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Diffamierende Skulptur: „Judensau“ bleibt an Kirche - BGH begründet Urteil

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Von: Ares Abasi

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Bundesgerichtshof verhandelt zur „Judensau“
Eine als „Judensau“ bezeichnete Schmähplastik ist an der Stadtkirche zu sehen. Das Relief ist stark umstritten. © Hendrik Schmidt/dpa

Die „Judensau“, ein Sandsteinrelief an der Wittenberger Stadtkirche, ist seit Jahren stark umstritten. Nun urteilt der BGH in dem Fall.

Update vom Dienstag, 14. Juni, 11 Uhr: Das als „Judensau“ bezeichnetes Sandsteinrelief darf nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) an der Fassade der Stadtkirche Wittenberg in Sachsen-Anhalt bleiben. Durch eine Bodenplatte und einen Aufsteller mit erläuterndem Text habe die Kirchengemeinde das „Schandmal“ in ein „Mahnmal“ umgewandelt, befanden die obersten Zivilrichterinnen und -richter Deutschlands in ihrem Urteil am Dienstag in Karlsruhe.

Ein jüdischer Kläger wollte, dass die antijüdische Darstellung entfernt wird. Auch in den Vorinstanzen war er gescheitert.

Erstmeldung vom Dienstag, 14. Juni, 10.20 Uhr: Karlsruhe – Der Bundesgerichtshof (BGH) entscheidet am Dienstag (14. Juni, 10.00 Uhr), ob eine diffamierende Skulptur an der Wittenberger Stadtkirche in Sachsen-Anhalt, die eine „Judensau“ darstellt, entfernt werden muss, das berichtet die Deutsche Presseagentur (dpa) Ein jüdischer Kläger fordert dies seit Jahren, ist aber bisher vor Gericht gescheitert. Denn das antijüdische Sandsteinrelief aus dem 13. Jahrhundert wurde inzwischen durch eine Bodenplatte und einen Aufsteller ergänzt, die die Darstellung einordnen sollen. Ob dies ausreicht, müssen nun die obersten deutschen Zivilrichter in Karlsruhe entscheiden. (Az.: VI ZR 172/20)

Das Relief zeigt eine Sau mit zwei an ihren Zitzen saugenden Personen, die durch spitze Hüte als Juden zu erkennen sind. Eine Figur, die laut BGH als Rabbiner gilt, hebt den Schwanz des Tieres an und blickt in dessen After. Schweine gelten im jüdischen Glauben als unrein. Die Stadtkirchengemeinde nennt die „Wittenberger Sau“ „ein „schwieriges Erbe, aber ebenso ein Dokument der Zeitgeschichte“. Der Vorsitzende Richter des sechsten Zivilsenats am BGH, Stephan Seiters, hatte in der mündlichen Verhandlung vor zwei Wochen gesagt, das Relief an sich sei „in Stein gemeißelter Antisemitismus“.

BGH-Prozess „Judensau“: Ein Beispiel für viele Verfehlungen der Kirche

Der Kläger Dietrich Düllmann, der nach eigenen Angaben 1978 zum Judentum konvertierte und sich seitdem Michael nennt, sieht in der „Judensau“ nur ein Beispiel für viele Verfehlungen der Kirche im Umgang mit Juden. Insbesondere bezeichnet Düllmann den Reformator Martin Luther (1483-1546), der einst in eben dieser Kirche in Wittenberg predigte, als „Erz-Antisemit“. Der BGH-Anwalt der Stadtkirchengemeinde hatte betont, dass sie das Relief in Absprache mit der jüdischen Gemeinde als Teil einer Gedenkstätte angebracht habe. In welcher Form auf den historischen Kontext Bezug genommen wird, ist weder Sache des Klägers noch des Gerichts.

Düllmanns BGH-Anwalt sagte dagegen, die Erläuterungen auf der Erläuterungstafel seien nicht ausreichend. Die Kirche übernehme keine Verantwortung. Auf der Tafel an der Kirche heißt es, Schmähplastiken dieser Art seien im Mittelalter besonders häufig gewesen. „Es existieren noch etwa fünfzig derartige Bildwerke.“ Über die Gesamtzahl solcher Darstellungen hat der Zentralrat der Juden keine sicheren Informationen. Von anderen Rechtsstreitigkeiten, die sich auf ein BGH-Urteil stützen könnten, sei nichts bekannt.

BGH-Prozess „Judensau“: Klare Abgrenzung der Kirche erforderlich

Zentralratspräsident Josef Schuster hatte der Deutschen Presse-Agentur gesagt, die Kirche müsse eine klare Abgrenzung und Verurteilung aussprechen. Das sei bisher nicht zu erkennen, sagte er. „Die antijudaistische Geschichte der Kirche ist nicht ungeschehen zu machen“, sagte Schuster. Eine Erläuterungstafel sei besser als die Entfernung von Schmähplastiken und damit deren Leugnung. Erfolgreiche Beispiele gibt es nach Angaben des Zentralrats am Regensburger Dom und an der Stiftskirche St. Peter in Bad Wimpfen bei Heilbronn.

Für Kläger Düllmann ist die Sache mit dem BGH-Urteil möglicherweise noch nicht erledigt: Er war bereits vor dem Landgericht Dessau-Roßlau und dem Oberlandesgericht Naumburg gescheitert und ging auch nach der Verhandlung am BGH von einer Niederlage aus. Doch dann werde er vor das Bundesverfassungsgericht ziehen, sagte der 79-Jährige. Dort gehe es nicht um zivilrechtliche Fragen der Beleidigung und Unterlassung, sondern um das Grundgesetz und die Würde des Menschen. Und wenn auch das nicht funktioniere, könne er immer noch zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gehen. (Ares Abasi/dpa)

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