Warum so viele Promis aus Langgöns kommen

TV-Moderator Jochen Schropp, Juli-Sängerin Eva Briegel, Dreisprung-Weltmeister Charles Friedek, Drehbuchautor Lars Amend sowie langjährige Nationalspieler im Handball und im Basketball: viele bundesweit bekannte Sportler und Künstler stammen aus Langgöns. Warum?
Im südwestlichen Zipfel des Kreisgebiets liegt ein Geheimnis verborgen. Ein Geheimnis, das zum Grübeln, zum Schwelgen in Erinnerungen und zum Erzählen anregt. Und ja, zum Anstimmen einer Hymne: »Longgies, klaa Paris«.
Das Geheimnis hat mit Blitzlichtgewitter zu tun, mit dem Küssen von Goldmedaillen auf dem Siegertreppchen und mit millionenfach verkauften Alben. Warum kommen so viele bekannte Sportler, Musiker, Autoren und weitere Künstler aus Langgöns?

Ein Beispiel: »Die perfekte Welle« hieß das Lied, das die Band Juli vor 15 Jahren bekannt machte. Ein Sommerhit in allen Teilen Deutschlands, mitgesungen von Menschen an Baggerseen und in Cabrios. Wer sich an das Lied erinnert, hört vor dem inneren Ohr gleich die helle, fast niedliche Stimme Eva Briegels – aufgewachsen ist sie in Langgöns.
Aus derselben Gemeinde stammen langjährige Nationalspieler im Basketball und Handball wie Johannes Lischka und Volker Michel, der ehemalige Bundesliga-Fußballer Dexter Langen, Dreisprung-Weltmeister Charles Friedek und die erfolgreiche Sprinterin Lisa Mayer.

Auch der Chefredakteur des Zeit-Magazins Christoph Amend und sein Bruder Lars, Drehbuchautor des mit Elyas M’Barek besetzten Kinofilms »Dieses bescheuerte Herz« sind Langgönser. In der Gemeinde sind zudem die Kasseler Bürgermeisterin Ilona Friedrich und TV-Moderator Jochen Schropp aufgewachsen.
Es wäre übertrieben, sie als Stars zu bezeichnen, der Begriff ist ohnehin überstrapaziert. Und klar: Auch andere Gemeinden im Kreis können auf bekannte Söhne und Töchter verweisen. Die Masse an Prominenten in den vergangenen 20 Jahren aus der kleinen, 15 000 Einwohner zählenden Gemeinde, ist dennoch erstaunlich.

Erklärungsversuche gibt es einige. »Das Geheimnis ist, dass es kein Geheimnis gibt«, sagt der 19-fache Handball-Nationalspieler Michel aus Dornholzhausen. »Eher eine Mischung aus Glück, Talent und Möglichkeiten.« Der ebenfalls aus Langgöns stammende Kabarettist Dietrich Faber glaubt: Seine Heimatgemeinde sei »so gewöhnlich, auf sympathische Weise unspektakulär und durchschnittlich, dass genug Raum entstehen kann, um zu kreativen Ideen zu kommen.« Und TV-Moderator Schropp, der auch in so manchen Rosamunde-Pilcher-Filmen bereits Hauptrollen gespielt hat, sagt mit einem Augenzwinkern: »Irgendwas muss im Wasser des Gönsbachs sein«.
Ein Erklärungsansatz des neuen Bürgermeisters Marius Reusch leuchtet nur im ersten Augenblick ein: »In Langgöns herrschen ländliche Strukturen, aber man ist nicht abgehängt«, sagt er. Dies gilt allerdings für so gut wie jedes Dorf im Kreisgebiet.

Die Gießener Allgemeine Zeitung hat die Prominenten selbst gefragt. Und ist auf eine verblüffende Gemeinsamkeit gestoßen. Die meisten von ihnen – zum Beispiel Juli-Sängerin Briegel, die Basketballer Johannes und Benjamin Lischka sowie Faber – sind im selben, in den 70er Jahren entstandenen Neubaugebiet im Kernort Lang-Göns aufgewachsen, dessen Straßen nach Bäumen benannt sind: Lärchenring zum Beispiel. Oder Espenstraße und Eichenring. »Unser Viertel war damals neu und voller Kinder«, erzählt Briegel. »Es war schon fast wie in Bullerbü.« Die Leute seien »wahnsinnig kinderlieb und sehr gesellig« gewesen. »Wir sind von Elternhaus zu Elternhaus gezogen, haben da Kekse bekommen und dort ferngesehen.« Ständig sei man draußen gewesen, »wir durften machen, was wir wollen.« Mit Freunden kletterte die Sängerin einst auf Dächer, legte Münzen auf Bahnschienen. Hin und wieder haben sich Freunde auch verletzt. »Mir ist nie etwas Schlimmes passiert«.
Idylle in der Kindheit ist sicher kein zwingender Erfolgsfaktor für eine Karriere. Doch sie begünstigt etwas anderes, das Christoph Amend, heute Chefredakteur des Zeit-Magazins, in Worte fasst. »Ich hatte immer ein Gefühl von Freiheit in Langgöns: Du kannst alles machen, aber wenn Du etwas machen willst, musst Du raus in die Welt.«

Wer einen Ausflug durch die sechs Langgönser Ortsteile und die Umgebung unternimmt, steht irgendwann im Wald. Oder läuft an Fachwerkhäusern mit Hüttenberger Hoftoren vorbei. Und hat spätestens in Cleeberg oder Espa keinen Handyempfang mehr. Erinnert sich Lars Amend an seine Kindheit, denkt er zuerst an den Rottweg, den er mit dem Skateboard heruntergebrettert ist »und der mir als Kind so unendlich lang und steil vorkam«. Mit Freunden sprach er einmal beim Bürgermeister vor, um sich für eine kleine Half-Pipe einzusetzen. »Wir müssen wohl einen guten Eindruck hinterlassen haben, denn wir bekamen sie.«
Schropp wanderte oft mit seinem Vater durch den Wald, gemeinsam lauschten sie Vogelstimmen. »Die unzähligen Stunden im Wald und auf der Straße mit Freunden, die meine Kindheit prägten, werde ich nie vergessen«, erzählt auch Dietrich Faber. Christoph Amend hat derweil die Pfadfinderhütte vor dem inneren Auge, »da habe ich mich bei einem Lagerfeuerabend als Teenager unsterblich in eine französische Austauschschülerin verliebt.«

Und alle heben die rohen, hämmernden und familiären Nächte im Hard Rock hervor. Christoph Amend legte in der Diskothek mit einem Freund auf. »Wir haben uns No-Doors-DJ-Team genannt, weil damals, Anfang der Neunziger, sich alle immer was von den Doors gewünscht haben, was uns auf die Nerven gegangen ist.« Für Eva Briegel war das Hard Rock »unser zweites Zuhause«, mit dem Shakatak gab es zudem eine zweite Disco in Langgöns. »Irgendwie hatten wir schon früh Lust, auszugehen und was zu erleben. Ich habe es geliebt, dass immer was los war und ich glaube, das macht Kinder und schließlich Menschen glücklich.«
Sich probieren, draußen sein, andere kennenlernen und dabei Selbstbewusstsein erlangen. Gute Voraussetzungen, um wie die Juli-Sängerin, Faber und die Amend-Brüder eine künstlerische Laufbahn einzuschlagen. Die wichtigste Zutat allerdings sind Förderer, die Karrieren anstoßen und begründen. Und im dörflich geprägten Langgöns, wo die Kinder und Jugendlichen noch in Vereine gehen, gab und gibt es diese zuhauf. »Die Jugendarbeit war zu meiner Zeit ein Traum«, sagt Lars Amend. Er könne das beurteilen, fügt er hinzu. Denn er habe das volle Programm absolviert: Fußball, Turnen, Tennis, Basketball, Tischtennis. Sein Bruder erinnert sich an Beppi Mohr, Lehrer an der Grundschule, und Eberhard Klein, Pfarrer in der evangelischen Gemeinde. »Beide haben, so unterschiedlich sie auch waren, ihren Beruf geliebt und sich sehr für uns junge Leute interessiert.«

Die Basketballer Johannes und Benjamin Lischka würdigen ihren Coach Michael Bylizki. Auch Volker Michel verweist auf Trainer und Teamkameraden. Vor allem aber verdanke er seine Karriere »meinem ganzen Dorf und der Handballkultur in Dornholzhausen.« Er sei mit einem prägenden Satz groß geworden: »Ierscht emol kimmt de Handball, dann kimmt long Zeit goar naut enn donn kimmt de Gebourtsdog vo de Omma!«
Die meisten Langgönser Promis haben ihre alte Heimat nach der Schulzeit verlassen. Johannes Lischka allerdings ist kürzlich wieder nach Lang-Göns gezogen. Eva Briegel hat dort zwar keine familiären Bindungen mehr, für eine kleine Wanderung kehrt sie aber immer wieder zurück. »Ich liebe die Wiese nach Kirch-Göns hinten raus, und das goldene Brückelchen«, sagt sie. »Da werde ich wohl immer wieder spazieren gehen.«

Auch Christoph Amend besucht die alte Heimat regelmäßig. »Schon als Kind musste ich immer lachen, wenn mein Vater dieses alte Langgönser Lied vom Kleinen Paris gesungen und sich dabei selbst halb kaputt gelacht hat.« Vielleicht sei dies ja das Geheimnis: »diese hessische Mischung aus Selbstironie und Selbstbewusstsein, von der kein Mensch sagen kann, worauf sie sich genau begründet.« Mit seiner Familie wuchs er in den 70er und 80er Jahren einst in Klein-Paris auf. Und wo haben sich seine Eltern kennengelernt? »Im echten, großen Paris. Wirklich wahr.«
Dieser Artikel könnte Sie auch interessieren
Der Strauchhof von oben: Ein Ort der Besinnung
Für viele Generationen von Konfirmanden ist ihre Freizeit im Paul-Schneider-Heim unvergesslich geblieben. Über 500 000 Besucher waren hier bereits zu Gast. Derzeit ist es jedoch geschlossen.