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Chinas Covid-Proteste mit erster Wirkung: Städte lockern Testpflicht und Quarantäneregeln

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Von: Christiane Kühl

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Eine Frau verkauft Snacks an ihrer Garküche in Urumqi, China
Garküche in Urumqi: Dort dürfen die Menschen wieder raus zum Einkaufen von Lebensmitteln. Erste Lockerungen der Corona-Maßnahmen in Urumqi: Dort dürfen n Urumqi waren kürzlich beim Brand eines abgeriegelten Wohnhauses zehn Menschen gestorben. Das löste eine landesweite Protestwelle aus. © CNS/AFP

Chinas Kommunalpolitiker reagieren auf die Corona-Proteste des vergangenen Wochenendes. Viele Städte kündigten erste Lockerungen an: Quarantäne zuhause oder keine Tests mehr zum Busfahren.

Peking/München – Als Reaktion auf die landesweiten Proteste gegen die Null-Covid-Politik haben am Wochenende mehrere Städte in ganz China Testpflicht und Quarantäneregeln gelockert. Einige erlaubten trotz steigender Infektionszahlen zudem die Öffnung von Restaurants, Einkaufszentren und Schulen. Eine größere Öffnungswelle erwarten Experten bisher dennoch nicht. Es bleibt vorerst bei Einzelnmaßnahmen. China meldete am Sonntag 35.775 Neuinfektionen; schon seit Tagen liegen die täglichen Fallzahlen deutlich über 30.000. Auch hat es am Wochenende nach Angaben der Gesundheitskommission erneut zwei Todesfälle gegeben.

Es deutet sich zudem erstmals eine generelle Neubewertung des Coronavirus in der milderen Omikron-Variante an. Mehr als 95 Prozent der Fälle seien in China inzwischen asymptomatisch, auch die Sterberate sei gering, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Yicai am späten Sonntagabend unter Berufung auf anonyme Wissenschaftler. Daher könne Peking eine Herabstufung des Virus auf eine „ernste ansteckende Krankheit“ erwägen. Derzeit gilt Covid-19 wie SARS oder Milzbrand als gefährliche Epidemie, die harte Eindämmungsmaßnahmen rechtfertigt. Ob der Bericht offiziell abgesegnet ist, war zunächst aber unklar.

In der staatlichen Volkszeitung sprachen sich zugleich am Wochenende mehrere Gesundheitsexperten dafür aus, Infizierten eine Isolation zu Hause zu ermöglichen, anstatt alle positiv Getesteten in staatliche Quarantänezentren zu bringen. Ein Pekinger Bezirk kündigte bereits an, dass positiv Getestete ab sofort nicht mehr in solche Einrichtungen müssen. Auch in Shenzhen und Dongguan im Perlflussdelta dürfen sich Infizierte laut den Behörden „unter bestimmten Voraussetzungen“ zu Hause isolieren.

China: U-Bahn und Bus erstmals seit langem ohne negativen PCR-Test

Auch die Testpflicht wird in vielen Städten gelockert. In Shanghai entfällt ab Montag jene Testpflicht für Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder das Betreten von Parks und Touristenattraktionen im Freien zu betreten. Shanghai folgt mit den Lockerungen dem Beispiel mehrerer chinesischer Städte, darunter Peking, Tianjin, Shenzhen und Chengdu, deren Bürger bereits seit Freitag oder Samstag wieder ohne Test mit Bus oder U-Bahn fahren dürfen. Die Stadt Hangzhou südöstlich von Shanghai beendete am Sonntag die regelmäßigen Massentests für die zehn Millionen Einwohner. Weiterhin testen müssen sich dort nur Menschen, die Pflegeeinrichtungen, Schulen und Kindergärten besuchen oder dort arbeiten.

In der Hauptstadt Peking riefen die Gesundheitsbehörden zudem Krankenhäuser auf, Menschen auch ohne negativen PCR-Test zu behandeln. Dort müssen Einwohner demnach seit Samstag auch nicht mehr beim Kauf von Fieber- und Erkältungsmedikamenten ihren Namen hinterlassen. In Peking wurden bereits erste Teststationen abgebaut. Ein Video, das zeigt, wie Arbeiter in Peking eine Prüfkabine mit einem Kran auf einen Lastwagen verfrachten, ging am Freitag viral in Chinas Sozialmedien. „In die Geschichte verbannt“, ätzte ein Kommentator laut Reuters.

China: Selbst Xi Jinping erkennt geringere Gefahr durch Omikron an

Überraschende Töne gab es zudem von Staatschef Xi Jinping persönlich. Xi, der sich gern für die strikte Null-Covid-Politik feiern lässt, sagte zu EU-Ratspräsident Charles Michel bei dessen Besuch in Peking nach Angaben von EU-Beamten, die Omikron-Variante erlaube „mehr Öffnungen“. Die Bevölkerung sei nach drei Jahren Pandemie „frustriert“, betonte Xi demnach. Bei den Protestierenden habe es sich hauptsächlich um Studierende oder Jugendliche gehandelt. Am Mittwoch hatte bereits Vizepremierministerin Sun Chunlan von „einer neuen Situation und neuen Aufgaben bei der Prävention und Bekämpfung der Epidemie“ gesprochen.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) begrüßte unterdessen die vorsichtigen Lockerungen. WHO-Notfalldirektor Michael Ryan sagte vor Journalisten in Genf: „Wir freuen uns zu hören, dass die chinesischen Behörden ihre Strategien anpassen und jetzt wirklich versuchen, die nötigen Kontrollmaßnahmen mit dem Leben, den Lebensgrundlagen und den Menschenrechten der Menschen in Einklang zu bringen.“

Ryan begrüßte zudem, dass die Impfrate in China ansteige. Doch dies geht den meisten Experten viel zu langsam. Ausländische mRNA-Vakzine wie von Biontech sind in China nicht zugelassen. Auch der Absatz eigener Impsftoffe wie von Sinovac verläuft aufgrund mangelnder Nachfrage derzeit schleppend. Die Beweggründe dafür bleiben für die meisten Beobachtenden rätselhaft.

Neun von zehn Chinesen sind nach Angaben der Gesundheitskommission zwar gegen das Coronavirus geimpft. Unter den Über-80-Jährigen im Land haben demnach aber nur 66 Prozent mindestens eine Impfung bekommen. Und oftmals liegen diese Impfungen lange zurück.

China: Massive Polizeipräsenz verhindert weitere Null-Covid-Proteste

Chinas Null-Covid-Politik und die damit verbundenen ständigen Lockdowns und Kontrollen hatten am vergangenen Wochenende eine landesweite Protestwelle ausgelöst. Was mit Trauer über zehn Todesopfer beim Brand eines offenbar abgeriegelten Wohnhauses in Xinjiangs Hauptstadt Urumqi begann, richtete sich bei mehreren Demos – etwa in Shanghai und Peking – bald auch gegen Staatschef Xi Jinping und die Kommunistische Partei. Demonstrierende hatten etwa in Shanghai Xi und die KP lautstark zum Rücktritt aufgerufen. Eine starke Polizeipräsenz aber verhinderte unter der Woche weitere Proteste.

Auch an diesem Wochenende kam es nur vereinzelt zu Protesten und Zusammenstößen mit der Polizei, unter anderem im zentralchinesischen Wuhan, wo Ende 2019 die Pandemie ihren Anfang genommen hatte. Noch immer sind vor allem an den Orten der Proteste des vergangenen Wochenendes wie der Urumqi-Straße in Shanghai viele Sicherheitskräfte zu sehen. Dafür gingen im Ausland vielerorts Menschen in Solidarität mit den Protestierenden auf die Straße, darunter in Taipeh, Berlin, Tokio oder Boston.

Im nordwestlichen Urumqi – Ort des Wohnhausbrand mit zehn Toten, der die landesweiten Anti-Lockdown-Proteste ausgelöst hatte – kündigten die Behörden am Freitag die stufenweise Öffnung von Supermärkten, Hotels, Restaurants sowie nahe gelegenen Ski-Gebieten an. Die Stadt mit ihren mehr als fünf Millionen Einwohnern ist einer der am längsten von Corona-Maßnahmen betroffenen Orte Chinas. Einige Viertel waren seit Anfang August im Lockdown. (ck/dpa)

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