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China wird zur starken Macht in Zentralasiens SCO – Westen fürchtet eine „Gegen-Nato“

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Von: Christiane Kühl

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Chinas Staatschef Xi Jinping und Usbekistans Präsident Schawkat Mirsijojew stehen vor dem russischen Präsidenten Wladimir Putin.
Putin in der zweiten Reihe? Chinas Staatschef Xi Jinping teilt sich mit Usbekistans Präsidenten und Gastgeber Schawkat Mirsijojew das Rampenlicht beim Gipfel der SCO. © Sergei Bobylev/dpa

Erstmals rückt die von China dominierte Shanghaier Kooperations-Organisation SCO ins Bewusstsein des Westens. Bundeskanzler Scholz kritisierte den Beitrittswunsch des Nato-Partners Türkei.

Samarkand/München – Es ist wohl das erste Mal, dass der Westen wirklich aufmerksam auf die Shanghaier Kooperationsorganisation (Shanghai Cooperation Organisation/SCO) blickt. Auf dem kürzlichen Gipfel der Gruppe in Usbekistan trafen nicht nur Chinas Staatschef Xi Jinping und Russlands Wladimir Putin erstmals seit dem Beginn des Ukraine-Krieges zusammen. Für Aufregung sorgte vor allem, dass mit der Türkei am Samstag erstmals ein Nato-Mitglied ankündigte, der 2001 mit Blick auf den Kampf gegen islamistischen Terror gegründeten SCO beitreten zu wollen. Mit Iran segnete die SCO zudem in Samarkand die Aufnahme eines Staats auf, der seine Nachbarn mit Muskelspielen bedroht und der Welt mit dem Bau von Atomwaffen droht.

Vor allem wegen des Beitrittwunsches der Türkei bekommt die Gruppe eine ungewohnte Aufmerksamkeit. So reagierte Bundeskanzler Olaf Scholz offen irritiert auf die Annäherung der Türkei an die von China und Russland dominierte SCO, zu der auch mehrere zentralasiatische Staaten sowie Indien gehören. „Wir glauben, dass das keine Organisation ist, die irgendwie einen ganz wichtigen Beitrag für ein gutes Miteinander in der Welt leistet“, sagte der Kanzler gewohnt scholzig nach einem Gespräch mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan am Rande der Uno-Generaldebatte in New York. Deshalb sei er »sehr irritiert über die Entwicklung und Diskussionen«.

Auch der SPD-Außenpolitiker Michael Roth warnte die Türkei vor einem Beitritt. Die SCO stehe „in ihren Werten und Zielen der Nato diametral entgegen“, sagte Roth am Dienstag dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Eine türkische Mitgliedschaft wäre somit eine klare Abkehr vom Sicherheitsbündnis Nato.“ Roth kritisierte, dass Erdoğan zeitgleich mit einer Blockade des Nato-Beitritts von Schweden und Finnland drohe. Laut der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu will Erdoğan beim SCO-Gipfel 2023 in Indien das Ziel einer Mitgliedschaft erörtern. Bislang ist die Türkei Dialogpartner.

Shanghai-Gruppe: Kritisch gegenüber dem Westen, aber keine „Gegen-Nato“

Der Westen ist auch deshalb nervös, weil China danach strebt, die SCO zu einem wichtigen Akteur in der internationalen Politik auszubauen. Eine wirkliche „Gegen-Nato“ ist die Gruppe bisher aber nicht, auch wenn sie vor allem Staaten vereint, die das westlich dominierte globale System ablehnen. Ihr gehören China, Russland, Indien, Pakistan, Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan an. Iran schloss den Beitrittssprozess ab und wird voraussichtlich 2023 Vollmitglied. Belarus hat den Beitrittsprozess gestartet, Dialogpartner Türkei will ihn beginnen. Ägypten, Saudi-Arabien und Katar wurden in Usbekistan neu als Dialogpartner begrüßt. Weitere Staaten von Bahrain bis Myanmar stehen Schlange.

Doch die SCO ist keine militärische Allianz; auch gibt es kein gegenseitigen Sicherheitsgarantien. Die Organisation ist beileibe kein einheitlicher Block: Es gibt durchaus Konflikte zwischen einzelnen Mitgliedsstaaten. Direkt nach dem SCO-Gipfel lieferten sich die Mitglieder Tadschikistan und Kirgisistan gar ein kurzes Grenzscharmützel mit mehreren Toten: Tadschikistan hatte mehrere kirgisische Dörfer nahe der Grenze angegriffen. Auch China und Indien „verbindet“ ein jahrzehntelanger Streit um den Verlauf der gemeinsamen Grenze im Himalaya. Und mehrere der zentralasiatischen Staaten schauen misstrauisch auf Russlands Krieg in der Ukraine. Ihre Bevölkerungen betrachten aber auch Chinas wachsenden wirtschaftlichen Einfluss in der Region mit Argusaugen.

Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit: Ideale Bühne für Xi und Putin

Die im Westen wenig beachtete SCO ist ein 2001 von China initiiertes Sicherheitsbündnis, zu dem auch Russland, Indien, Pakistan, Kirgisistan, Tadschikistan and Uzbekistan gehören. Motivation zur Gründung der von Anfang an sicherheitspolitisch ausgerichteten Organisation war damals angesichts der Anschläge von Al-Kaida auf die USA vor allem die gemeinsame Angst dieser Staaten vor wachsendem islamistischen Terror. Heute vertritt die im Westen weithin unbekannte SCO aufgrund der Größe ihrer Mitglieder sagenhafte 40 Prozent der Weltbevölkerung – und ist damit die größte Regionalorganisation der Welt. Ab 2023 wird voraussichtlich auch Iran Mitglied der SCO sein.

China zur wichtigsten Macht in der SCO aufgestiegen

Um sich Einfluss zu sichern, muss China die Sorgen der zentralasiatischen Nachbarn ernst nehmen. „Diese Länder, die früher Teil der Sowjetunion waren, fühlen sich durch das russische Vorgehen in der Ukraine zutiefst unwohl – sie fühlen sich bedroht, stehen unter ständigem Druck aus Moskau und suchen nach einer Atempause“, meint Evan Feigenbaum vom Carnegie Endowment for International Peace. So ist es kein Zufall, dass Xi bei seinem Treffen mit Kasachstans Präsidenten Kassym-Schomart Tokajew dem Land zusicherte, es bei der Wahrung seiner territorialen Integrität zu unterstützen. Immer wieder gibt es in Russland Fantasien, sich nach der Ukraine auch dem russisch dominierten Norden Kasachstans zu widmen – zuletzt zum Beispiel geäußert von Ex-Präsident Dmitri Medwedew in sozialen Medien.

Medwedew hatte schon auf dem SCO-Gipfel 2008 in Duschanbe (Tadschikistan) erfolglos versucht, die Gruppe dazu zu bringen, Russlands Vorgehen in Georgien zu billigen. Es war in die georgischen Landesteile Abchasien und Südossetien einmarschiert, die es anschließend annektierte. Die SCO-Mitglieder lehnten Medwedews Vorstoß ab, wobei China den Widerstands maßgeblich organisierte.

Xi Jinping unternahm also nicht zufällig seine erste Auslandsreise seit Anfang 2020 nach Zentralasien. Er sonnte sich auf seiner Reise im Kreise freundlicher Staatschefs von Ländern, die für Peking strategisch wichtig sind: Als Rohstofflieferanten, aber auch als Puffer zwischen China und den Unruheregionen des mittleren Ostens. Auf dem Gipfel rief Xi die SCO-Staaten zur gemeinsamen Abwehr sogenannter Farb-Revolutionen auf; das ist populär in einer zumeist autoritär regierten Region. China – und längst nicht mehr Russland – ist der engste Partner dieser Staaten.

Zum Beispiel kam Usbekistans Präsident Schawkat Mirsijojew persönlich zum Flughafen, als Xi in Samarkand landete. Tanzgruppen sorgten für fröhliche Atmosphäre, es gab eine Ehrengarde. Putin dagegen wurde am nächsten Morgen ohne großes Zeremoniell vom Ministerpräsidenten des Landes abgeholt. China und Usbekistan unterzeichneten zudem Handels- und Investitionsabkommen im Wert von 15 Milliarden US-Dollar.

China: Politische Balance zwischen Russland und Zentralasien

China muss eine Balance wahren zwischen seiner Freundschaft zu Russland und den Interessen seiner zentralasiatischen Partner, die den Krieg in der Ukraine mehrheitlich kritisch sehen. Zuviel Unterstützung für Moskau würde einen Keil zwischen China und Länder wie Kasachstan treiben – und dabei die SCO spalten, argumentiert Feigenbaum. China habe viel politisches Kapital investiert, um diese Organisation federführend aufzubauen, deren Sitz in Peking ist. Und gerade jetzt, wo Russland in der Ukraine militärisch unter Druck gerät, macht eine maximale Russlandfreundlichkeit auch taktisch wenig Sinn für Xi. So wirkte Xis Unterstützung für Putin in Samarkand eher routiniert als euphorisch.

Xi scheint mehr aufs Große Ganze zu schauen. „Da die Welt nicht in Frieden lebt, ist es jetzt wichtig, Einigkeit zu schaffen, ein neues Sicherheitskonzept zu entwickeln, die globale Versorgungskette zu stabilisieren, die Transitkapazität zu erhöhen und mehr Mitglieder in die SCO aufzunehmen“, betonte er auf dem Gipfeltreffen in Samarkand.

„China ist eine Macht mit Eigeninteresse. Es hat allen Grund, seine eigenen Interessen egoistisch zu verfolgen und sich nicht als Stellvertreter Moskaus in Dinge einzumischen“, schreibt Feigenbaum. „China ist eine stärkere Macht als Russland. Und seine Interessen sind globaler und vielschichtiger.“ Es ist also zu erwarten, dass Xi seinen bisherigen Kurs fortsetzt: Verbale Unterstützung für Putin und gemeinsames Auskeilen gegen Nato und USA – bei gleichzeitigem Einhalten westlicher Sanktionen gegen Russland. Man darf nicht vergessen: China verdankt seinen rasanten Aufstieg genau jener regelbasierten Ordnung, die es gemeinsam mit Russland derzeit so schmäht. Für Xi gilt am Ende: Gut ist, was China nützt. Derzeit ist das eine starke SCO. (ck)

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