Chinas Außenpolitik unter Xi Jinping: Konkurrenz, spiritueller Kampfgeist und forsche Worte
Bundeskanzler Olaf Scholz reist in der kommenden Woche nach China. Dort findet er ein Land vor, das die Außenpolitik inzwischen vor allem als Kampf betrachtet und die Welt neu ordnen möchte.
Peking/München – Freundliche Diplomatie war gestern. Heute geht es um Konkurrenz, Kampf und forsche Worte. Jedenfalls in China: Führende chinesische Außenpolitiker haben auf dem gerade zu Ende gegangenen Parteitag der Kommunisten einen unerschrockenen „Kampfgeist“ in der Diplomatie des Landes beschworen. „Wir können nicht durch Täuschungen ins Schwanken gebracht, durch Einschüchterung abgeschreckt oder durch Druck eingeschüchtert werden“, sagte Vizeaußenminister Ma Zhaoxu auf einer der wenigen Pressekonferenzen am Rande der Tagung. Es sei der spirituelle Charakter der chinesischen Diplomatie, den Kampf zu wagen. Ma gilt als Anwärter auf den Ministerposten, wenn im März die Staatsregierung neu geordnet wird.
Die Zeiten, in denen China und der Westen trotz unterschiedlicher politischer Systeme und ideologischer Auffassungen in Sachfragen geräuschlos zusammenarbeiteten, scheinen vorbei. Im Westen gilt das Konzept „Wandel durch Handel“ angesichts der immer autoritärer agierenden Regierung unter Staatschef Xi Jinping als gescheitert: Statt mehr Öffnung gibt es in China weniger Freiheiten für die Menschen. Umgekehrt sieht China vor allem in den USA zunehmend Kräfte am Werk, die den Aufstieg des Landes mit allen Mitteln verhindern wollen – und ideologische Differenzen dabei nur vorschieben. Hinter vorgehaltener Hand geben manche Experten dieser Sichtweise teilweise recht. Und spätestens seit der Corona-Pandemie mit vielen Toten in Europa und den USA steht für Xi fest: „Der Westen ist im Niedergang, der Osten steigt auf.“
Unter dieser Prämisse dürfte Xi auch in seiner dritten Amtszeit seine Politik gestalten. Die Strategie: Chinas wirtschaftliches Gewicht für das Ringen mit dem Westen um politischen Einfluss in der Welt zu nutzen. Damit China seinen angemessenen Platz in der Weltordnung erhält.
China will die Weltordnung verändern
Das wäre für den Westen schon Herausforderung genug, wenn China eine Demokratie mit handfester Interessenpolitik wäre, wie sie ja auch die USA zeigen. Doch China ist sozialistischer Einparteienstaat, der sich derzeit in rasantem Tempo in eine Ein-Mann-Diktatur verwandelt. Xi sieht die Außenpolitik – natürlich – als Chefsache an und gestaltet sie weitgehend selbst. Chinas Außenpolitik befinde sich daher seit 2013/2014 in einer „deutlich aktivistischeren Phase“ als zuvor, sagte kürzlich der ehemalige australische Premierminister und heutige Präsident der Asia Society Kevin Rudd bei der Vorstellung seines Buches The Avoidable War („Der vermeidbare Krieg“) zum US-China-Konflikt.
Xi Jinping wolle die Lage in Chinas naher Umgebung ebenso verändern wie das internationale System, das heute vom Westen dominiert sei, sagte Rudd. Ziel sei es, das System „kompatibler mit Chinas Interessen“ zu gestalten. So schloss China eine Partnerschaft mit Russland gegen die USA und bemüht sich, internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen mithilfe von Personal und Geld im eigenen Sinne zu beeinflussen. Mit dem Infrastrukturprogramm Neue Seidenstraße finanziert China Bahnlinien oder Kraftwerke in Ländern, die bei der UNO dann zumeist mit Peking abstimmen, etwa wenn es um die Ablehnung von Kritik an Chinas Menschenrechtsverletzungen geht.
Xi Jinpings Außenpolitik: Weiter so nach Parteitag
Wenn also Bundeskanzler Olaf Scholz in der kommenden Woche für seinen „Tagesausflug“ in Peking landet, wird er ein anderes China vorfinden als seine Vorgängerin Angela Merkel. Ein Land, das stärker auf wirtschaftliche Autonomie setzt, sich wenig um die negativen Ansichten von Ausländern schert und bis auf Weiteres eine strikte Null-Covid-Politik fährt. Scholz hat eine Wirtschaftsdelegation dabei, doch die Begeisterung der Unternehmenslenker ist deutlich zurückgegangen. Manche, etwa SAP oder die Deutsche Bank, reisen nicht mit, andere kritisierten sogar die Reise. Mit dabei sind vor allem Vorstandschefs von Firmen mit besonders umfangreicher Geschäftstätigkeit von China wie VW, BASF oder Siemens.
Trotz der Sorge um eine übergroße Abhängigkeit von China drückte Scholz am Mittwoch die Beteiligung der chinesischen Staatsreederei Cosco an einem Containerterminal des Hamburger Hafens durch. Zwar untersagte der Kompromiss Anteilskäufe über 24,9 Prozent, womit Einfluss auf die Geschäfte ausgeschlossen ist. Trotzdem ist die Kritik an dem Deal auch innerhalb der Ampelkoalition groß. Das Außenministerium ist dabei, eine China-Strategie zu entwickeln. Man sei sich einig, „dass wir unsere Verwundbarkeit drastisch reduzieren müssen“, sagte dazu kürzlich Außenministerin Annalena Baerbock. Als Lehre aus den Fehlern der Russland-Politik müsse gelten, „dass wir uns von keinem Land mehr existenziell abhängig machen, das unsere Werte nicht teilt“.
China und die USA: Krisenzeiten
Die USA sind schon einen Schritt weiter; sie kalkulieren mit Wettbewerb und Rivalität, wollen Chinas Aufstieg ausbremsen. US-Präsident Joe Biden legt in seiner neuen Sicherheitsstrategie einen Fokus auf China und Russland. China sei für die internationale Ordnung eine größere Herausforderung als Russland, heißt es darin. Es komme nun darauf an, „China im Wettbewerb zu schlagen und Russland einzuhegen“. Ein paar Tage später schränkte Washington den Verkauf von Chips und Komponenten an China massiv ein. China weigert sich derweil, Russlands Invasion in der Ukraine zu verurteilen, und gibt stattdessen den USA und der Nato die Schuld an der Eskalation. Seit dem Besuch der Vorsitzenden des US-Repräsentantenhauses Nancy Pelosi in Taiwan sind die Beziehungen auf dem Gefrierpunkt.
China und die USA könnten sich einem Kalten Krieg annähern, befürchtet Jia Qingguo, Professor für internationale Studien an der Universität Peking: „Ich habe das Gefühl, dass Fragen der nationalen Sicherheit in beiden Ländern überbetont werden“, sagte Jia in einem von der US-Denkfabrik Carter Center veröffentlichten Interview. „Einige Leute in beiden Ländern glauben, dass die andere Seite eine ernsthafte Bedrohung für ihre eigene nationale Sicherheit darstellt und sie deshalb reagieren müssen.“ Jede neue Waffe oder Hochtechnologie des jeweils anderen Landes würde als ernsthafte Bedrohung angesehen.
Die USA dominierten das außenpolitische Denken in China, glauben viele Experten. Die „größte Bedrohung für die Weltordnung“ sei es, kleine Zirkel zu bilden, ideologische Grenzen zu ziehen, eine Konfrontation durch Blockbildung zu schüren und andere zu „schikanieren“, sagte Vizeaußenminister Ma Zhaoxu. Shen Beili, Vize-Leiterin der Internationalen Abteilung beim Zentralkomitee der KP, fügte hinzu, dass Peking sich auch in Zukunft entschieden gegen „jede Form von Vorherrschaft und Machtpolitik“ stellen werde. Es ist die typische Wortwahl im Zusammenhang mit den USA.
Chinas KP sieht Xi Jinpings Außenpolitik als Erfolg
Aus der Perspektive der Kommunistischen Partei Chinas aber habe Xi Jinpings Außenpolitik durchaus solide Erfolge aufzuweisen, analysierte Mikko Huotari, Direktor des Merics-Instituts für Chinastudien, direkt nach dem Parteitag: „Die ‚Eskalation‘ der Außenpolitik von einer ambitionierten Regionalmacht zur Großmacht mit globalem Führungsanspruch trägt klar seine Handschrift.“ Die von Xi 2013 ins Leben gerufene Neue Seidenstraße sei dabei nur ein erstes Experimentierfeld gewesen. Mit seinen neuen globalen Initiativen für „Sicherheit“, „Datensicherheit“ und „Entwicklung“ zeichne Xi nun „die Konturen einer neuen chinazentrierten Weltordnung“, so Huotari. Der Staatschef habe im Inneren vor den Risiken einer Verschärfung des langfristigen System- und Strukturkonfliktes mit den USA gewarnt und „China auf diesen Kampf eingestellt.“ Eines seiner Ziele habe Xi bereits erreicht, so Huotari: „Mit China kann heute international nur auf Augenhöhe und letztlich zu Chinas Bedingungen verhandelt werden.“
In seinem Hinterhof hat Xi derweil Sandbänke im Südchinesischen Meer zu Festungen hochgerüstet, obwohl auch andere Staaten die Gewässer beanspruchen. Er lässt Militärübungen rund um Taiwan durchführen und drohte auch auf dem Parteitag wieder mit einer gewaltsamen Eroberung, sollte eine friedliche Wiedervereinigung nicht gelingen. China vergrößerte sein – noch immer relativ kleines – Atomwaffen-Arsenal, um auch globale Abschreckungswirkung zu entfalten.
All das ist aus Sicht Europas problematisch. Ein Mindestmaß an Kommunikation bleibt allerdings aus geopolitischer Sicht trotzdem weiter wichtig. So müssen die Staaten in der Klimapolitik zwingend weiter mit China zusammenarbeiten. Umgekehrt hat China seinen Aufstieg durchaus auch dem Austausch mit dem Ausland und der heute in Peking so verhassten regelbasierten Ordnung zu verdanken. Dass beide Seiten die Gespräche komplett einstellen, ist daher nicht zu erwarten. Doch die Zeit für Schönwetterpolitik ist vorbei. Das wird Scholz in Peking zu spüren bekommen.