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Wegen Lockdown-Protesten – China zensiert sogar feiernde Fans in Katar

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Von: Christiane Kühl

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Feiernde Fans ohne Maske bei der WM in Katar lassen viele Chinesen an der harten No-Covid-Politik zweifeln © Gabriel Bouys/afp

Die Menschen in China haben die Corona-Politik der Regierung satt und demonstrieren auf den Straßen. Dabei wirkt die WM in Katar wie ein Brandbeschleuniger.

Peking/München – Der Frust der Chinesen über die strikte Null-Covid-Politik wird immer größer. Dauertests, Kontrollen und die ständige Angst vor einem Lockdown zerren an den Nerven. Doch es half, dass erstaunlich viele immer noch überzeugt waren, dass dies der einzige Weg aus der Pandemie-Misere sei, und die einzige Methode, viele Todesopfer zu vermeiden.

So beeinflusst die WM in Katar in die Proteste

Doch ein Ereignis viele Tausend Kilometer entfernt zeigte den Menschen in Peking oder Shanghai auf einmal eine ganz andere Welt: Die Fußball-WM in Katar. Viele Chinesen sind fußballverrückt, der Staatssender CCTV überträgt jede WM und sogar Spiele der wichtigsten Ligen, einschließlich der Bundesliga. Und so sahen die Chinesinnen und Chinesen auf ihren Bildschirmen plötzlich Tausende Fans in Stadien und Menschen ausgelassen auf den Straßen feiern – und das auch noch ohne Maske. Dies hat nach übereinstimmenden Berichten vieler Menschen in China den Glauben an das offizielle Narrativ erschüttert, das da lautet: Nur in China sind die Menschen sicher, während der Rest der Welt in Krankheit und Chaos versinkt. 

Als am Wochenende Tausende Demonstranten in zwölf Städten Chinas gegen die Null-Covid-Politik auf die Straße gingen, könnten viele von ihnen auch die Bilder aus Katar im Hinterkopf gehabt haben. Sie selbst trauerten um zehn Todesopfer eines Feuers in Urumqi, das nicht schnell genug gelöscht werden konnte – denn wegen des Lockdowns in der Millionenstadt in Xinjiang standen seit Wochen Autos auf der Zufahrt herum, die den Rettungswagen im Weg waren.

Am Protestwochenende teilten User neben Filmen von den Demos auch WM-Memes: In einem inzwischen zensierten Video sind jubelnde Fußballfans zu sehen, unterlegt mit ironischen Befehlen: „Setzt eure Masken auf!“ oder „Lasst euch testen!“ Die WM habe unerwartet ein unauflösbares Dilemma für den Staat geschaffen, glaubt der Soziologe Yang Zhang von der School of International Service der American University in Washington. Durch die Übertragungen sehen die Menschen, wie frei die Welt außerhalb Chinas ist. „Doch wenn sie die WM nicht mehr zeigen, gehen noch mehr Bürgerinnen und Bürger auf die Straße.“

Null-Covid-Proteste: Die Wutwelle schwoll langsam an

In China führen selbst kleine Corona-Ausbrüche zu Lockdowns von Wohnquartieren, Distrikten oder ganzen Städten. Sobald es lokale Fälle gibt, rufen die Behörden alle Bürgerinnen und Bürger zu Massentests auf. Die Bewohner Pekings stehen aktuell jeden Tag eine Stunde an, um sich ihren PCR-Test abzuholen, zuweilen in eisiger Kälte. Trotz allem steigen die täglichen Neuinfektionen mit der hochansteckenden Omikron-Variante wie noch nie, denn es fehlt eine effiziente Impfkampagne. Vor allem viele Alte sind nicht ausreichend geschützt. Am Montag kletterte die Zahl der täglichen Neuinfektionen erstmals über die Marke von 40.000.

Der Unmut über die ständig überall lauernden Lockdowns nimmt ebenfalls seit Wochen zu. Seit dem Herbst bricht sich der Frust erstmals offen Bahn. Es begann in der Südmetropole Guangzhou, wo mit Schlagstücken ausgerüstete Polizisten mit aufgebrachten Wanderarbeitern aneinandergerieten, die Sperren umgerissen hatten. In Zhengzhou flohen kürzlich Arbeiter über den Zaun das Firmengelände des iPhone-Vertragsherstellers Foxconn, nachdem das Werk wegen eines Covid-Ausbruchs abgeriegelt worden war. All das war auf Videos zu sehen, die schnell wieder verschwanden.

China zensiert sogar feiernde Fans in Katar

Die Bilder aus Katar aber liefen im staatlichen Fernsehen und wühlten die Menschen auf. „Es gab zahlreiche Berichte über chinesische Fans, die – nicht gerade erfreut – auf die Tausenden von maskenlosen Fans reagierten, die sich täglich in Katar versammelten, während in China viele Menschen zu Hause festsaßen“, erzählt Mark Dreyer, Experte und Buchautor zu Chinas Sportwelt mit Wohnsitz in Peking. Im Quasi-Lockdown der Hauptstadt sind alle Bars zu, auch wenn laut Reuters einige heimliche Hinterzimmer-WM-Sessions anbieten. Die meisten Fans gucken zwangsweise allein zuhause.

Ein Video von Hunderten japanischer Fans, die nach dem unerwarteten 2:1-Sieg Japans über Deutschland auf der belebten Shibuya-Kreuzung in Tokio ausrasteten, ging auf der chinesischen Twitter-ähnlichen Plattform Weibo viral. „Ist das dieselbe Welt wie unsere?“, zitierte Reuters die Frage eines Weibo-Users aus der Provinz Sichuan in einem Kommentar, der tausende Male geliked wurde. Natürlich ist davon nichts mehr online.

Denn es dauerte nicht lange, bis zu den Offiziellen durchdrang, welche Effekte die Übertragungen aus den WM-Stadien hatten. Die Behörden zogen sofort die Reißleine. CCTV begann, die feiernde Menge aus den Live-Übertragungen herauszuschneiden. Das sei technisch kein Problem, erklärt Marc Dreyer auf Twitter. CCTV habe ein Übertragungsteam in Doha, das auch Zugänge zu Kameras hat, die etwa auf Trainer und Ersatzbänke gerichtet sind. „Da alle Spiele in China mit einer Zeitverzögerung (in der Regel 30 Sekunden) übertragen werden, ist es ein Leichtes, von der Nahaufnahme einer Zuschauermenge auf einen dieser anderen Blickwinkel umzuschalten.“ Schon die Verzögerung zeigt die Furcht vor der weiten Welt: So gibt es sie deshalb, da in den Zuschauerrängen ja plötzlich jemand zu sehen sein könnte, der eine „Free Tibet“-Flagge hochhält.

Ein Video, das Dreyer über das Rausschneiden der WM-Fans auf der chinesischen Chatplattform WeChat verbreitet hatte, löschten die Zensoren am Sonntag, nachdem es viral gegangen war. Viele Fans, die den Unterschied zu den ersten Spielen bemerkten, sind laut Dreyer „offensichtlich nicht erfreut über die Tatsache, dass ihnen eine manipulierte Geschichte vorgeführt wird“.

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