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Hippies, freie Liebe und ein Mord in Oberhessen

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Grünberg (jhm). "Schrei nach Stille" heißt der neunte Kriminalroman von Anne Chaplet. Am Dienstag stellte sie ihn bei einer Lesung im Rahmen des Gießener Krimifestivals im Sporthotel in Grünberg vor.

Grünberg (jhm). Groß-Roda könnte für Anne Chaplet überall sein. Und doch gibt die aus Frankfurt stammende Kriminalbuchautorin, die mit bürgerlichem Namen Cora Stephan heißt, gerne zu, bei dem Ort ihres neuesten Falls von den Landschaften und der Idylle Oberhessens beeinflusst worden zu sein. »Deshalb spielt der Roman offiziell in Oberhessen, ich verbinde damit einfach diese wunderbaren Landschaften. Im Übrigen können sich aber sogar Leute aus Norddeutschland mit dem Dorf identifizieren.« Dass es dort einst alles andere als beschaulich zuging, zeigt indes schon der Titel ihres mittlerweile neunten Romans, »Schrei nach Stille«, den Anne Chaplet am Dienstagabend im Sporthotel im Rahmen des Gießener Krimifestivals - unterstützt von der »Bücherstube Reinhard« in Grünberg - vorstellte.

Denn als dort im Jahr 1968 ein bunt bemalter VW-Bus mit drei Hippies aus Frankfurt - zwei Frauen und ein Mann - ankommt und Flower- Power und freie Liebe Einzug ins idyllische Dorfleben halten, stehen die Zeichen auf Sturm. Ersten dumpfen Gerüchten folgen bald Übergriffe auf die Blumenkinder, sie werden eines Nachts in ihrem Haus überfallen und blutig geschlagen. Eine von ihnen, die wunderschöne Sascha, verschwindet bei dem Vorfall und taucht nie wieder auf.

Erst als die Bestseller- Autorin Sophie Winter 40 Jahre später in das kleine Dorf zurückkehrt, kocht die Geschichte wieder hoch. Nicht nur landet sie mit einem Roman über den Mord an einem Hippiemädchen durch einen aufgebrachten Mob einen Bestseller und bezichtigt damit die Landbevölkerung der Schuld, sie zieht auch in das Haus, in dem das Hippie-Trio einen Sommer lang gelebt hatte.

Fortan herrscht in Klein-Rhoda wieder helle Aufruhr, ein Kind reißt aus, bei Sophie Winter verschwinden Lebensmittel und Paul Bremer, ein Weinliebhaber, Stadtflüchtling »und ein bisschen ein Spinner« (Chaplet) beginnt zum Misstrauen der Einwohner in der Vergangenheit zu stöbern. Auch die Polizei interessiert sich plötzlich für den Fall und die Frage, was in jener mysteriösen Sommernacht einst wirklich geschah.

Dass der Krimi nicht bloß ein weiteres literarisches Werk zum bereits erschöpfend diskutierten Themenkomplex »68er« ist, ist vor allem der Umsicht und der Raffinesse der Autorin zuzuschreiben, die selbst die beschriebene Epoche Anfang der 70-er Jahre als Frankfurter Studentin miterlebte. Es ist ein eindringliches Porträt der Bundesrepublik in einer ihrer größten Umbruchsphasen im Kontrast zwischen deutschem Spießertum und den »wilden 68ern«.

Und es ist nicht zuletzt eine spannende Geschichte um Leben und Tod. Die Landbevölkerung wird bei Chaplet keinesfalls nur an den Pranger gestellt, die Angst, das Fremdeln mit den ungewöhnlichen jungen Menschen überaus sensibel beschrieben.

Chaplet ist eine exzellente Beobachterin, ihre Beschreibungen von Land und Leuten sind so anschaulich, dass bei der Lesung am Dienstagabend einige Besucher bei Kerzenschein und hessischem Fingerfood überzeugt waren, den Ort des Geschehens in ihrer heimischen Umgebung wiederfinden zu können. Da bei bleibt der Roman stets auch ein aufregender Krimi. Mit subtilen Mitteln steigert Chaplet von Kapitel zu Kapitel die Spannung, um schließlich mit einer Lösung aufzuwarten, die ebenso überraschend wie traurig ist.

Nächste »Krimifestival«-Veranstaltung in Grünberg: Freitag, 10. Oktober, 20 Uhr, ehemaliges Brauhaus (Winterplatz), »Abendmahl der Mörder« (Rechtsmediziner Prof. Manfred Riße zum Rotenburger Kannibalismus-Fall; »für Besucher mit starken Nerven, nichs für Voyeure!«)

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