Willingen ist Hessens Partyhochburg
Tausende reisen jedes Wochenende für eine feucht-fröhliche Sause nach Willingen. Doch trotz seines Rufs hat der kleine Ort die Balance zwischen Partyexzess und Erholungstourismus gefunden.
Wer nach Willingen kommt, muss in die Kirche«, heißt eine Regel im nordwestlichsten Zipfel Hessens. Die »Kirche« in dem 6000-Einwohner-Dorf war wirklich ein Gotteshaus – heute heißt sie aber Don Camillo und ist ein Restaurant. Wer will, kann dort essen, ein Bier unter der Kirchenkanzel trinken oder im Discolicht tanzen. Don Camillo ist ein guter Einstieg in die verrückte Party-Parallelwelt von Willingen.
Die Gemeinde im Sauerland hat einen Ruf, der bis ins Ausland reicht: Sie ist berühmt als Wintersportort, beliebt bei Wanderern und Mountainbikern. Berüchtigt ist Willingen für das Nachtleben und als Reiseziel für Junggesellenabschiede und Clubs. Denn in Willingen gibt es wenig, das es nicht gibt: Automaten, an denen man mitten in der Nacht Bier bekommt, brennender Schnaps auf Berghütten. Und ab und zu rauscht ein gelber, einstiger US-Schulbus mit Partyvolk durch den Ort.
»Der Klügere kippt nach«
Gefeiert wird schon am Morgen: Mit der Seilbahn geht es auf Siggis Hütte auf dem Ettelsberg. In 838 Metern gibt es das berühmte brennende Feuerwasser und Erbsensuppe im Glas. Am Nachmittag verlagert sich die Party ins Tal. Es ist lustig, laut und kann auch mal peinlich sein. Touristengruppen mit T-Shirt-Aufschriften wie »Immer voll, der Klügere kippt nach« haben dem Ort Bezeichnungen wie »Ballermann im Sauerland« eingebracht.
Den Vergleich mit Mallorca lehnen die Willinger ab. Der Party-Tourismus ist aber akzeptiert: »Wenn sich viele Menschen an einem Platz treffen, passieren schöne Dinge – und nicht so schöne«, sagt Karl Leyhe von der Werbegemeinschaft »Meine Gastronomie Willingen«. Partytourimus sei eines der Standbeine, »die wir gut bedienen und bedienen müssen«.
Drei Wochen jeden Tag Samstag
Dass Willingen gelegentlich darauf reduziert wird, sei logisch: »Es wird nichts so in die Welt getragen wie eine gute Party«, sagt Arndt Brüne, Betreiber der Graf Stolberg Hütte. Soziale Netzwerke wie Facebook befeuern die Legende von Wilingen.
Saison ist in der Kleinstadt quasi immer. Der Samstag gilt als Party-Tag. Und wenn in den Niederlanden im Frühjahr Krokus-Ferien sind, dann sei durchaus drei Wochen lang jeden Tag Samstag, sagt Brüne. Die Niederländer machen neben den Deutschen und Belgiern eine große Zahl der Gäste aus. Der Ort mit seinen 10 000 Betten stoße dann an Kapazitätsgrenzen. In diesem Jahr wird ein neuer Rekord erwartet: Man rechne mit 1,1 Millionen Übernachtungen, erklärt die Werbegemeinschaft.
Go-go-Girls sucht man vergeblich
Manches sucht man in Willingen jedoch vergebens: Go-go-Girls zum Beispiel gebe es nicht, sagt der Gewerbeverein. Vom kommenden Jahr an sind Fußballtrikots in Discos und Restaurants verboten. Junggesellenabschiede mit bunten Kostümen sind schon länger tabu.
Dass Willingen seiner Legende gerecht wird, bestätigt Rüdiger Konz von Partyreisen Deutschland. Der Reiseveranstalter hat sich auf diese Art des Tourismus spezialisiert. »Willingen ist heftig«, sagt er. Die Nachfrage sei riesengroß.
Kurz und heftig
Gerüchte, Mythen, Kurioses
(dpa/lhe). Über Willingen gibt es viele verrückte Geschichten. Einige davon sind wahr: - Schallschutz: Wer laut feiert, braucht guten Schallschutz. Deshalb kommt in einigen Discos Isolationsglas wie an Flughäfen zum Einsatz. - Harleydays: Zu den Harleydays kommen jedes Jahr Zehntausende Motorradfahrer und Fans der Marke Harley-Davidson in die Willinger Berge. Die nächste Bikerwoche ist für Juli 2018 angekündigt. - Kurort: Auch wenn manche Gäste gar keine Ruhe wollen ? Willingen ist ein »Heilklimatischer Kurort« und ein Kneippheilbad. - Prominente: Jürgen Drews, Karel Gott, DJ Ötzi, Semino Rossi und Helene Fischer traten schon in Willingen auf. - Spezialität im Untergrund: Das stillgelegte Schieferbergwerk »Grube Christine« kann nicht nur besichtigt werden, dort reift auch eine Spezialität. Der »Stollen im Stollen« schmeckt dank einer Temperatur von acht Grad und gleichbleibender Luftfeuchtigkeit angeblich besonders würzig. - Kurz und heftig: In den vergangenen zehn Jahren ist die durchschnittliche Aufenthaltsdauer von Touristen in Willingen von 3,07 auf 2,8 Tage gesunken.