Biebertal: Eklat im Parlament

Die finale Beratung zum Etat 2023 in der Gemeindevertretung Biebertal ist am Mittwoch abgeblasen worden. Der Grund: Die Freien Wähler kündigten an, die Grundsteuer nicht mit anheben zu wollen.
Biebertal - Die Biebertaler Gemeindevertreter werden demnächst zu einer Sondersitzung zum Haushalt 2023 zusammentreten müssen - oder die Beratungen zum Etat des kommenden Jahres erst im Februar abschließen. Welcher Weg gangbar ist, darüber diskutiert am Montag der Ältestenrat.
Denn am Mittwoch wurde in der Gemeindevertretung von den Mehrheitsfraktionen SPD, Grüne, CDU und FDP zu Sitzungsbeginn die Haushaltsberatung von der Tagesordnung genommen. Der Grund: Dermittwochfrüh von den Freien Wählern angekündigte Antrag, die Grundsteuer B bei 600 Prozentpunkten zu belassen. Der Gemeindevorstand um Bürgermeisterin Patricia Ortmann hatte nämlich vorgeschlagen, die Steuer für bebaute Grundstücke um 50 Punkte anzuheben - dies, um den Haushalt auszugleichen und finanziell handlungsfähig zu bleiben. In den Ausschussberatungen hatte sich dafür eine Mehrheit abgezeichnet, wenngleich nicht alle damit glücklich waren.
Die Freien Wähler rechnen vor, dass die 50 Punkte 134 000 Euro mehr (oder eben weniger) im Etat ausmachen. Und schlagen vor, zur Gegenfinanzierung die erhofften Gewerbesteuer-Einnahmen rund 150 000 Euro höher anzusetzen. Durch Rücklagen-entnahme, die prognostizierte Mehreinnahme bei der Gewerbesteuer sowie die angekündigte Senkung der Kreisumlage könne die Gemeinde 2023 auf ein Erhöhen der Grundsteuer verzichten.
Mit dem kurzfristig gestellten Antrag der Freien Wähler wolle man »sorgsam umgehen«, sagte CDU-Fraktionschef Gregor Verhoff. Deshalb werde die Etatberatung verschoben. Dafür erntete die Kooperation zwar heftige Kritik der Parlamentsvorsitzenden Elke Lepper und der FW--Fraktions-Chefin Inge Mohr (beide FW). Aber für das Ändern der Tagesordnung reichte in diesem Falle eben die einfache Mehrheit. »Fatal für Biebertal« und »blamabel« schimpfte eine sichtlich erregte Inge Mohr. Auch Parlamentsvorsitzende Lepper geriet an den Rand der Contenance: Als Mohr »unter Protest« an der Abstimmung teilnahm, bat die Parlamentsvorsitzende gar darum, »die Presse« möge das bitte »zu Protokoll nehmen«.
SPD-Fraktionsvorsitzender Wolfgang Lenz sprach derweil von »Brisanz in der Beschlussfassung«, ob die Grundsteuer nun erhöht werde oder nicht. Noch war am Mittwochabend unbekannt, ob der Landkreis die Kreisumlage senkt oder nicht (siehe auch Seite 38). Insofern sei eine Entscheidung zu diesem Zeitpunkt »eine Wette auf die Zukunft«. Für Lenz der Kernpunkt: Wann haben wir belastbare Zahlen vom Kreis? Im Anschluss an die Sitzung signalisierte der SPD-Fraktionsvorsitzende: Für den einen oder anderen aus der Kooperation sei es sehr wohl denkbar, die Grundsteuer B bei 600 Prozentpunkten zu belassen und die vorgeschlagene Erhöhung nicht mitzugehen - wenn das eben finanziell darstellbar sei.
Lenz hatte bereits im Finanzausschuss von »Bauchschmerzen« hinsichtlich der Steuererhöhung für die Bürger gesprochen. Wie emotional aufgeladen die Diskussion um die abgeblasene Etat-Beratung war, das zeigte eine persönliche Erklärung der FW-Frontfrau Mohne am Ende der Sitzung: Sie nannte das Verhalten der Kooperation »unverantwortlich gegenüber den Bürgern und der Verwaltung« und nannte das Vorgehen der Mehrheit »Machtgehabe«. Mohr: »Ich dachte, nach 33 Jahren Kommunalpolitik kenne ich alle Hinterhältigkeiten, aber man lernt nie aus!«
Kommentar von GAZ-Redakteur Rüdiger Soßdorf: Die Chance
Hätten die FW ihren Antrag auf Beibehalten der Steuersätze nicht einige Stunden vorab angekündigt, sondern erst in der Sitzung gestellt, wenn die Etat-Beratung aufgerufen war – dann hätte sich die Mehrheit damit am Mittwoch auseinandersetzen müssen. Und zwar zustimmend oder ablehnend. Und die Kooperation hätte in der Öffentlichkeit womöglich alt ausgesehen, wenn sie den FW-Antrag einfach abgelehnt hätte. Wie dem auch sei: Die neue Situation bietet die Chance, mit belastbareren Zahlen zu entscheiden.