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Chinas Covid-Frust: Die größten Proteste seit 1989, wie gefährlich wird es für Xi Jinping?

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Von: Christiane Kühl

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„Nieder mit Xi Jinping“: China erlebte am Wochenende wegen seiner Null-Covid-Politik die größte Protestwelle seit mehr als 30 Jahren. Ein Experte sieht in den vernetzten Protesten eine neue Qualität.

Shanghai/Frankfurt – Am Morgen nach den Anti-Covid-Protesten an der belebten Urumqi-Straße in Shanghai regnet es, an den Ecken stehen Polizisten. Sie fordern Passanten auf, keine Fotos zu machen – dennoch knipsen einige die Straße, in der blaue Absperrrzäune am Gehweg zu sehen sind. In Peking herrschte am Montag ebenfalls gespannte Ruhe; wegen des aktuellen Quasi-Lockdowns sind ohnehin kaum Autos auf der Straße. Auch auf der Chatplattform WeChat kursierten am Montag kaum mehr Videos von neuen Protestaktionen. Dafür kocht nach Angaben von Bewohnern die Gerüchteküche. In einigen kleineren Städten soll es aber weiterhin zu vereinzelten Protestaktionen gekommen sein.

Demonstrierende halten weiße Papiere in den Pekinger Nachthimmel
Weißes Papier als Symbol für Zensur: Anti-Covid-Protest in Peking © Noel Celis/afp

In etwa einem Dutzend Städten waren die Menschen am Wochenende auf die Straße gegangen, mit mehreren hundert oder gar über tausend Teilnehmern, und sie hatten Videos davon im ganzen Land geteilt. Darauf sind Menschen zu sehen, die Lockdown-Barrieren umtreten und sich Polizisten in weißen Schutzanzügen entgegenstellen. Andere halten weiße Blätter in der Hand – eine Anspielung auf die Zensur, die sich seither wie ein Lauffeuer im Netz verbreitet.

Auf dem Campus der Tsinghua-Universität in Peking, an der Staatschef Xi Jinping studiert hatte, skandierten die Studenten Aufrufe zu Demokratie und Redefreiheit und sangen die sozialistische „Internationale“. Auf der Urumqi-Straße in Shanghai gingen einige am Samstagabend noch weiter und forderten: „Nieder mit Xi Jinping!“ und „Nieder mit der Kommunistischen Partei!“.

Flammen in einem Wohnhaus in Urumqi
Das Feuer in einem Wohnhaus in Urumqi konnte nicht rechtzeitig gelöscht werden. Zuviele Autos versperrten dem Rettungswagen die Zufahrt. Sie standen dort seit Wochen wegen des andauernden Corona-Lockdowns. © Uncredited/dpa

Chinas Null-Covid-Politik war der Grund für die Wut. Doch der Funke, der den Kessel zur Explosion brachte, war ein Feuer in Urumqi mit zehn Toten – weshalb die Proteste auch in der nach der Hauptstadt der Nordwestregion Xinjiang benannten Urumqi-Straße in Shanghai ihren Anfang nahmen. Die Covid-Maßnahmen hätten dort raschere Löscharbeiten und die Rettung der Menschen verhindert, kritisierten User in den sozialen Medien. Die Notausgänge sollen wegen der Covid-Maßnahmen blockiert gewesen sein. Und die seit Wochen wegen der Ausgangssperren in der engen Gasse vor dem Haus parkenden Autos hätten den Rettungskräften die Zufahrt versperrt, hieß es. Viele der Proteste begannen daher als Trauermärsche mit Kerzen. Hinzu kam wohl auch die Angst vieler, dass sie einmal selbst wie die Opfer von Urumqi hinter Lockdown-Zäunen in der Falle sitzen könnten.

China ist die letzte große Volkswirtschaft, die eine sehr strenge Null-Covid-Politik verfolgt. Selbst kleine Corona-Ausbrüche können zu Lockdowns bis hin zur Abriegelung ganzer Städte und zu Betriebsschließungen führen, was die Wirtschaft und den Alltag der Menschen massiv belastet. Doch die täglichen Neuinfektionen mit der hochansteckenden Omikron-Variante steigen derzeit wie noch nie: Am Montag erreichte ihre Zahl nach Behördenangaben mit landesweit 40.052 Fällen erneut einen Höchststand.

Die größten Proteste seit 1989, wie gefährlich wird es für Xi Jinping?

Manche Beobachtende sprechen bereits von den größten Protesten seit der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung im Jahr 1989. Die Polizei reagierte am Wochenende zunächst zurückhaltend, setzte aber schließlich Pfefferspray ein, um die Protestgruppen aufzulösen. Manche Demonstrierende wurden abgeführt, außerdem ein BBC-Korrespondent, der nach Angaben des britischen Senders dabei geschlagen wurde. Angesichts der Ruhe und beobachteten Polizeipräsenz am Montag stellen sich nun viele Fragen: Haben Polizei und Staatsapparat die aufbrandende Protestwelle direkt im Keim erstickt? Oder haben die Leute schlicht am Wochenende Dampf ablassen wollen – und gehen nun wieder ihren gewohnten Geschäften nach? Oder waren die Proteste erst der Auftakt zu einer neuen Runde?

„Was jetzt passiert, ist neu, interessant und potenziell ziemlich wichtig“, meint William Hurst, Professor für Chinas Entwicklung an der Universität Cambridge. „Wir müssen jedoch vorsichtig sein mit Schlussfolgerungen oder Vorhersagen.“ Proteste gebe es seit Jahrzehnten in China, so Hurst. Menschen protestieren gegen Massenentlassungen, niedrige Getreidepreise, lokale Korruption, so Hurst auf Twitter. Seltener seien Studentendemos, Bewegungen urbaner Eliten für politische Reformen oder ethnisch geprägte Proteste etwa von Tibetern oder Uiguren. Gemein haben sie alle, so Hurst, dass sie lokal begrenzt waren und sich nicht landesweit vernetzten. „Daher ist vor allem neu, dass die Demonstranten nun in mehreren Städten auf die Straße gegangen sind und offensichtlich wussten, was in anderen Teilen des Landes passiert.“ Trotzdem hält Hurst ein Auslaufen der Proteste für das wahrscheinlichste Szenario.

China nach Protestaktionen: Zensoren tilgen jede Spur aus dem Netz

Am Montag hatten die Zensoren jedenfalls ganze Arbeit geleistet. Videos der Proteste sowie Suchbegriffe zu zentralen Orten der Proteste wie „Liangma-Fluss“ in Peking und „Urumqi-Straße“ in Shanghai waren in Chinas Sozialmedien nicht mehr zu finden. User fanden, wie so oft in China, sofort Umwege. So kursierten auf WeChat oder auch Twitter Nachrichten, die das auf den Demos gezeigte weiße Blatt zeigten. Auch kursierten am Montagabend Fotos von Autos, die weiße Blätter am Dach befestigt hatten und damit im Stau standen. Ein anderes Foto zeigt eine Frau, die im Dunklen weiße Papierblätter in die Luft wirft. Es sind ruhigere Formen des Protests.

Chinas Staatsmedien verschweigen die Proteste derweil in gewohnter Manier. Da überrascht es beinahe, dass die staatliche Zeitung People‘s Daily am Montagmorgen einen Kommentar veröffentlichte, in dem sie vor „Lähmung“ und „Kampfmüdigkeit“ im Kampf gegen die Corona-Pandemie warnte – freilich ohne ein Ende der rigiden Politik zu fordern.

„Wir wollen keine PCR-Tests, sondern Freiheit!“, riefen am Wochenende nun viele Demonstranten. „Wir wollen wie Menschen leben!“ Hat Xi Jinping sich also verschätzt? Haben die Demonstranten vielleicht gar Verbündete in Teilen der politischen Eliten, wie manche Gerüchte unken? Wird der Staat die Maßnahmen lockern – oder vielleicht wenigstens eine richtige Impfkampagne starten? Das werden die kommenden Wochen zeigen. Immerhin haben die Behörden einige Corona-Maßnahmen gelockert. Die Stadtverwaltung in Peking kündigte an, sie werde keine Zäune mehr aufstellen, um den Zugang zu Wohnanlagen mit Coronafällen zu blockieren. „Die Durchgänge müssen für medizinische Transporte, Flucht und Rettung frei bleiben“, sagte ein für die Seuchenbekämpfung zuständiger Beamter. Den Brand in Urumqi erwähnte die Behörde ebensowenig wie die Proteste.

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