Nur die Karriere zählt

Britta Boerdner führt uns tief und in einer beeindruckend eindringlichen Sprache in die Lebens- und Gefühlswelt ihrer Ich-Erzählerin. Diese ist Mitte 40, arbeitet im Management eines Finanzdienstleistungsunternehmens, in einem Hochhaus einer Großstadt. Ihr Leben hat sie einzig auf die Arbeit ausgerichtet. Sie ist extrem leistungsorientiert und erfolgreich mit dem unbestimmten Ziel, irgendwann, irgendwo am Ende ihrer Karriereleiter an- und zur Ruhe zu kommen.
Affäre als Platzhalter
Jetzt ist es noch nicht so weit. Nach Jahren hoher Anspannung, um in der harten Businesswelt zu bestehen, ist die Protagonistin erschöpft, leer, unruhig und kann nicht mehr schlafen. Die Arbeitstage empfindet sie als Krieg, in dem sie täglich erneut den Kampf verlieren könnte. Sie ist einsam, ohne Beziehung, ohne Kontakt zur Herkunftsfamilie, ohne Freunde.
Elena fängt ein Verhältnis mit einem 15 Jahre jüngeren Consultant an. Sie ist seine Vorgesetzte. Die Geschichte wird in Rückblicken erzählt. Zwar fühlt sie sich in der Beziehung mit ihm wieder lebendig, auch dient ihr die Affäre als Rettungsanker, sie kann wieder schlafen. Gleichzeitig aber hält sie ihn auf Distanz. Nichts und niemand darf ihre Karriere stören.
Sie lässt nicht nur keine Nähe zu, sondern sie vermeidet auch, Persönliches von ihm zu erfahren, ihn kennenzulernen. Er bleibt im Buch auch für die Leser und Leserinnen nur ein Kürzel: »M.«, jung, sportlich, gut aussehend, erfolgreich, leer, austauschbar, ein Platzhalter für unzählige junge Männer in der Finanzwelt.
Die Affäre endet tragisch, die Ich-Erzählerin verliert ihre Arbeit. Sie übersteht ihren Absturz durch einen Umzug in ein unpersönliches neues Viertel der Großstadt. Wieder ein Rettungsanker. Hier ist sie ein unbeschriebenes Blatt, das Quartier ist ein neutraler Ort, sie will bleiben, bis alles wieder gut ist. Sieben Monate später erhält sie eine Voicemail von Jana, der Freundin ihrer Affäre. Sie ist der Auslöser für die Protagonistin, sich über M., ihre Beziehung zu ihm und mit ihrem Leben auseinanderzusetzen. Eine tiefgreifende Analyse gelingt Elena auch am Ende des Buches nicht.
Boerdners Roman begeistert durch seine klaren Beobachtungen und eine starke Sprache, die die Gefühlswelt, Distanziertheit, das Unglück und die Einsamkeit der Hauptfigur fühlbar machen, und deren negativem Sog man sich kaum entziehen kann. Ute Weigand
Britta Boerdner: Es geht um eine Frau, Frankfurter Verlagsanstalt, 254 Seiten, 24 Euro, ISBN 9783627002992