Ein Park, vier Gräber, viele Fragen

Vor mehr als 60 Jahren ist der alte Friedhof in Heuchelheim in eine Grünanlage umgewandelt worden. Jetzt gibt es Überlegungen, diesen kleinen Park aufzuwerten, zu einem Ort der Begegnung zu machen. Vier dort noch vorhandene Gräber werfen jedoch Fragen auf.
Der alte Friedhof in Heuchelheim, im Volksmund »Knochenpark« genannt, könnte sich zu einem Ort der Begegnung im Dorf entwickeln. Das Areal an der Marktstraße könnte aufgewertet werden. Im Hauptausschuss der Gemeindevertretung herrschte dieser Tage Konsens, die Idee weiterzuverfolgen. So kann eine Arbeitsgruppe aus den Masterplan-Beratungen heraus dafür Überlegungen anstellen. Im Haushalt für dieses Jahr stehen jedenfalls schon einmal 50 000 Euro als »Merkposten« bereit.
In den vergangenen Jahrzehnten haben die Musiker vom Spielmannszug aus dem Dorf zu Pfingsten gerne dorthin zum Platzkonzert eingeladen. Doch so richtig belebt ist der Platz mit Geschichte seit Jahren nicht mehr.
Im Jahr 1815, also vor mehr als 200 Jahren, wurde dort am damaligen Ortsrand unterhalb der Marktstraße auf einem Pfarrgelände ein Friedhof angelegt. Denn der bis dahin genutzte Friedhof rund um die alte Martinskirche reichte einfach nicht mehr aus. Der Grund: In den Kriegsjahren 1813/1814 waren 33 respektive 34 Heuchelheimer gestorben - doppelt so viele wie in den Jahren zuvor. Das jedenfalls berichtet die Heuchelheimer Ortschronik. Der neue Friedhof an der Marktstraße wurde in den folgenden Jahrzehnten nochmals erweitert und maß zeitweise 4046 Quadratmeter. Rund 1000 Gräber fanden dort Platz.
1921 wurde wieder ein neuer Friedhof angelegt; dann am Pfannstiel. Dieser wird bis heute genutzt. Einige wenige Beisetzungen erfolgten gleichwohl noch auf dem alten Friedhof unterhalb der Marktstraße: So befinden sich bis heute dort das Grab der jüdischen Bürgerin Ernstine Stein (1861-1934) sowie drei Gräber von Kriegsgefangenen oder Zwangsarbeitern, die dort im Dezember 1944 respektive im September 1945 bestattet wurden.
Warum wurde Ernstine Stein dort beigesetzt und nicht auf dem jüdischen Teil des Gießener Friedhofes, wie viele andere jüdische Heuchelheimer und wie auch die erste Frau ihres Mannes Simon Stein? Und warum erfolgte die Bestattung auf dem alten Friedhof, etwa 13 Jahre nachdem dieser offiziell nicht mehr belegt wurde, und nicht auf dem »neuen« Friedhof?
Um wen handelt es sich bei den drei anderen? Waren es Kriegsgefangene oder Zwangsarbeiter aus der Ukraine? Katharine und Iwan Rjakowa, könnten wohl Mutter und Sohn sein. Sie sind, so die Aufzeichnungen im Sterbebuch der Gemeinde Heuchelheim, am 11. Dezember 1944 bei einem Bombenangriff auf Heuchelheim ums Leben gekommen. Als letzte Adresse wurde die Ludwig-Rinn-Straße 14, also das Rinn&Cloos-Gelände, angegeben, wo sie auch verstorben sind.
Losuja Tereschko blieb nach Kriegsende womöglich als »Displaced Person« in Heuchelheim. Er wurde, so die Aufzeichnung des damaligen Standesbeamten und späteren Bürgermeisters Albert Schmidt, am 14. September 1945 von amerikanischen Soldaten erschossen. Warum? Für ihn verzeichnet das Standesamt die Anschrift Rodheimer Straße 126 am Abendstern. Arbeiteten diese drei Menschen an diesen Orten in Heuchelheim? Woher kamen sie? Es sind Fragen offen.
Juden und Kriegsgefangene hätten nicht auf dem regulären Friedhof bestattet werden sollen. »Das wollte man nicht«, heißt es aus dem zurate gezogenen Arbeitskreis Heimatgeschichte. Nach Auskunft von dessen Sprecher Gerhard Henkelmann sollen zudem in den letzten Kriegsmonaten deutsche Opfer von Luftangriffen zuerst auf dem (dafür reaktivierten) alten Friedhof beigesetzt worden sein. Eben um den Angehörigen den bei Luftangriffen gefährlichen Weg übers freie Feld zum damals außerhalb liegenden »neuen« Friedhof am Pfannstiel zu ersparen. Diese Toten seien später teils umgebettet worden oder ihre Gräber verfallen, als der Friedhof an der Marktstraße in den 1950er Jahren dann endgültig aufgegeben wurde.
Auf dem aufgelassenen Friedhofsareal wurden unter anderem Linden, Kastanien und Obstbäume gepflanzt. Letztere sind verschwunden, einige der anderen alten mächtigen Laubbäume stehen dort bis heute und prägen das Bild der Grünanlage.
1959, auch das ist in der Heuchelheim-Chronik festgehalten, wandelte die Gemeinde auf Initiative des Beigeordneten Franz Nesseldreher den Friedhof in eine Parkanlage um, wie man sie heute noch kennt. Zeitweise gab es dort einen Sandspielkasten oder auch bis in die 1990er Jahre Volieren mit Vögeln, die von Mitgliedern des Kleintierzüchtervereins betreut wurden.
Derzeit wird zu den offenen Fragen rund um die Gräber auf dem alten Friedhof recherchiert - zu den Biografien der Toten werden von lokalgeschichtlich Interessierten Nachforschungen angestellt. Auch Pfarrerin Cornelia Weber möchte gerne mehr erfahren. Und signalisiert: »Uns als Kirchengemeinde liegt daran, dass diese Gräber bei einer Neugestaltung angemessen berücksichtigt werden, um weiter ihre Geschichten erzählen zu können.«
