Zorn, Empörung und die Kraft der Sprache
Marburg (axc). Georg Schramm (63) gilt als der deutsche Kabarettist mit der schärfsten Zunge und den bittersten Wahrheiten. Ein ums andere Mal bleibt einem das Lachen im Halse stecken, wenn eine seiner Bühnenfiguren unserer Gesellschaft brillant pointierend den Spiegel vorhält.
»Es ist Krieg, machen wir uns nichts vor: Arm gegen Reich.« Da der studierte Psychologe und in neurologischer Reha-Arbeit erfahrene Kabarettist Ende 2013 seine Solotourneen einstellen will, konnten sich über 800 Fans glücklich schätzen, noch ein Ticket für die Stadthalle ergattert zu haben. Gut zweieinhalb Stunden dauerte das Programm ohne Spannungsdurchhänger.
»Meister Yodas Ende: Die Zweckentfremdung der Demenz« lautet das abenteuerlich anmutende Motto des Abends, doch alles passt zusammen. Schramms Hauptfigur, der politisch widerborstige Rentner Lothar Dombrowski, hat eine Senioren-Selbsthilfegruppe gegründet, die sich auf die Fahnen geschrieben hat, »politisch aktiv und aggressiv« aufzutreten und dabei nicht »auf dem Stammtischniveau der Bundesregierung zu verharren.« Das Publikum wird damit quasi zu konspirativen Sitzungsteilnehmern und freut sich mit Dombrowski diebisch über gelungene Sabotage-Aktionen in feindlichen Supermärkten.
»Zorn und Empörung« im Dienste der Vernunft – das treibt den Mann an. Der Frankfurter Alt-Sozi August hat gerade »die Mut… mei Frau« verloren und warnt makaber vor Selbstmord mit Regionalzügen, weil die zu langsam seien. Geschickt lässt Schramm das Thema der Demenz schon ab der ersten Szene anklingen, wenn August immer wieder erklärt: »Der Helmut, den kenne Se noch net, des is mei Schrebergaddenachbar.« – und sein Enkel zu ihm sagt: »Opa, sei friedlich, sonst kommst’ ins Heim.« August hat die Lizenz zum Fluchen, wenn er Politiker und Banker unverblümt als »Arschlöschä« und alles andere als »Scheißdreck« bezeichnen und sich mit Luftgewehr in der Hand das »Fortschaffen« seiner Feindbilder ausmalen darf.
Die sprachlich geschliffenen bissigen Analysen unserer Welt überlässt Schramm aber Dombrowski, der immer wieder hohles Politikergeschwätz, auch und vor allem in Talkshows, in seiner ganzen Lächerlichkeit entlarvt.
Den zum Kult gewordenen Satz von der »emotionalen Pissrinne« in den »öffentlich-rechtlichen Bedürfnisanstalten« bringt er natürlich auch und freut sich kabarettistisch angemessen (»Ein Hauch von Sportpalast!«) über den stürmischen Applaus. Ein weiterer Höhepunkt ist der zweifache Gastauftritt des Oberstleutnants Sanftleben (Schramm war selbst Offizier der Reserve), der allen Ernstes und dabei brüllend komisch über »sinnvolles Blutvergießen« referiert und korrekt zwischen »Eigen- und Fremdblutfluss« unterscheidet.
Nach der Sitzungspause (»zum Wasserabschlagen«) erscheint der Offizier angeheitert mit einem Weinglas in der Hand, als ob er die Traurigkeit des Themas selbst nicht mehr ertragen kann, und er nuschelt etwas von »bildgsfnen Untschichn«. Am Ende macht sich Dombrowski auf schwarzer Bühne dunkelgraue Gedanken über ein Leben mit Demenz im Pflegeheim beziehungsweise in der Psychiatrie nach einem misslungenen Suizidversuch – da wird es trotz der Komik der Darstellung (»Ein grässlicher Gedanke, dass man mir die Stimmung aufhellt.«) auch mal sehr still im Saal.
Was hat das alles mit dem »Krieg der Sterne« zu tun? Dombrowski erzählt (und fällt dabei ein wenig aus der Rolle der Bühnenfigur), dass ein Fan sich einmal an Meister Yoda erinnert fühlte, der das Böse allein durch die Kraft seiner Sprache bekämpfen kann.
Und das ist im Grunde das Anliegen Schramms: »Ein Großteil unserer Kraft liegt in der Kraft unserer Sprache«, lässt er Dombrowski sagen – verbittert darüber, dass vor allem die Mächtigen, obwohl nicht dement, so viel Blödsinn reden und gegen jeden gesunden Menschenverstand handeln.
Ein großartiger Abend, der noch lange in den Zuhörern nachklingen wird.