Umbruch bei beliebtem Bäcker im Kreis Gießen - „Das Beste, was ich machen konnte“
Seit einem Jahr hat Bäcker Peter Seidl aus Krofdorf-Gleiberg den Betrieb am Wochenende eingestellt. Das Experiment gegen den Trend in der Branche hat sich gelohnt, sagt er.
Wettenberg - Montagmittag, 13 Uhr. Im Laden in Wettenberg stehen drei, vier Kunden, holen sich belegte Brötchen oder einen Salat zum Mittagsessen. In der Backstube sind Bäckermeister Peter Seidl und sein Geselle am Aufräumen und Saubermachen. Dann ist noch nach dem Sauerteig zu schauen, aber für diesen Tag ist die Arbeit in der Backstube weitgehend geschafft.
Feierabend hat der junge Bäckermeister aber noch lange nicht: Da sind Bestellungen zu bearbeiten, Lohnabrechnungen zu machen und zu klären, was es in diesem Jahr mit den Weihnachtsplätzchen gibt.
Früher war der Montag Seidls »Wochenende«, der Laden blieb zu. Seit genau einem Jahr hat Peter Seidl aber ein Wochenende wie viele andere auch. Im November 2021 änderte der Bäcker im Krofdorfer Norden seine Betriebs- und seine Öffnungszeiten. Seitdem bleibt samstags und sonntags der Ofen aus und der Laden dicht. Seine Motivation: Wieder mehr Lebensqualität zu haben - eine bessere Work-Life-Balance für sich selbst und für die Mitarbeiter.
Bäcker Seidl in Wettenberg (Kreis Gießen): Kunden mit Umstellung einverstanden
Vor einem Vierteljahrhundert war Senior Norbert Seidl einer der ersten, der auf die Wochenendöffnung setzte. Mit Erfolg, aber eben auch mit einem großen zeitlichen Einsatz. Die Kunden freute es. Nur wenige hinterfragten, welche persönliche Leistung dahinterstand. Peter Seidl hat das von Kindesbeinen an so gekannt, hat es im familiären Geschäft als Mitarbeiter und dann als Chef mitgemacht. Vor einem Jahr hat er die Reißleine gezogen. Denn Arbeitswochen mit 70 und mehr Stunden, die gehen an die Substanz.
»Es gibt nichts Schöneres, als sich mit Freunden zu normalen Zeiten treffen zu können, sagt der 36-Jährige. Eben ohne am Freitag- oder Samstagabend auf die Uhr zu schauen und ins Bett oder gleich in die Backstube zu müssen.

Am vergangenen Sonntag hat sich Seidl mit der Familie seiner Schwester zum Brunchen getroffen, weil der kleine Neffe Geburtstag hatte. »Vor einem Jahr wäre das noch nicht möglich gewesen«, sagt er. Er ist durchaus zufrieden mit der gewonnen Freizeit, die zugleich mehr Lebensqualität bedeutet.
Doch was sagen die Kunden dazu? »99 Prozent haben positiv reagiert«, erinnert sich der 36-Jährige an die Umstellung. Nur von ganz wenigen habe er dumme Sprüche gehört wie: »Na - wegen Reichtums geschlossen.« Es war für vielleicht 14 Tage oder drei Wochen Gesprächsthema Nummer eins im Dorf, dann habe sich die Kundschaft daran gewöhnt. Die meisten nannten den Schritt nachvollziehbar, erinnert sich Peter Seidl.
Auch von Berufskollegen hat er viel Zuspruch für seinen Schritt bekommen, konnte in seinen Mails und auf Facebook positive Reaktionen lesen. So manch anderer Bäcker würde es ihm gerne gleichtun und schrieb dem Krofdorfer: »Wie gern würde ich auch am Wochenende dichtmachen.«
Bäcker Seidl in Wettenberg (Kreis Gießen): „Vielleicht hat der eine oder andere nicht den Arsch dafür in der Hose“
Warum aber tut das kaum einer? »Vielleicht hat der eine oder andere nicht den Arsch dafür in der Hose«, sagt Seidl und zuckt mit den Schultern. Vielleicht passt es auch von der Struktur her nicht: So hat mancher noch ein eigenes Café dranhängen, das vor allem am Wochenende gut läuft. Oder aber er liefert seine Backwaren auch an die Gastronomie, muss von daher am Wochenende produzieren...
Dabei ist der Markt gerade für kleinere Betriebe hart - nicht nur wegen der Arbeitszeiten. Zum einen ist da der Druck der Großbäckereien und Supermärkte mit Billigpreisen. Da sind zum anderen die steigenden Rohstoff- und Energiekosten, die die Branche belasten. Und nicht zuletzt sei es immer schwerer, für die Backstube gute, verantwortungsvolle Kräfte zu gewinnen, berichtet Seidl. Auch Verkaufspersonal ist begehrt. So bekam er etwa den Anruf eines Kollegen, der fragte, ob er nicht jetzt mit reduzierten Öffnungszeiten eine gute Verkäuferin übrig habe, die er weitervermitteln könne?
Seidl sagte Nein. Und bis jetzt, auch ein Jahr danach, läuft der Familienbetrieb mit der gleichen Personalstärke wie zuvor. Das Wochenende ist zwar weggefallen, dafür ist der Montag hinzugekommen. Und wenn im Laden gerade etwas weniger zu tun ist, dann können die Kräfte beispielsweise beim Verpacken helfen: Damit die Kunden nicht auf die gewohnten Sonntagsbrötchen verzichten müssen, bietet die Bäckerei jetzt mit großem Erfolg verstärkt halbfertige Produkte zum Fertigbacken an. Das Konzept stimmt, die Zahlen tun es auch.
Bäcker Seidl in Wettenberg (Kreis Gießen): Wochenendschließung sorgt auch für gesunkene Stromkosten
Die Wochenendschließung war übrigens nicht eine einsame Entscheidung aus dem Bauch heraus - auch wenn es die Motivation des Bäckermeisters war und ist, mehr Zeit für sich zu gewinnen. Der Schritt war wohlüberlegt, mit dem Senior und der Belegschaft besprochen und von einem Betriebsberater begleitet. Der ermutigte ihn dazu, die Nische, das Alleinstellungsmerkmal auszubauen.
Ohnehin sollte man sich nicht täuschen, sagt Seidel. samstags und sonntagmorgens habe es zwar immer eine lange Schlange vor dem Laden gegeben - der umsatzstärkste Tag aber war seit Pandemiebeginn der Freitag.
Wo er allerdings spart, das ist bei der Energie: Allein durch den leicht reduzierten Betrieb in der Backstube sind die monatlichen Stromkosten um knapp 20 Prozent gesunken. Dass jetzt Supermärkte ebenfalls über reduzierte Öffnungszeiten nachdenken, das bestärkt Seidl in seiner Entscheidung.
Stichwort Sparen und Energie: Auch die kleine Bäckerei in Krofdorf hat in den vergangenen Monaten die Preise erhöhen müssen, hat zudem das Sortiment leicht gestrafft und Produkte weggelassen, die weniger gefragt waren. Doch auch Seidl weiß, dass Preissteigerungen ihre Grenzen haben. Wird es zu heftig, dann laufen die Kunden weg.
Das Fazit des Bäckermeisters nach einem Jahr mit geänderten Öffnungszeiten: »Es war der richtige Schritt zum richtigen Zeitpunkt. Das Beste, was ich machen konnte.« (Rüdiger Soßdorf)