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Chinas Corona-Chaos auf dem Land: Omikron-Tsunami erreicht die Dörfer viel früher als erwartet

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Von: Christiane Kühl

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Landarzt im Dorf Shaoji in der Provinz Shandong mit zwei älteren Patienten
Landarzt im Dorf Shaoji in der Provinz Shandong: Viele ältere Menschen auf dem Land sind ohne vollständigen Corona-Impfschutz. © Xu Suhui/Imago

Chinas riesige Corona-Welle trifft die ländlichen Regionen viel früher als erwartet. Schon vor dem Neujahrsfest des Mondkalenders am 22. Januar sind viele örtliche Kliniken überfordert.

Peking/Frankfurt – Eine gute Woche vor dem Neujahrsfest am 22. Januar rüstet sich China für eine riesige Covid-Welle auf dem Land: Die Behörden planen lokale Fieberkliniken und fordern Ärzte zu Fortbildungen und zur Anschaffung der nötigen Medikamente auf. Doch offenbar ist der Omikron-Tsunami schon längst in den Dörfern und Kreisstädtchen angekommen – und hat dort Landärzte und lokale Krankenstationen nahezu unvorbereitet überrannt. Konkrete Daten aus ländlichen Regionen zu bekommen, ist noch schwerer als aus den Städten, seit China die Bekanntgabe von Fallzahlen gestoppt hat. Nur aus einzelnen Anekdoten ergibt sich ein – gleichwohl lückenhaftes – Bild von überfüllten Fieberklinken, fehlenden Medikamenten, überforderten Landärzten.

Wie früh Omikron aufs Land schwappte, zeigt das Beispiel des Dorfes Hongtang in der zentralchinesischen Provinz Hunan, das laut einem Bericht der Hongkonger South China Morning Post am 9. Dezember den ersten Covid-Fall verzeichnete, als ein heimkehrender Wanderarbeiter positiv getestet wurde. Ein paar Tage später kamen auch Studierende aus verschiedenen Städten in das Dorf zurück. Mitte Dezember begannen die örtlichen Behörden, traditionelle chinesische Arzneimittel zu lagern, andere Medikamente hatten sie nicht. In Hongtang lebten 530 Menschen im Alter über 60. „In der zweiten Dezemberhälfte starben viele Menschen im Alter von 80, 90 und mehr Jahren. Die Todesfälle waren sehr konzentriert“, zitierte die Zeitung einen lokalen Beamten, der anonym bleiben wollte.

Besonders viele Ältere leben in den Dörfern

Ein großes Problem ist, dass auf dem Land besonders viele alte Menschen leben, die in China aus Angst vor Nebenwirkungen oft nur unzureichend geimpft sind. 25 Millionen Menschen über 60 Jahre sind nach Angaben in Staatsmedien völlig ungeschützt gegen das Coronavirus. Von den 240 Millionen Chinesen über 60 Jahre sollen immerhin rund 75 Prozent geboostert sein. Bei den Älteren über 80 sind es aber nur rund 40 Prozent.

Und zu diesen Älteren reisen nun hunderte Millionen Städter, um mit ihnen gemeinsam zu feiern, zu essen und Feuerwerk in den Himmel zu jagen. Die offizielle Reisesaison für das chinesische Neujahrsfest – die größte jährliche Völkerwanderung der Welt – läuft in diesem Jahr seit dem 7. Januar und dauert noch bis zum 15. Februar. Auch aus Dörfern etwa in der Provinz Anhui erzählen Menschen, dass dort „jeder“ das Virus habe; es klingt wie die Situation Anfang Dezember in Peking.

China: Ärzte auf dem Land ohne Erfahrung mit Covid-19

Nur ist für die Ärztinnen und Ärzte in den Dörfern und Kleinstädten der Ansturm von Patienten mit Covid-19 etwas völlig Neues. Denn bevor China im Dezember seine Null-Covid-Politik aufgab, durften ländliche Krankenhäuser und Kliniken gar keine Menschen mit Covid-Symptomen aufnehmen. Ziel war es, die Ausbreitung der Pandemie auf dem Land zu verhindern – aus gutem Grund: Die Klinken in den ländlichen Gebieten Chinas sind nicht annähernd so groß und so gut ausgestattet wie die Krankenhäuser der Großstädte. Auf dem Land kommen laut South China Morning Post nur 1,48 Ärzte und 2,1 Krankenschwestern auf 1.000 Einwohner – während es in den Städten 3,96 Ärzte und 5,4 Krankenschwestern pro 1.000 Einwohner gibt.

Viele Menschen vertrauten schon vor der Pandemie den lokalen Kliniken kaum und gingen selbst für Routine-Behandlungen in Kreiskrankenhäuser, die vielfach Distrikte mit Millionen von Menschen betreuen – und auch ohne Covid oft überfüllt sind. Ein Arzt mit Nachnamen Liu in einem solchen ländlichen Kreiskrankenhaus in der Küstenprovinz Zhejiang berichtete der South China Morning Post, dass auch dort viele Patienten aus kleineren Kliniken gekommen seien – aber auch er sagt, dass der Druck Ende Dezember am größten war. Liu war laut dem Bericht vom Krankenhaus beauftragt worden, sich in der Behandlung von Notfällen auf der Intensivstation weiterzubilden. Er hat auch die Behandlung mit Paxlovid und Azvudin gelernt, zwei antiviralen Medikamenten gegen Covid-19. „Doch die Betten auf der Intensivstation reichen bei weitem nicht aus“, sagte Liu. „Und die Medikamente sind noch gar nicht eingetroffen.“

Chinas Corona-Tsunami schon auf erstem Höhepunkt?

Die landesweiten Covid-Infektionen in China könnten noch zwei bis drei Monate lang hoch bleiben, berichtete das Wirtschaftsmagazin Caixin am Freitag unter Berufung auf kürzliche Aussagen des ehemaligen Chef-Epidemiologen des chinesischen Zentrums für Krankheitskontrolle und Prävention (CDC), Zeng Guang. Die Zahl der schweren Fälle könnte sogar noch länger ansteigen, so Zeng demnach. Das Virus komme derzeit in Wellen, es sei „eine nach der anderen, zuerst in Peking, dann in Guangzhou, Chengdu, Chongqing und anderswo. Es ist an der Zeit, sich vor allem auf die ländlichen Gebiete zu konzentrieren.“

Der Omikron-Tsunami könnte nach Modellrechnungen sogar schon um den Freitag herum mit 3,7 Millionen Neuinfektionen am Tag einen ersten Höhepunkt erreicht haben. Wie der in London ansässige Datenverarbeiter Airfinity berichtete, dürfte die Zahl der täglichen Corona-Todesfälle dann zehn Tage später auf den höchsten Stand von 25.000 steigen. Insgesamt werden den Schätzungen zufolge dann in dem Zeitraum seit Beginn der Riesenwelle Anfang Dezember mehr als eine halbe Million Menschen in China an oder mit Covid-19 gestorben sein. Offiziell sind es in den letzten zwei Wochen nur ein paar Dutzend; diese Zahlen kann freilich niemand ernst nehmen.

Airfinity erwartet für Anfang März eine noch höhere Welle als derzeit, die dann vor allem den ländlichen Raum erfassen werde. Darin werden sich bis zu 4,2 Millionen Menschen pro Tag anstecken können. Die Zahl der Toten werde bis Ende April auf insgesamt 1,7 Millionen steigen. Viele der künftigen Opfer dürften ältere Menschen aus ländlichen Regionen sein. (ck, mit Material von dpa)

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