Zehn Jahre Xi Jinping: So verändert Chinas Staatschef sein Land – und die gesamte Welt

Seit zehn Jahren ist Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping an der Macht – nun will er mindestens fünf weitere hinzufügen. Schon jetzt hat er sein Land und die Weltpolitik tief geprägt.
Peking/Frankfurt – Chinas Xi-Ära begann mit einem Rätsel. Kurz vor dem 18. Parteitag im Oktober 2012, der den damaligen Vizepräsidenten Xi Jinping an die Spitze der Kommunisten bringen sollte, verschwand er von der Bildfläche. Seine Mitarbeiter sagten Treffen mit ausländischen Politikern ab, unter anderem mit der damaligen US-Außenministerin Hillary Clinton. Eine Erklärung gab es nicht, dafür eine Menge Spekulationen: War Xi schwer krank? Oder war er Opfer eines Attentats geworden? Kurz zuvor hatte es Gerüchte gegeben über ein Komplott von Xi-Gegnern um den damaligen Parteichef der Yangtse-Metropole Chongqing, Bo Xilai. Doch nach 14 Tagen tauchte Xi wieder auf – und bis heute weiß niemand, was damals geschah und warum.
Als Xi Ende Oktober 2012 dann mit dem neuen Führungsteam der Kommunistischen Partei (KPCh) das erste Mal als Generalsekretär vor die Kameras trat, war völlig unklar, in welche Richtung er das Land treiben würde. Seine Machtbasis galt als fragil, er selbst als einigermaßen reformfreudiger Technokrat, aufgestiegen über Posten in boomenden Küstenprovinzen. Doch in den zehn Jahren seit 2012 hat sich Xi eher als Nationalist und strenger Ideologe hervorgetan – und seine Macht stetig ausgebaut. Seine „Null-Covid“-Politik setzt Xi trotz anhaltender Schäden für die Wirtschaft und angeblicher interner Kritik weiterhin eisern durch. Er gilt als mächtigster KPCh-Chef seit Staatsgründer Mao Zedong. Auf dem am 16. Oktober beginnenden 20. Parteitag will sich Xi Jinping nun für eine dritte Amtszeit als Generalsekretär der Kommunisten ernennen lassen – und damit eine ungeschriebene Norm brechen, die inoffiziell ein Maximum von zwei Amtszeiten vorsieht.
Dem Land hat Xi schon jetzt seinen Stempel aufgedrückt. Im Innern hat er die Kontrolle über viele Bereiche verschärft: das Internet, die Privatwirtschaft, die Datenspeicherung, inhaltliche Debatten auch über politikferne Themen. Durch die „Null-Covid“-Politik kontrolliert die Partei derzeit sogar die Bewegung der Menschen; Kritiker unken, dass das erst der Anfang eines dystopischen Überwachungsstaates sei. Schließlich sind schon an vielen Orten in Chinas Kameras angebracht und tüfteln Behörden an einem Sozialkredit-System, das Firmen und Bürger ständig bewerten soll. Ob es dazu wirklich kommt und ob Xi Jinping das wirklich anstrebt, ist allerdings ungewiss.
Xi Jinpings China: weniger Freiraum, mehr Kontrolle
Aber unter Xi ist China ein härterer Staat geworden, autoritärer und mit weniger individuellem Freiraum. Das gilt vor allem für Menschen, die nicht ins sozialistische Weltbild des Chefs passen: „verweiblichte Männer“ etwa, die von TV-Bildschirmen verschwinden sollen, feministisch aktive Frauen oder muslimische Uigurinnen und Uiguren, die sich an die chinesische Kultur anzupassen haben, notfalls durch staatliche Gewalt – wie es seit Jahren in der Provinz Xinjiang geschieht. Auch nach außen hin gibt sich Peking selbstbewusster und aggressiver. China soll nach Ansicht Xis und der KPCh in der Welt einen Platz einnehmen, der seiner Größe, Historie und Wirtschaftsmacht entspricht.
Zugleich bescheinigen Beobachter Xi Jinping, hart zu arbeiten. Es ist durchaus so, dass die Parteiführung das Land weiter entwickeln und aufbauen will. Umwelt- und Klimaschutz nimmt Xi nach Ansicht von Experten ernst, ebenso wie das Problem einer weiterhin offenen Schere zwischen Arm und Reich. Xis Kampf gegen lokale korrupte Kader kam bei vielen Menschen anfangs gut an. Die Xi-Regierung treibt auch Armutsbekämpfungsprogramme weiter voran, die unter seinem Vorgänger Hu Jintao begonnen worden waren. Auch baut kein Land so viel Kapazität an erneuerbaren Energien auf wie das China unter Xi.
China: Xi Jinping bringt die Partei wieder ins Zentrum
Nur ist eben eines klar: Die Partei, angeführt von Xi Jinping, entscheidet über den Entwicklungspfad. Xi ging es von Anfang an um die Stärkung der Macht der Kommunisten und darum, die Partei wieder ins Zentrum von Staat und Gesellschaft zu rücken. Xi schuf eine ganze Reihe parteiinterner Führungsgruppen und Kommissionen, vielfach mit sich selbst an der Spitze – und kontrolliert durch sie die Staatsorgane, einschließlich der Arbeit von Ministerpräsident Li Keqiang.
Das britische Magazin Economist fasst Xis Wirken in der KPCh in einer über mehrere Monate recherchierten Serie so zusammen: Xi habe mit seiner Anti-Korruptionskampagne umfassende Säuberungen in der Partei, dem Militär und den Sicherheitskräften durchgezogen und eine vormals „zersplitterte Partei, die aus dem Leben vieler einfacher Menschen verschwunden war, in eine allgegenwärtige, ideologisch aufgeladene, technikgestützte Maschine verwandelt“. Heute müssen Privatunternehmen Parteizellen zulassen, die dem Management hineinreden dürfen. Schüler, Studierende und Kader müssen Ideologie-Klassen belegen, die zunehmend neben Marx und Mao auch Xis Theorien umfassen. Nachbarschaftskomitees der KPCh setzen in Wohngebieten die Corona-Politik durch. Bekannt geworden ist Xis Satz: „Ost, West, Süd, Nord und Mitte – die Partei führt alles an.“
Chinas Parteichefs und ihr Erbe
Alle KPCh-Generalsekretäre haben Partei und Staat in ihrer jeweiligen Ära geprägt. Mao dominierte die gesamte Nachkriegszeit: die Gründung der Volksrepublik 1949 nach gewonnenem Bürgerkrieg, Kollektivierung und Industrialisierung – sowie die von ihm losgetretenen blutigen Wirren der Kulturrevolution. Nach Maos Tod 1976 folgten mehrere Parteichefs, die zum Teil als politisch liberal galten – aber im Schatten des Reformpatriarchen Deng Xiaoping standen: Deng öffnete 1979 das Land zur Welt, allerdings nur die Wirtschaft. Debatten um politische Reformen ließ er nicht zu; die Demonstrationen für eine politische Öffnung erstickte am 4. Juni 1989 ein Blutbad. Darauf folgte Xis Vorvorgänger Jiang Zemin (1989-2002), der den Schwerpunkt weiter auf Entwicklung und Integration in die Weltwirtschaft setzte. Xis direkter Vorgänger Hu Jintao (2002-2012) brachte sozialen Ausgleich sowie Umwelt und Ressourcensicherheit stärker ins Spiel.
Xis Außenpolitik: China wieder groß machen
Anführen will Xi auch global, wie er in Theorien wie seinem „Chinesischen Traum“ ausführte. „Xi ist kein Status-quo-Politiker. Er strebt danach, den Status quo zu verändern“, sagte kürzlich der ehemalige australische Premierminister und heutige Präsident der Asia Society Kevin Rudd bei der Vorstellung seines Buches The Avoidable War („Der vermeidbare Krieg“) zum US-China-Konflikt. Xis Ziel sei es, das globale System „kompatibler mit Chinas Interessen“ zu gestalten, sagte Rudd, der selbst Sinologe ist und fließend Chinesisch spricht. Xi strebe zum Beispiel nach einer größeren Rolle chinesischer Finanzierungen weltweit und nach mehr Personal aus der Volksrepublik in internationalen Organisationen. Diese sollten laut Xi Jinping generell sinozentrischer werden, so Rudd – also um China kreisen und sich nicht mehr um das für Peking unbequeme Thema Menschenrechte kümmern.
Verbündete sind dabei neben Russland vor allem Entwicklungsländer, oftmals autoritär regiert wie China selbst. Viele von ihnen sind Mitglieder des riesigen, von Xi selbst 2013 in Kasachstan gestarteten Infrastrukturprogramms „Neue Seidenstraße“ und kommen somit in den Genuss chinesischer Gelder und Bauprojekte.
Die USA dagegen sieht Xi Jinping als wachsende Bedrohung für seine eigene Sicherheit sowie als Gegner der von ihm angestrebten multipolaren Weltordnung. Xi hat Sandbänke im Südchinesischen Meer in Festungen verwandeln lassen, obwohl auch andere Staaten die Gewässer beanspruchen. Er modernisiert die Volksbefreiungsarmee und verstärkte Militärübungen rund um Taiwan. Das Ziel: Chinas wirtschaftliches Gewicht für den Kampf gegen den Westen um politischen Einfluss in der Welt zu nutzen. Dafür ging Xi sogar eine Art Bündnis mit Wladimir Putin ein, trotz dessen grausamen Angriffskrieges in der Ukraine. „Der Osten steigt auf, der Westen ist im Niedergang“, sagen Chinas Diplomaten. Xi selbst soll davon fest überzeugt sein.
China: Für Xi Jinping hat nationale Sicherheit oberste Priorität
Verstärkt werden die Spannungen durch die Tatsache, dass Xi Jinpings „Null-Covid“-Politik persönliche Begegnungen seit Anfang 2020 praktisch verhindert. Auch Firmen leiden darunter. „Obwohl Europa und China schon jetzt an entgegengesetzten Enden eines gemeinsamen Kontinents liegen, scheinen sie sich immer weiter voneinander zu entfernen“, schreibt der EU-Kammerpräsident Jörg Wuttke im kürzlich veröffentlichten Positionspapier der EU-Handelskammer in China. Die zentrale Aussage des Papiers lautet: „Ideologie übertrumpft Wirtschaft.“
Die Sicherung der Macht sowie die Sicherung nationaler Einheit seien die wichtigsten Prioritäten Xis, sagte Rudd. Dem ordnet Xi auch die wirtschaftliche Entwicklung unter. „In den vergangenen zehn Jahren hat Xi Jinping die nationale Sicherheit zu einem Schlüsselthema gemacht, das sämtliche Aspekte der Staatsführung in China durchdringt“, schreiben auch die Expertinnen Katja Drinhausen und Helena Legarda vom Merics-Institut für Chinastudien. „Das Markenzeichen der Xi-Ära ist eine wirkungsstarke Mischung aus Selbstbewusstsein und Paranoia der Partei, wenn es um die nationale Sicherheit geht“, so Drinhausen und Legarda. Einerseits treiben die chinesische Führung demnach Sorgen um, dass interne und externe Kräfte ihre Machtposition untergraben könnten. Zugleich seien Xi und die KPCh überzeugt, dass Chinas politisches System stabiler ist und anderen überlegen. Und dieses System möchte Xi noch lange erhalten – mit sich selbst an der Spitze. (ck)