Geistreiches selbst für Fastnachtsmuffel
Fernwald (mlu). Die Prunksitzung des Gesangvereins »Germania« Steinbach am Samstagabend musste selbst ausgesprochene Fastnachtsmuffel begeistern. Das Programm – geistreich, leidenschaftlich und dramaturgisch geschickt arrangiert – korrespondierte mit dem gediegenen Ambiente des »Hessischen Hofs«.
Dieser präsentierte sich als gemütliche Narrenhöhle. Und der trockene, unaufgeregte Humor des souveränen Sitzungspräsidenten Reinhard Schargitz – »um 11 Uhr habbe mers hinner uns« – war jenem eines Manfred Krug, der dieser Tage seinen 75. Geburtstag feierte, ebenbürtig. Kurzum: Dieser Abend war etwas Besonderes.
Klassisch eröffneten die gelenkigen Gardemädchen des TV Mainzlar das Bühnengeschehen, in dem sodann Kurt Bauer als der poetische Saubermann Willi Kernseif von seinen Putz-Einsätzen erzählte, die ihn in Theater, Tennis-Clubs und über Cap Karneval gar in den Weltraum führten. Imposant der Auftritt des Gießener Prinzenpaares samt Entourage, dem der Sitzungspräsident einen historischen Orden aus dem Jahre 1980 zum Geschenk machte. Fulminant der anschließenden Gardetanz der Gießener Fassenachtsvereinigung, bei dem die jungen Damen an Akrobatik nichts zu wünschen übrig ließen.
Spielzeug im Flechtkorb
Einen herzlichen Empfang bereitete die Narrengesellschaft Heidrun Sauerbier vom befreundeten Karnevalsverein aus Schlotheim in Thüringen, die von einer Verkaufsparty erzählte, während der sie vor Kurzem ihr halbes Monatsgehalt ausgab. Doch nicht für Tupperwaren, sondern für Erotikartikel. Für neckische Dessous und beklemmend rote Corsagen, für G-Punkt-Spezialisten und plüschige Handschellen. Dies alles verbarg sich in ihrem Flechtkorb, in dem man eher grobe Würste vermutet hätte. Und die aufgeschlossene Frau Sauerbier, die noch mit Hemd und Schlüpfer groß geworden ist, ließ keinen Zweifel aufkommen, dass das delikates Spielzeug ihre Fantasie in höchstem Maße angeregt hat.
Tradition haben in Steinbach neben den Besuchen aus Thüringen auch die Auftritte der Tanzmariechen Carmi Schneider und Constanze Faulenbach – seit ihren Kinderjahren bereiten sie mit ihren Tanzdarbietungen alljährlich Freude im Saal. Erstmals seit elf Jahren wieder mit dabei waren auch die unnachahmlichen Trampelbumser aus Büblingshausen, die der Präsident zu Recht als die »älteste Punkband von Hessen« bezeichnete.
Doch statt Irokesen trugen die Herren Melonen, nicht in speckigen Lederjacken, sondern im würdevollen Frack traten sie in Erscheinung und nicht mit Shelly-Stiefeln ließen sie den Bühnenboden erzittern, sondern mit vergoldeten Schuhwerk – burlesk, bisweilen gar surreal nahm sich diese Vorstellung mit Pauken und Trompeten aus, die teils an Zirkus, teils an Broadway denken ließ. Sensationell.
Alsdann stieg Bürgermeister Stefan Bechthold in die Bütt, die übrigens eine Eule zierte. War es Minerva, die den Glatzenmann zur Einsicht brachte, dass weder der Urin einer Taube und auch nicht jener seiner Großmutter als geeignete Mittel gegen Haarausfall gelten können? Fest steht, dass der Mann, der geknickt und verzweifelt aufs Podest getreten war, dasselbe erhobenen Hauptes verließ, weil er im Zuge seiner Überlegungen begriffen hatte, dass sich dasselbe in seinem nackten Zustand viel besser dazu eignet, beküsst zu werden. Davon sah der Präsident zwar ab, doch beehrte er den Rathauschef mit einem ihm eigens zugedachten Verslein.
So nahm der Steinbacher Karneval seinen Lauf, mit Stimmungsliedern des Gesangvereins; mit Ursula Franz und Heike Wehrum, die auf ihre alten Tage die Welt bereisten, um Staatspräsidenten zu verführen und Königen ihre Krone streitig zu machen; mit Norbert Magel und Birgit Hahn, deren Auftritt sehr glaubhaft darlegte, dass man sich nach 25 Jahren Eheleben erst recht gut versteht; mit Schunkelliedern der Hofsänger und weiteren Tanzeinlagen. Und nicht zuletzt war es das musikalische Dreigestirn »Forever Young« aus Schweinfurt, das die Stimmung noch lange hochhielt.