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»Wir werden bis zum 18. Januar um 18 Uhr kämpfen«

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Die Reihe der Redaktionsgespräche im Vorfeld der Landtagswahlen wird mit dem hessischen SPD-Generalsekretär Norbert Schmitt fortgesetzt.

Herr Schmitt, in einem Interview am vergangenen Wochenende haben Sie für einen Paukenschlag gesorgt und zur Unzeit für Ihre Partei Ihren Rückzug als hessischer SPD-Generalsekretär angekündigt. Haben Sie etwas gegen Thorsten Schäfer-Gümbel?

Nein. Diese Entscheidung habe ich schon vor einem Jahr getroffen. Das ändert gar nichts daran, dass ich jetzt mit Elan und mit voller Kraft Wahlkampf für Thorsten Schäfer-Gümbel und die SPD mache und ihn auch organisiere.

Aber warum haben Sie diese Entscheidung vor einem Jahr gefällt? Die SPD könnte doch jetzt an der Regierung sein.

Eben. Für meinen Schritt gab es vielfältige Gründe. Ich glaube, dass kaum jemand das Amt des Generalekretärs fünf Jahre ausübt, das ist eine lange Zeit. Intern war klar, dass ich eine neue Herausforderung suchte.

Wie sieht die aus?

Das entscheidet jetzt der Wähler. Der Zeitpunkt für diese Ankündigung so kurz vor den Wahlen war sicherlich unglücklich, aber intern haben viele davon gewusst. Deswegen sind die Spekulationen, die es dazu gegeben hat, völlig unberechtigt und auch falsch. Wer mich kennt weiß, dass ich mit vollem Einsatz kämpfe.

Die Umfragen sehen nicht rosig aus. Die SPD lag zuletzt bei 24 Prozent. Wie ist Ihre persönliche Einschätzung? Haben Sie die Wahl am 18. Januar schon abgeschrieben?

Nein, es gibt einen hohen Prozentsatz von Wählerinnen und Wählern, die noch unentschlossen sind. Um die kämpfen wir. Man hat es ja auch bei der letzten Wahl gesehen, dass die Umfragen für uns lange Zeit nicht gut aussahen. Herr Koch hatte schon triumphiert, mit uns würde er alleine fertig - und das sah dann ganz anders aus. Die Wähler entscheiden sich heute viel später, manche erst am Wahltag. Und deswegen werden wir bis zum 18. Januar um 18 Uhr kämpfen. Wir haben vor einem Jahr 72-Stunden-Aktionen als Endpurt eingeleitet, etwas ähnliches wird es auch diesmal geben, um unsere Wählerschaft zu mobilisieren.

Die CDU hat im Zusammenhang mit ihrem Rückzug von einem Bauernopfer gesprochen und erneut auch Parteichefin Andrea Ypsilanti zum Rücktritt aufgefordert. Wird denn auch Frau Ypsilanti die Verantwortung übernehmen?

Dazu hat sich Frau Ypsilanti ja auf dem Landesparteitag geäußert, dass sie natürlich die politische Verantwortung für das Wahlergebnis in Hessen übernehmen wird.

Die hessische SPD hat ein desaströses Jahr hinter sich. Welche Fehler haben Andrea Ypsilanti als Chefin und Sie als Architekt des rot-rot-grünen Projekts gemacht?

Den Fehler haben alle Parteien gemacht, nämlich vor der Wahl Festlegungen zu treffen, die am Ende keine Regierungskonstellation zuließen. Die FDP hatte ausgeschlossen, mit uns zusammenzuarbeiten. Die CDU hat die Zusammenarbeit mit den Grünen abgelehnt, wir hatten ausgeschlossen, mit der Linkspartei zusammenzuarbeiten - da sind mittlerweile alle klüger. Das war am Ende der Hauptfehler.

Es gab ja diesen Parteitagsbeschluss der SPD, nicht in eine große Koalition mit der CDU einzutreten. Würden Sie das im Nachhinein auch als Fehler bezeichnen?

Die Festlegung erfolgte, nachdem wir die Gespräche mit der CDU geführt haben, wobei klar wurde, dass die CDU an Roland Koch festhalten will. Eine Zusammenarbeit von SPD und CDU mit Koch, der uns noch vor einem Jahr vorgeworfen hat, wir würden Kriminalität in Kauf nehmen, und dessen persönliches Verhalten völlig inakzeptabel ist, war für uns nicht möglich. Außerdem war nicht erkennbar, dass es an für uns zentralen Punkten bei der CDU eine Bewegung geben würde.

War es denn so, wie berichtet wurde, dass die SPD in den Gesprächen mit der CDU darauf bestanden hat, dass Frau Ypsilanti Ministerpräsidentin werden muss?

Ich will aus diesen internen Gesprächen nicht zu detailliert berichten. Die CDU bestand darauf, dass es eine gemeinsame Regierung nur unter Führung eines Ministerpräsidenten Koch geben würde. Nach so einer krachenden Wahlniederlage für die CDU war klar, dass die Wähler Roland Koch nicht haben wollten. Bei uns gab es nun einmal auch eine harte Konfrontation zwischen den großen Parteien, die mit der Person Koch verbunden ist, das passt einfach nicht zusammen.

Würden Sie Ihrer Partei einen erneuten Anlauf Rot-Rot-Grün empfehlen?

Ich empfehle meiner Partei, eine Konstellation anzustreben, in der sie ihre Inhalte durchsetzen kann. Am Ende heißt das eine bessere Bildung - also auch, dass die Studiengebüren wirklich abgeschafft bleiben und nicht bei der ersten größeren problematischen Situation des Landeshaushalts wieder eingeführt werden. Eine Konstellation auch, in der klar wird, dass wir es ernst meinen mit erneuerbaren Energien. Da ist Hessen Schlusslicht.

Thorsten Schäfer-Gümbel hat zu Recht gesagt, dass die politischen Hütchenspiele beendet werden sollten - und eine Lehre daraus ist, jetzt diese Vorfestlegungen auf bestimmte Partner zu vermeiden, sowohl in die eine wie in die andere Richtung.

Müssten Sie dann nicht Ihren Parteitagsbeschluss über das Nein zu einer großen Koalition wieder per offizieller Abstimmung aufheben?

Dieser Parteitagsbeschluss bezog sich auf die aktuelle Situation, die nach der damaligen Wahl entstanden ist und nach den Gesprächen, die wir geführt haben. Nach der Wahl am Sonntag in einer Woche haben wir eine völlig neue Situation, da wird neu gemischt.

Die vier Abgeordneten, die der Parteichefin die Gefolgschaft verweigert haben, werden wahlweise als »Abweichler« oder »Verräter« bezeichnet. Wie lautet Ihre Formulierung?

Ich will das gar nicht in ein Wort pressen. Da gibt es eine große menschliche Enttäuschung, weil mir drei der vier auch in persönlichen Gesprächen immer - auch kurz vor dem Parteitag - versichert haben, dass sie den Weg mitgehen wollen. Zwei von dreien waren sogar diejenigen in der Sommerpause, die auf mich zukamen und gesagt haben, wir müssen den Weg gehen und damit sozusagen den zweiten Anlauf eingeleitet haben nach dem Scheitern im ersten Versuch, Rot-Grün mit Unterstützung der Linkspartei zu realisieren.

Der neue Hoffnungsträger heißt Thorsten Schäfer-Gümbel. Welchen Grund gab es, ihn als Spitzenkandidaten zu präsentieren - und was macht er besser als Andrea Ypsilanti?

Anders als die CDU zeigen wir, dass wir zur personellen Erneuerung fähig sind. Uns war klar, dass wir einen Alterssprung machen müssen in der Spitzenkandidatur und jemanden brauchen, der eine SPD verkörpert, die für soziale Gerechtigkeit und in Sachen Bildung für echte Veränderungen zum Positiven steht. Er hat selbst erfahren, wie schwierig es ist, in Deutschland zu Bildungserfolg zu kommen, wenn die soziale Herkunft einem das nicht in die Wiege gelegt hat.

Thorsten Schäfer-Gümbel hat in jungen Jahren gezeigt, dass er offen ist für die ökologische Frage und dort große Beschäftigungschancen sieht. Er ist der einzige Fraktionskollege, den ich kenne, der sich gleichzeitig den sozialen und wirtschaftlichen Fragen angenommen hat. Zum Beispiel ist er ein Architekt der sozialen Bürgerversicherung. Ich finde, das ist für eine Volkpartei wie uns ein sehr wichtiges Profil. Wir müssen für soziale Gerechtigkeit sorgen und gleichzeitig dafür, dass die Unternehmen in Hessen gut verdienen. Wir möchten dann aber auch, dass die Arbeitnehmer ihren gerechten Anteil an diesem Erfolg haben. Thorsten Schäfer-Gümbel ist jemand, der ungeheuer integrativ ist und mit viel Fingerspitzengefühl agieren kann. Er ist eine Führungsperson, das hat er immer wieder gezeigt. Vorbehalte, er sei zu unbekannt, hat er während des sehr kurzen Wahlkampfs sehr gut pariert. Mit jedem Tag wird er bekannter. Darin stecken auch Chancen - nämlich dass die Leute fragen, wer ist denn der Neue und wofür steht er.

Nochmals zurück zur Koalitionsaussage: Die SPD schließt diesmal eine Zusammenarbeit mit der Linken ausdrücklich nicht mehr von vorneherein aus. Heißt das im Fall der Fälle zum dritten Mal gegen die gleiche Wand - nur mit einem anderen Kopf?

Wir haben gelernt, keine Vorfestlegungen vor der Wahl zu treffen, sondern zu sagen, wir wollen unsere Inhalte durchsetzen und streben daher eine Zusammenarbeit mit den Fraktionen an, die garantieren, dass Hessen wieder besser regiert wird. Das gilt in der Bildungsfrage ebenso wie für die Forderung, dass eneuerbare Energien auf den Weg kommen und dass in Hessen die Frage der sozialen Gerechtigkeit in der Politik wieder eine Rolle spielt. Dabei ist natürlich auch die Verlässlichkeit des jeweiligen Partners ein wichtiges Kriterium der Zusammenarbeit.

Die Grünen haben sich zuletzt deutlich von der SPD distanziert. Der Stachel der Enttäuschung sitzt bei Al-Wazir und Co. tief. Haben sich die Sozialdemokraten eigentlich bei Ihren Wunschbündnispartnern entschuldigt? Und wie wollen Sie wieder Vertrauen herstellen?

Wenn es rational zugeht, gilt auch für die Grünen, dass sie am Ende darüber entscheiden müssen,wo sie ihre Inhalte durchsetzen können. Ich kann mir nicht vorstellen, wie Tarek Al-Wazir und Kordula Schulz-Asche mit Herrn Koch die Atomkraftfrage erörtern, G 8 korrigieren oder das Kohlegroßkraftwerk Staudinger verhindern wollen. Wenn die Grünen ihre Inhalte nicht völlig aufgeben wollen, wird die Zusammenarbeit mit der CDU sehr schwierig. Natürlich hat es nach dem Scheitern im zweiten Anlauf einen Kontakt zwischen Grünen und CDU gegeben. Schließlich waren die Grünen über die Situation nicht gerade sehr erfreut, und es gab wie bei uns auch eine Riesenenttäuschung, wahrscheinlich auch Wut.

Sehen Sie den ausgehandelten rot-grünen Koalitionsvertrag für diesen Wahlkampf eher als Hürde oder als Vorteil?

Ich finde, der Koalitionsvertrag war ein gutes Ergebnis, gleichwohl natürlich ein Kompromiss, der uns an einigen Stellen wehgetan hat. Er ist aber beispielsweise eine Grundlage zu zeigen, dass wir eine andere Schulpolitik gemacht hätten, dass wir das ernst gemeint haben mit der Umsteuerung auf erneuerbare Energien, dass soziale Initiativen unterstützt worden wären oder Beratungsstellen. Der Vertrag ist also eine Basis, obwohl auch hier gilt, dass sicherlich nach der Wahl neu gemischt wird. Über einzelne Punkte müsste man neu verhandeln, weil auch die Zeit weitergegangen ist.

Die SPD setzt auch in diesem Wahlkampf wieder stark auf den Ausbau der erneuerbaren Energien. Die Grünen-Chefin Kordula Schulz-Asche hat hier bei uns im Interview jedoch angezweifelt, dass die SPD wirklich hinter dem Konzept Hermann Scheers gestanden hat.

Die Einschätzung von Frau Schulz-Asche ist an diesem Punkt falsch. Sicherlich galt es, Überzeugungsarbeit bei manchen Kommunalpolitikern zu leisten. Wir haben mehrere Konferenzen gemacht und einen intensiven Prozess eingeleitet. Wir haben alle Beschlüsse in dieser Richtung mit ganz großer Mehrheit getragen.

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