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Prigoschin warnt vor Revolution in Russland: „Das kann man nicht verheimlichen“

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Von: Christian Stör

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Wagner-Chef Prigoschin übt immer wieder scharfe Kritik an der Kriegsführung. Nun malt er ein düsteres Bild von der Zukunft in Russland.

Moskau - Jewgeni Prigoschin ist für seine klaren Worte bekannt. Seit Monaten schimpft der Chef der berüchtigten Wagner-Gruppe lautstark über die russische Militärführung und greift vor allem das Verteidigungsministerium immer wieder scharf an. In einem Interview legte der 61-Jährige jetzt noch einmal nach. Die Zukunft Russlands malte er darin in düsteren Farben. Tatsächlich sieht Prigoschin inzwischen sogar die Gefahr einer Revolution gegeben.

Prigoschin verwies auf die soziale Ungleichheit, die durch den Ukraine-Krieg noch verstärkt worden sei. Während die Söhne gewöhnlicher Zivilpersonen in Särgen von der Front zurückkämen, würden die Kinder der Elite ihren Vergnügungen nachgehen und sich im Ausland sonnen. Früher oder später könnte es deshalb zu Unruhen kommen: „Das kann wie 1917 mit einer Revolution enden“, sagte Prigoschin. „Zuerst werden sich die Soldaten erheben, dann ihre Familien. Es gibt jetzt Zehntausende von Angehörigen getöteter Kämpfer. Es werden wahrscheinlich Hunderttausende werden. Das kann man nicht verheimlichen.“

Wagner-Chef Prigoschin in Bachmut.
Wagner-Chef Prigoschin warnt vor einer Niederlage im Ukraine-Krieg - und vor einer Revolution in Russland. (Archivfoto) © IMAGO/Press service of Prigozhin

Prigoschin nennt erstmals Zahlen zu Verlusten der Wagner-Gruppe im Ukraine-Krieg

In diesem Zusammenhang bezifferte Prigoschin die eigenen Verluste bei der Schlacht um Bachmut auf rund 20.000 getötete Kämpfer, die Hälfte davon sind demnach Rekrutierte aus Gefängnissen. Es ist das erste Mal, dass sich der Wagner-Chef zum Ausmaß der Verluste für seine Truppe äußerte. „Ich habe 50.000 Häftlinge ausgesucht, von denen etwa 20 Prozent getötet wurden“, sagte Prigoschin. Unter den professionellen Wagner-Söldnern sei die Todesrate ähnlich hoch. Die Angaben lassen sich von unabhängiger Seite nicht überprüfen. Fachleute gehen von noch höheren Todeszahlen aus. US-Präsident Joe Biden hatte auf dem G7-Gipfel in Hiroshima von mehr als 100.000 Toten und Verwundeten auf russischer Seite gesprochen.

Eine Niederlage Russlands im Ukraine-Krieg will Prigoschin jedenfalls nicht mehr ausschließen. „Wir müssen uns auf einen sehr schweren Krieg vorbereiten.“ Damit Russland nicht verliere, müsse es den Kriegszustand ausrufen und die Wirtschaft auf die Produktion von Munition umstellen. „Wir sollten neue Mobilmachungen einleiten“, sagte er. Alle sollten nur für den Krieg arbeiten.

Prigoschin erinnerte dabei wieder an die zahlreichen Niederlagen der russischen Streitkräfte, die sich vor Kiew und in Cherson in die „Hose gemacht“ hätten und dann abgehauen seien. Der 61-Jährige meinte auch, dass nicht er die „militärische Spezialoperation“ begonnen habe, sondern andere. Wladimir Putin hatte den Krieg am 24. Februar 2022 angeordnet. Zugleich sagte Prigoschin, dass der nun eben einmal begonnene Kampf auch zu Ende gebracht werden müsse.

Prigoschin lobt ukrainische Armee als eine der besten der Welt

Erneut äußerte sich Prigoschin auch zu dem vom Kreml genannten Kriegsziel einer „Entmilitarisierung“ der Ukraine. Kiew habe heute viel mehr und schwerere Waffen und mehr kämpfendes Personal als vor dem Krieg. Russland habe die Ukraine in Wahrheit also „militarisiert“. Prigoschin lobte die ukrainische Armee sogar als eine der besten der Welt. „Sie verfügen über ein hohes Maß an Organisation, ein hohes Ausbildungsniveau, ein hohes Maß an geheimdienstlicher Aufklärung, sie haben verschiedene Waffen. Sie arbeiten mit allen Systemen - sowjetischen oder von der Nato - gleichermaßen erfolgreich.“

Dagegen kritisierte er erneut das russische Verteidigungsministerium, das der Wagner-Armee weder ausreichend Munition noch angefordertes Personal bereitstelle. Prigoschin meinte, dass der gesamte Donbass heute schon erobert sein könnte, wenn er die 200.000 angeforderten Soldaten als Verstärkung bekommen hätte. Wagner habe heute 6000 Männer, die eine Kompanie führen könnten. Sie könnten demnach eine Armee von 600.000 Soldaten steuern.

Revolution in Russland? Putin-Kritiker hält Prigoschins Analyse für richtig

Prigoschin äußerte sich auch zu dem Angriff zweier Milizen auf die russische Region Belgorod, zu dem sich zwei russische, gegen Präsident Wladimir Putin gerichtete Gruppen bekannt hatten - die „Freiheit für Russland“ und das „Russische Freiwilligenkorps“. Der Wagner-Chef erklärte, dass die russische Grenze zur Ukraine nicht ausreichend geschützt sei. „Sabotage-Gruppen durchqueren die Region Belgorod in aller Ruhe“, sagte Prigoschin. 

Putin-Kritiker Ilja Ponomarew, der politische Vertreter der Rebellen, nutzte die Gelegenheit für seine Zwecke. Prigoschin sei ein kluger Analyst dessen, was wirklich in Russland passiere, so Ponomarew, mit seiner Vorhersage einer sich anbahnenden Revolution liege der Wagner-Chef „genau richtig“. Auf die Frage nach dem Fehlen bisheriger Beweise für den Widerstand der Bevölkerung in Russland antwortete er, dass Lenin im Januar 1917 gesagt habe, er bezweifle, dass seine Generation den Sturz des zaristischen Regimes noch erleben werde, „und das war weniger als einen Monat bevor die Revolution begann“. (cs/dpa)

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