehr wie eine mögliche allgemeine Impfpflicht*. Angesichts der dramatisch steigenden Infektionszahlen in Deutschland erhält die Debatte weiter Aufwind. Denn Fakt ist: Zu wenig Menschen sind bislang gegen das Coronavirus geimpft. Das RKI verzeichnete am Wochenende 70,5 Prozent der Bevölkerung als erstgeimpft. Nicht genug, angesichts der grassierenden Delta-Mutation, die als die bisher ansteckendste Corona-Variante gilt. Was also tun?
Debattiert wird nun über eine Impfpflicht nicht nur für ausgewählte Berufe, wie etwa im Gesundheitssektor, sondern für alle Menschen in Deutschland. Man müsse anfangen, darüber nachzudenken, forderte etwa SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach am Sonntag in der Sendung „Die Richtigen Fragen“ des TV-Senders Bild. „Ich würde das auf keinen Fall mehr ausschließen und tendiere dazu zu sagen: Das hilft uns jetzt nicht akut, aber wir müssen uns einer Impfpflicht nähern.“ Dabei argumentierte er: „Ohne Impfpflicht erreichen wir offensichtlich die Impfquote nicht, die wir benötigen, um bei der Stärke der Impfstoffe, die wir haben, und dem R-Wert der Delta-Variante über die Runden zu kommen.“
Ganz anders sieht das der FDP-Fraktionsvize (und mögliche kommende Bundesgesundheitsminister*) Michael Theurer. In derselben Sendung bezeichnete er eine Impfpflicht als „verfassungswidrig“. Auch der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Thorsten Frei, äußerte sich sehr skeptisch. Eine allgemeine Impfpflicht dürfte „wegen des schwerwiegenden Eingriffs in das Recht auf körperliche Unversehrtheit unter den derzeitigen Rahmenbedingungen auch unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig sein“, sagte er der Welt am Montag.
Auch in den Bundesländern gehen die Meinungen zu einer Impfpflicht auseinander. Der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans hält eine Diskussion über eine allgemeine Impfpflicht gegen das Coronavirus* derzeit für nicht sinnvoll. Das sagte der CDU-Politiker am Sonntagabend in der ARD-Sendung „Anne Will“. „Jetzt bitte ich doch wirklich, alle Kraft darauf zu konzentrieren zu impfen.“ Man habe noch nicht genug getan, „um wirklich zu überzeugen, dass die Impfung der richtige Weg ist“, meinte Hans. „Wir haben ganze Bevölkerungsschichten in prekären Lebenssituationen, an die wir nicht rangekommen sind.“
Mehrere Vertreter der Union hatten sich zuletzt offen für eine allgemeine Impfpflicht gezeigt. Wenn es nicht ohne gehe, sei er bereit, diesen Schritt zu gehen, sagte etwa Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) der Welt. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte bereits am Freitag für eine allgemeine Impfpflicht* plädiert.
Der Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, hat angesichts der dramatischen Corona-Lage erneut zur Impfung aufgerufen. „Wir müssen dafür Sorge tragen, dass wir so viele Menschen wie möglich zum Impfen bewegen und diejenigen, die eine vollständige Grundimmunisierung haben, boostern“, sagte Wieler am Sonntagabend im „Heute-Journal“ des ZDF. In der Debatte über eine Impfpflicht äußerte er sich zurückhaltend, verwies aber auf Überlegungen, darüber als letztes Mittel nachzudenken.
Die Impfpflicht sei „ein Mittel, und da bin ich ganz bei der (Weltgesundheitsorganisation) WHO, das wir alle nicht wollen“, sagte Wieler. „Es ist wirklich niemand, der gerne eine Impfpflicht haben möchte. Viele, viele Studien gibt's dazu, viele Wissenschaftler finden das keine gute Lösung. Aber wenn man alles andere versucht hat, dann sagt die WHO: Dann muss man auch über eine Impfpflicht nachdenken.“
Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) kann sich ebenfalls eine allgemeine Impfpflicht vorstellen. „Ich war immer eigentlich ein Gegner einer Impfpflicht“, sagte er am Montagmorgen dem Deutschlandfunk. Mittlerweile glaube er aber, „dass wir relativ schnell über dieses Thema sprechen müssen“. Eine Impfpflicht werde nicht heute und morgen helfen, aber sie sei der Weg aus der Pandemie. „Ich persönlich bin inzwischen als Ultima Ratio tatsächlich für diese allgemeine Impfpflicht.“ Darüber müsse relativ schnell in Berlin gesprochen werden - es brauche eine bundeseinheitliche Lösung. (aka mit dpa) *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.
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