Das wird Marburgs neue Mitte

Im Mai erhält Marburg eine neue Mitte. Dann beginnt der Kultur- und Tagungsbetrieb im Erwin-Piscator-Haus, Marburgs neu erstandener Stadthalle. Hannes Wader ist schon gebucht, Jürgen von der Lippe schaut vorbei, die Band Karat gibt ein Konzert. Große Namen müssen dann um Marburg keinen Bogen mehr machen. Und das ist noch lange nicht alles.
Die Stadthalle kann künftig mehr: Als Multifunktionsgebäude beherbergt sie im großen Saal mit bis zu 1000 Sitzplätzen nicht nur das Hessische Landestheater, auch Kulturladen und Subkulturkneipe KFZ bekommt in der Stadthalle das lange gewünschte neue Domizil. Die angrenzende Martin-Luther-Schule erhält in einem Gebäudetrakte vier weitere Klassenräume. Die Tourismusinformation und ein Szenerestaurant ziehen ein. Im hohen Foyer lassen sich Trennwände für Tagungen, Workshops und Special Events abtrennen. »Das Haus ist immer offen für die Stadtbewohner«, erklärt Tine Faber von der Stadtverwaltung, die den Bau leitet und später das Veranstaltungsmanagement übernimmt.
Ein erster Praxistest im Mai wird zeigen, ob das Multifunktionskonzept trägt: Dann wummern erstmals die Bässe im Klubkeller des KFZ, der wahlweise rund 250 Sitzplätze oder 600 Stehplätze umfasst, oben im großen Saal gibt es dann kulturell Feinsinnigeres. »Wir haben viel Mühe darauf verwandt, die Nutzungsbereiche akustisch zu trennen«, sagt Stadträtin Kerstin Weinbach während einer Begehung des Gebäudes mit dieser Zeitung.
Ende März waren die Bauarbeiten noch in vollem Gange. Außen wird ein ebenerdiger Brunnen gebaut, das Gelände darum gepflastert. Innen sind die technischen Einrichtungen längst fertig und warten auf den Feinschliff. Im großen Saal dominiert die große Theaterbühne mit ihrem Bühnenturm. Dort lassen sich 20 verschiedene Bühnenbilder aufziehen. Der große Saal ist das einzige Überbleibsel der alten Stadthalle. Diese wurde 1969 gebaut, war jüngst sanierungsbedürftig und erfüllte längst nicht mehr die Wünsche der Bürgerinnen und Bürger: Es konnte immer nur eine einzige Veranstaltung darin stattfinden. Das neue Gebäude, das überwiegend um den wuchtigen großen Saal herum gebaut wurde, erlaubt bis zu acht Nutzungen gleichzeitig.
Praxistest im Mai
»Der große Saal war schon damals ein Geniestreich«, sagt Faber. Der erste Rang im Zuschauerraum lässt sich horizontal verschieben. Außerdem kann man den Parkettboden anheben. So können je nach Nutzungsart ganz verschiedene Raumzuschnitte gewählt werden: Für ein Konzert stehen maximal 1000 Sitzplätze zur Verfügung. Für eine Tagung oder ein Bankett 600 Plätze.
Die neue Stadthalle rundet am Fuße des Schlossbergs von Marburg ein einzigartiges Stadtquartier ab: Dort befinden sich das Universitätshauptgebäude sowie das Hörsaalgebäude. Der Alte botanische Garten schließt sich an, daneben die neu entstehende Universitätsbibliothek. »Die Stadthalle ermöglicht eine Vielzahl an Begegnungen. Sie steht für Kommunikation und Kultur«, sagt Oberbürgermeister Thomas Spies.
In diesem Quartier sucht die Stadthalle auch architektonisch Anschluss: Mit rechteckigen Formen und geraden Linien korrespondiert es mit den Uni-Gebäuden. Die Frontfassade weist große Glaspartien auf. Man sieht hinein und drinnen gibt es interessante Sichtachsen auf das umliegende Gelände bis hinauf zum Schloss. Ein farbiger Code weißt die unterschiedlichen Nutzungsbereiche aus. Gelb steht etwa für die Klassenräume der Schule – an Wochenenden stehen sie auch für Veranstaltungen zur Verfügung. Rot weist den öffentlichen Bereich im Foyer aus.
»Wir erweitern unser räumlichen Möglichkeiten gleich dreifach«, sagt Gero Braach, Geschäftsführer des Kulturladens KFZ. Statt 133 Quadratmetern an alter Stätte in der Schulstraße stehen nun 410 Quadratmeter zur Verfügung. 250 Menschen können hier sitzen oder 600 stehen. Dazu kommen Künstlergarderobe und Werkstatt. Ein zusätzlichen Clubraum bietet 110 Quadratmeter. »Damit können wir jetzt viel differenzierter auf künstlerische Entwicklungen reagieren«, meint Braach. Inzwischen bietet das KFZ nämlich ein recht breites Programm an, das von Rock- und Punkkonzerten bis hin zu Kabarett und Veranstaltungen für Jugendliche und Kinder reicht.
»Mit den besseren Räumlichkeiten wächst sicher auch unser Veranstaltungsprogramm und die Mitarbeiterzahl«, sagt Braach. Das schöne daran: Das KFZ half vielen Künstlern und Bands beim Karrierestart. Später reichten die räumlichen Möglichkeiten für große Konzerte nicht mehr aus. »Wir können jetzt die größeren Sachen machen«, unterstrich Braach die Bedeutung des Umzugs. Er beschreibt den Einzugsbereich des KFZ von Fulda bis Siegen, von Kassel bis Friedberg. Die Eröffnung steht für Braach Anfang Juni an.
Braach denkt aber über das KFZ hinaus: Die Stadthalle ist ein Haus der Stadtgesellschaft. Alle können sich hier treffen. »Marburg präsentiert sich hier als weltoffene Stadt. Inhaltlich ist die Stadthalle ein tolles Konzept.«
Verschiedene Raumzuschnitte
Das liegt auch ganz im Sinne des Intendanten des Hessischen Landestheaters, Matthias Faltz. Der meint dazu: »Das Besondere am Erwin-Picator-Haus ist für uns, eine große neue Spielstätte an einem prominenten und zentralen Ort in der Stadt zu haben. Das Publikum dort setzt sich etwas anders zusammen als im Theater; wir erreichen da mit anderen Unterhaltungsformaten auch noch mal andere Menschen und auch ein Familienpublikum.« Für die kommende Spielzeit plant das Theater zwei Premieren im großen Saal. Ansonsten ist das Theater pro Saison mit fünf Stücken in der Stadthalle vertreten. Das macht rund ein Drittel der Nutzungskapazität aus. Die übrigen zwei Drittel will Veranstaltungsmanagerin Tine Faber durch Konzerte und bundesweite Tagungen bestreiten. Martin Schäfer