Chinas 20. Parteitag: Sozialistischer Pomp und Personalrochaden – wird Xi so mächtig wie einst Mao?

Chinas starker Mann Xi Jinping will sich auf dem anstehenden 20. Parteitag der Kommunisten eine weitere Amtszeit sichern. Dazu müsste er eine jahrzehntelang geltende Regel abräumen.
Peking/München – Die Parteitage von Chinas Kommunisten sind stets ein Forum für sozialistischen Pomp, Ideologie und gigantische Personalrochaden in der Partei. In den letzten drei Jahrzehnten standen sie auch für eine geordnete Machtübergabe des Parteivorsitzes nach zwei Amtszeiten à fünf Jahren. Das gilt nun nicht mehr. Auf dem kommenden 20. Parteitag wird sich Staats- und Parteichef Xi Jinping aller Voraussicht nach für weitere fünf Jahre zum Vorsitzenden ernennen lassen. Dadurch dürfte er auch mindestens fünf weitere Jahre Staatspräsident bleiben. Beides ist eigentlich gar nicht vorgesehen.
Als Xi am Ende des 18. Parteitags im November 2012 Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) wurde, galt der damals 59-Jährige als relativ unerfahren, seine Machtbasis als begrenzt – vor allem, weil er damals von anderen führenden Kadern umgeben war, die nicht zu seinen Verbündeten gehörten.
Kurz vor dem am 16. Oktober 2022 beginnenden 20. Parteitag aber ist klar: Xi hat keineswegs die Absicht zu gehen. Er ist zum mächtigsten KPCh-Chef seit dem „Großen Vorsitzenden“ Mao Zedong aufgestiegen. 2017 tauchte kein Kronprinz auf. Xi drängte die Nummer Zwei der Parteihierarchie, Ministerpräsident Li Keqiang, zur Seite – und übernahm viele dessen Aufgaben einfach selbst, über ein Geflecht parteiinterner Kommissionen für Wirtschaft, Sicherheit oder Umwelt. Um länger als zwei Amtszeiten Präsident bleiben zu können, ließ Xi 2018 Chinas Verfassung ändern. Und jetzt steht er kurz davor, einen jahrzehntelang funktionierenden Partei-Usus abzuräumen – und mit 69 Jahren einfach weiterzumachen.
Eigentlich verlangt eine inoffizielle Parteiregel namens „Sieben-Hoch-Acht-Runter“ seit 30 Jahren, dass alle Kader ab 68 aufs Altenteil gehen. Das sollte eine institutionelle Machtübergabe ohne brutale Machtkämpfe wie in der Mao-Zeit sichern. Vielen Spitzenkadern war zudem der greise Mao in unschöner Erinnerung: Die Nachteile einer Herrschaft auf Lebenszeit lagen auf der Hand. Fast immer hielt sich die Parteispitze seither daran. Doch es rächt sich jetzt, dass die KPCh dies nie schriftlich in ihrer Charta fixierte – und es daher auch wenig Handhabe gegen Xis Pläne gäbe. Sollte es intern Kritik an Xis Machtanspruch geben, so ist das außerhalb des Parteiapparats nicht erkennbar.
China: Postengekungel hinter den Kulissen der Partei
Trotzdem steht der Parteiführung ein Generationswechsel in der Partei bevor. Ministerpräsindent Li Keqiang dürfte mit 67 zwar theoretisch im Ständigen Ausschuss bleiben, wird aber voraussichtlich ausscheiden. Zwei weitere Mitglieder sind 68 und 69. Es wird also unterhalb von Xi ein Stühlerücken geben, über das Parteigranden seit Monaten hinter den Kulissen ringen.
„Der Auswahlprozess ist noch undurchsichtiger als früher“, sagt Nis Grünberg, Lead Analyst beim Merics-Institut für Chinastudien in Berlin. „Damals gab es noch verschiedene Fraktionen in der Partei, von denen man wusste, dass aus ihnen bestimmte Vertreter aufrücken.“ Dazu gehörten die wirtschaftsorientierte Shanghai-Fraktion des früheren Präsidenten Jiang Zemin oder die sozialer ausgerichtete Jugendliga um Xis Vorgänger Hu Jintao sowie Li Keqiang. „Heute gibt es eigentlich nur noch eine einzige große Xi-Fraktion. Wer zu anderen Fraktionen gehört, hat weniger Aufstiegschancen“, so Grünberg zum Münchner Merkur von IPPEN.MEDIA. Wenn also jemand einen hohen Posten bekommt, der nicht zum Xi-Lager zählt, so wäre das ein Signal, dass der Parteichef nicht jede Personalie durchdrücken kann.
Parteitage der Kommunistischen Partei Chinas
Die Parteitage mit ihren rund 2.300 Delegierten aus allen Regionen Chinas fanden seit Gründung der KP 1921 mehr oder weniger durchgehend alle fünf Jahre statt. Diese Partei-Plenarsitzungen treffen Entscheidungen über den politischen Kurs der nächsten fünf Jahre oder nehmen ideologische Traktate des jeweiligen Generalsekretärs in die Parteiverfassung auf. Auch „wählen“ die Parteitage für einen Zyklus von je fünf Jahren ein neues Zentralkomitee (ZK) mit rund 230 Mitgliedern. Das ZK wiederum bestimmt das 25-köpfige Politbüro und dessen Ständigen Ausschuss, die eigentliche Machtzentrale der Partei. In den Perioden zwischen den Parteitagen treffen sich nur gelegentlich Zentralkomitee und Politbüro zu Plenarsitzungen. Die wirklich wichtigen Entscheidungen trifft der Ständige Ausschuss des Politbüros. Dieser hat mal sieben, mal neun Mitglieder – aber immer eine ungerade Zahl, um eine Blockade zu vermeiden.
Chinas Parteitage: Forum für Ideologie
Außerdem sind Parteitage der Anlass, auf dem die jeweiligen KPCh-Chefs ihre Ideologie, Theorien und Gedanken zum Sozialismus in der Parteicharta festschreiben lassen, um sich ihren Platz in den Partei-Annalen zu sichern. Dort gilt Mao Zedong trotz aller Fehler als unantastbar, seine „Mao-Zedong-Gedanken“ gehören fest zum KP-Kanon. Das möchte Xi nach Ansicht vieler Beobachtender auch erreichen.
2017 gelang es ihm, seine „Xi Jinping-Gedanken zum Sozialismus Chinesischer Prägung in der Neuen Ära“ in die Parteicharta aufnehmen zu lassen. Damit ist er nach Mao schon jetzt der erste Parteichef, dem es zu Lebzeiten gelang, seine Gedanken mitsamt seinem Namen in der KP-Verfassung zu verankern. Doch erst wenn er dieses Wortungetüm auf „Xi Jinping-Gedanken“ kürzen lässt, ist er wirklich auf einer Stufe mit Mao. Inhaltlich ist das Konzept eher vage. Xi spricht darin von einer „Verjüngung der Nation“ und einem „Chinesischen Traum“. Beides steht für sein Ziel, China als Großmacht wieder auf der Weltbühne zu etablieren.
Doch noch radikaler wäre ein Versuch, den nach Maos endloser Herrschaft abgeschafften Titel des „Vorsitzenden“ wieder zu etablieren. Das Wort klingt harmlos, doch ist der Staatsgründer als „Vorsitzender Mao“ bis heute eine Kultfigur in China – selbst bei Leuten, die seine katastrophalen ideologischen Kampagnen wie die Kulturrevolution kritisch sehen. Wenn es Xi gelingt, sich auf dem 20. Parteitag als „Vorsitzender Xi“ inthronisieren zu lassen, dann hat er es wirklich geschafft. Es droht für diesen Fall ein Mao-ähnlicher Personenkult.
Generationswechsel in Chinas KP
Ob es Xi gelingen wird, der Partei auch das von ihm favorisierte Personal aufzudrücken, ist noch unklar. Es gilt als sicher, dass es im Frühjahr 2023 einen neuen Ministerpräsidenten und einen neuen Vizepräsidenten geben wird. Die Weichen für diese beim Nationalen Volkskongress im kommenden März zu besetzenden Staatsämter werden auf dem Parteitag gestellt – durch das Aufrücken der jeweiligen Funktionäre in den Ständigen Ausschuss. Der 72 Jahre alte Vizepräsident Wang Qishan wird sich wohl aus dem Amt zurückziehen. Ministerpräsident Li Keqiang hat ebenfalls angekündigt zu gehen.
Zwei Spitzenkandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten sind Wang Yang und Hu Chunhua: Erfahrene, als pragmatische Technokraten geltende Politiker, die beide einmal die Boomprovinz Guangdong in Südchina regiert haben, aber die im Westen praktisch niemand kennt. Sollte einer von ihnen den Posten bekommen, wäre das ein Zeichen, dass Xi nicht alle Personalentscheidungen durchdrücken kann. Denn weder Wang noch Hu sind Proteges des Präsidenten. Sie sollen vielmehr der Gruppe um Li Keqiang nahestehen. Beide waren bereits Vize-Ministerpräsidenten, eine zentrale Voraussetzung für das Amt.
Doch niemand weiß, ob unter Xi solche Voraussetzungen überhaupt weiter gelten. Ein Beispiel: „Das Kriterium, dass jemand Vizepräsident gewesen sein muss, um an die Spitze zu rücken, war durch Xi zunächst außer Kraft gesetzt“, sagt Grünberg. Beide Vizepräsidenten unter Xi waren älter als er selbst – und daher von Beginn an nicht als seine Nachfolger gedacht. Generell gelten laut Grünberg Erfahrung etwa in den Provinzen als wichtige Bedingung für den politischen Aufstieg. Doch es sei durchaus möglich, dass Xi auch dieses Kriterium beim Parteitag aufweicht.
Das wäre ein klares Zeichen, dass Xi mehr Wert auf ideologische Korrektheit und Loyalität legt, als auf professionelle Erfahrung. „Besser Rot als Experte“ hieß das in den radikalen Phasen der Mao-Ära, die das Land bekanntermaßen ins Chaos stürzten.
Wie heftig hinter den Kulissen die Kämpfe um die hohen Posten ausgefochten werden, vermag niemand zu sagen. Kürzlich sorgten Fake News über einen angeblichen Militärputsch gegen Xi für Aufregung. Gerüchte heftigen Gegenwinds in der KPCh gegen Xi haben sich derweil nicht erhärtet. „Xi wird China noch 10-15 Jahre lang regieren“, glaubt Yang Zhang, KPCh-Experte und Soziologe an der American University in Washington. „Im Moment muss er keinen Nachfolger ernennen“, schrieb Yang auf Twitter. „Und niemand wagt es, einen vorzuschlagen. Sein künftiger Nachfolger ist jetzt ein Beamter des mittleren Ranges.“ (ck)