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China im Corona-Blindflug: Deutschland spricht Reisewarnung aus – WHO-Kritik an niedrigen Todeszahlen

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Von: Christiane Kühl

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Deutschland warnt ab sofort vor Reisen nach China. Dort wütet eine riesenhafte Omikron-Welle. Die WHO kritisiert Peking derweil für das Fehlen verlässlicher Corona-Daten Die Todeszahlen seien viel zu niedrig.

Peking/München – Daten gibt es nicht mehr, keine Angaben zu Neuinfektionen, dazu absurd niedrige Todeszahlen. Und doch ist offensichtlich, dass ein gewaltiger Omikron-Tsunami durch China rauscht. Deutschland hat daher am Samstag eine Reisewarnung für die Volksrepublik ausgesprochen. Grund seien „der Höchststand an COVID-19-Infektionen und das überlastete Gesundheitssystem“, teilte das Krisenreaktionszentrum des Auswärtigen Amtes auf Twitter mit. Ab Montag müssen Einreisende aus China zudem einen negativen Corona-Test vorlegen, der nicht älter sein darf als 48 Stunden. Umgekehrt endete in China am Sonntag die Quarantänepflicht für Einreisende aus aller Welt. Nach Augenzeugenberichten sind an den Flughäfen keine Gesundheitsmitarbeitenden in weißen Schutzanzügen mehr zu sehen.

Die Welt blickt mit Schrecken auf das Wüten des Virus in China. Drei Jahre in Schach gehalten, breitet es sich seit dem Ende der Null-Covid-Politik seit Anfang Dezember rasant im ganzen Land raus. Doch weil die chinesische Regierung kürzlich die Veröffentlichung der Fallzahlen einfach eingestellt hat, lässt sich das wahre Ausmaß der Katastrophe nur erahnen. Zumal China die Krankheit seit dem Politik-Schwenk stark herunterspielt. Führende Experten beschreiben Omikron nunmehr lapidar als „schwere Erkältung.“ Sogar vom Testen raten die Behörden mittlerweile ab.

Doch wie extrem die Lage sein muss, lassen die vielen Bilder überfüllter Krankenhäuser oder von Staus vor Krematorien erkennen. Ob China das Ausmaß des Chaos vertuschen will, oder einfach selbst keinen Zugriff mehr auf Daten hat, ist unklar. Weltweit aber wächst der Ärger, da China zugleich seine Grenzen öffnete – und die Menschen nun erstmals seit Anfang 2020 ungehindert ins Ausland reisen dürfen. Kein Land möchte sich neue Mutationen einfangen, von denen niemand überhaupt ahnt, dass sie in der Volksrepublik zirkulieren. Daher stuft das Auswärtige Amt China ab Montag als „drohendes Virusvariantengebiet“ ein.

WHO mit Kritik an Chinas Intransparenz

Covid-19-Patienten und ihre Angehörigen auf einer Krankenstation in Tangshan bei Peking:
Covid-19-Patienten und ihre Angehörigen auf einer Krankenstation in Tangshan bei Peking: Nur Bilder wie dieses zeugen von der Corona-Katastrophe in China.  © Noel Celis/afp

Sogar die normalerweise diplomatisch agierende Weltgesundheitsorganisation WHO kritisiert China inzwischen offen für seine Intransparenz. Niemand könne sich mehr ein Bild von der Lage verschaffen, so die Organisation. WHO-Notfalldirektor Mike Ryan kritisierte vor allem die viel zu niedrigen Todeszahlen. WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus betonte auf Twitter, angesichts des Fehlens umfassender Informationen aus China sei es verständlich, dass die Länder Maßnahmen ergreifen, von denen sie glauben, dass sie ihre Bevölkerung schützen.

Neben Deutschland haben auch andere EU-Länder, die USA, Südkorea und Japan eine Corona-Testpflicht für Ankommende aus China eingeführt. Mit Blick auf mögliche neue Varianten verstärkten mehrere Staaten die genetische Sequenzierung von Viren, die sie aus den Tests im Reiseverkehr erhalten haben. Flughäfen in Belgien analysieren Abwässer von aus China gelandeten Flugzeugen auf das neue Omikron-Varianten. Auch der Frankfurter Flughafen bereitet sich auf solche Abwasseruntersuchungen vor. Solange Reisende aus der Volksrepublik nur Varianten mitbringen, die ohnehin in Europa zirkulieren, bedeuten sie keine zusätzliche Gefahr. Doch wo das Virus sich stark ausbreitet, entstehen grundsätzlich auch viele Mutationen – darunter möglicherweise auch bedrohlichere Varianten.

Sorge im Ausland vor neuen Mutationen aus China: Bisher Entwarnung

Vorerst gibt die internationale Datenbank der Global Initiative on Sharing all Influenza Data (GISAID) – größte öffentliche Sequenzdatenbank für Influenzaviren – aber Entwarnung. „China verstärkt seine Bemühungen um genomische Überwachung“ des Virus und seiner Varianten, teilte GISAID am Donnerstag mit. Die Gesundheitsbehörden hätten die neusten Coronavirus-Sequenzierungsdaten aktueller Fälle aus Peking, Shanghai, Guangzhou sowie mehreren Provinzen im gesamten Land zur Verfügung gestellt. „Die vorläufige Analyse deutet darauf hin, dass alle Sequenzen den Varianten sehr ähnlich sind, die zwischen Juli und Dezember in anderen Teilen der Welt auftraten.“

„Die in China zirkulierenden Varianten sind bereits in der EU im Umlauf und stellen daher für die Bürger der EU und des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) keine Herausforderung dar“, urteilte auch das European Centre vor Disease Prevention and Control (ECDC).

China: Zu Fallzahlen und Toten gibt es nur Schätzungen

Das ist erstmal eine gute Nachricht. Doch angesichts der wohl riesenhaften Zahl der Infizierten ist völlig unklar, ob die Behörden überhaupt in der Lage sind, jede aufgetauchte Variante zu erkennen und genetisch zu erfassen. Der Epidemiologe Ben Cowling von der Universität Hongkong etwa rechnet mit einer Milliarde Infizierten. Das wären mehr als 70 Prozent der gesamten chinesischen Bevölkerung. Der frühere Vizedirektor von Chinas Gesundheitsbehörde, Feng Zijian, hatte kurz nach dem Ende der Null-Covid-Politik Anfang Dezember sogar gewarnt, dass sich 80 bis 90 Prozent der Chinesen infizieren würden. Internen Schätzungen der Behörde zufolge haben sich alleine in den ersten drei Dezemberwochen 248 Millionen Menschen in China mit dem Virus infiziert.

Die WHO fordert Peking seit Tagen zum regelmäßigen Austausch spezifischer Echtzeitdaten zur epidemiologischen Situation, einschließlich genetischer Sequenzierung, Daten über Krankenhausaufenthalte, Einweisungen in Intensivstationen und Todesfällen auf. China wies die Vorwürfe der WHO am Donnerstag zurück. „Seit den Anfängen von Covid hat China Informationen und Daten offen und transparent mit der internationalen Gemeinschaft ausgetauscht“, sagte eine Sprecherin des Außenministeriums in Peking.

Wieviele Menschen an Omikron sterben, ist deweil völlig unklar. Offiziell zählte China in den zwei Wochen bis Donnerstag (5.. Januar) gerade mal 20 Tote, eine vollkommen absurde Zahl. Selbst wenn nur „an Covid“ Gestorbene nach der engen offiziellen Definition gezählt werden, müssten es deutlich mehr sein. Anhaltspunkte ergeben sich weltweit durch Daten zur Übersterblichkeit – also den zusätzlichen Toten in einem Zeitraum im Vergleich zu langjährigen Durchschnittswerten in diesem Zeitraum. Doch die gibt es in der aktuellen Welle bisher nicht.

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China: Hohe Übersterblichkeit an renommierter Akademie als Anzeichen für viele Tote

Einen Hinweis auf eine möglicherweise sehr hohe Übersterblichkeit gab am Freitag – ob bewusst oder nicht, ist unbekannt – die staatsnahe Chinesische Akademie für Ingenieurwesen. Sie gab auf ihrer Website bekannt, dass zwischen dem 15. Dezember und dem 4. Januar 20 ihrer aktiven und emeritierten Mitglieder gestorben sind. Demnach starben in weniger als einem Monat mehr Wissenschaftler der renommierten Akademie als normalerweise in einem Jahr. Zwischen 2017 und 2020 habe es durchschnittlich 16 Todesfälle pro Jahr gegeben, im Jahr 2021 nur 13, wie die South China Morning Post berichtete. Natürlich ist die Akademie, deren rund 900 Mitglieder an Prestigeprojekten wie dem Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnnetz und der Raumstation Tiangong arbeiten, nur ein winziger Mikrokosmus.

Doch auch die Pekinger Tsinghua-Universität, führend für Ingenieurswesen und Naturwissenschaften, trendete in den sozialen Medien, als sie begann, ungewöhnlich viele Nachrufe in ihrem Campus-Netzwerk zu veröffentlichen. Und in Shanghai schockierte der plötzliche Tod des Pharmakologen Jiang Hualiang am 24. Dezember laut South China Morning Post die verunsicherten Menschen, denn der 57-Jährige, Mitglied der Chinesischen Akademie der Wissenschaften, leitete wichtige Programme zur Entwicklung von Arzneimitteln, unter anderem zur Behandlung von Covid-19. Auch gab es mysteriöse Todesfälle unter Promis.

Zum Neujahrsfest in China droht die nächste Welle

Kurz vor dem Chinesischen Neujahrsfest am 22. Januar droht die Welle nun noch einmal anzuschwellen – und Regionen im Hinterland zu treffen, deren Gesundheitssystem noch schlechter vorbereitet ist als in den Großstädten. Zum Neujahrsfest reisen traditionell Hunderte Millionen Menschen zu ihren Verwandten aufs Land zu Feiern, die dieses Jahr zum Superspreader-Ereignis werden könnten. Viele kommunale Behörden riefen daher die Menschen bereits auf, dieses Jahr auf die Heimreise zu verzichten und stattdessen online zu feiern.

Das ist nur ein Anzeichen für echte Sorge unter Beamten, auch wenn niemand über Fallzahlen spricht. Nach außen hin spielen einige lieber die Gefahren für China hoch – etwa durch die in den USA dominant gewordenen XBB 1.5-Variante, die noch ansteckender sein soll als alle früheren Omikron-Varianten. „Die Chinesen sind nun besonders besorgt, dass die US-Variante XBB.1.5 nach China eingeführt wird und eine neue Pandemiewelle auslöst“, twitterte etwa der einflussreiche nationalistische Kommentator Hu Xijin, ehemals Chefredakteur der Parteizeitung Global Times.

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