Wenn die Herkunft Fragen aufwirft

In den Beständen hessischer Museen lagern zum Teil noch Kunstwerke, die die Nationalsozialisten ihren Besitzern geraubt haben. Andere Gemälde haben eine interessante Herkunftsgeschichte zu erzählen. Zwei Provenienzforscherinnen bringen sie zu Gehör.
Ein golden verzierter Altar, ein üppiges Deckenfresko, von Engeln umrahmt. Prächtigster Rokoko, auf Leinwand gebannt von dem Maler Fritz Beckert. Schön, aber nicht weiter ungewöhnlich, möchte der Betrachter als Laie meinen. Doch das Gemälde »Kirche zu Rott am Inn« aus dem Jahr 1930 hat Miriam Merz einiges Kopfzerbrechen bereitet.
Seit vier Jahren durchleuchten Merz und ihre Kollegin Ulrike Schmiegelt-Rietig an der Zentralen Stelle für Provenienzforschung in Hessen die Herkunft der Gemäldebestände in den staatlichen Museen des Landes. Die Häuser wollen ausschließen, dass sich NS-Raubkunst in ihren Beständen befindet, die zwischen 1933 und 1945 ihren meist jüdischen Besitzern abgepresst wurde, und eventuelle Erben dafür nicht entschädigt werden. Auf Anfrage beraten die Wissenschaftlerinnen, die im Museum Wiesbaden arbeiten, auch private, kirchliche oder kommunale Einrichtungen.
Gerade hier ist zum Teil noch Aufklärungsarbeit gefragt, meint der Hessische Museumsverband mit Sitz in Kassel. »In den meisten Museen, die wir betreuen, herrscht sehr wenig Kenntnis darüber, wie die Sammlung zustande gekommen ist«, erklärt Christina Reinsch. Viele kleinere Museen seien derzeit dabei, das Thema anzugehen und auf die Tagesordnung zu bringen.
Umfangreiche Recherche
Mehr über die Herkunft der Objekte zu wissen, trage immer zur Qualifizierung der Sammlungen bei, so die Museumsberaterin. Die Rekonstruktion der Werksbiografien sei wichtig, um zu klären, ob das Werk während der NS-Zeit einem privaten Eigentümer unrechtmäßig entzogen wurde, aber auch für die Geschichte der Sammlungen, wie Merz darlegt. Nicht selten entstünden durch ihre Arbeit neue Anreize für Ausstellungen.
Für Merz und ihre Kollegin ist das Objekt der Ausgangspunkt, also die Vorderseite des Gemäldes sowie die Rückseite. Gibt es eine Unterschrift des Künstlers? Sind Aufkleber auf der Rückseite, die auf eine Ausstellung hindeuten?
Dann beginnt die Recherche. Die Wissenschaftlerinnen wälzen Bildakten, Museumsarchive, Inventarbücher oder Ausstellungs- und Auktionskataloge und andere Literatur. Den Rücken des Beckert-Gemäldes etwa ziert tatsächlich der Aufkleber einer Wanderausstellung. Im Januar und Februar 1943 präsentierte die Deutsche Kunstgesellschaft das Werk im Herzog-Anton-Ulrich-Museum in Braunschweig. »Diese Kunstgesellschaft zeigte nur Künstler, die den Vorstellungen des Nationalsozialismus entsprachen«, sagt Merz. Aber was hat das große W5 auf der Rückseite des Gemäldes zu bedeuten? Merz recherchierte, dass der Beckert 1944 von Hermann Voss, dem damaligen Direktor der Gemäldegalerie in Wiesbaden, für ebendiese erworben wurde. Er erhielt das Bild zusammen mit drei anderen im Tausch gegen ein Gemälde aus dem hessischen Bestand. »Der Tausch ging über viele Ecken. Es hat einigermaßen lange gedauert, ihn nachzuvollziehen«, sagt Merz. Voss sammelte im Auftrag Adolf Hitlers Kunst für das geplante Führermuseum in Linz
Allerdings gelangte das Werk erst 1988 in die hessische Landeshauptstadt. »Das Gemälde blieb auf Schloss Weesenstein«, erläutert die Forscherin. Das Schloss im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge war Merz zufolge der kriegsbedingte Auslagerungsort der Gemäldegalerie. Sämtliche Objekte, die eigentlich zu Wiesbaden gehörten, wurden mit einem W gekennzeichnet.
Allein das Museum Wiesbaden hat seit dem Jahr 2000 in bisher sieben Fällen Gemälde restituiert. So berichtet es das Ministerium für Wissenschaft und Kunst auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion im hessischen Landtag. Die meisten Gemälde konnten anschließend wieder zurückgekauft und so in die Sammlung überführt werden. Auf der Suche nach Erben oder Händlern ist die erste Anlaufstelle die Lost-Art-Datenbank des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste. Auch das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen, das »Gedenkbuch der Juden« im Bundesarchiv, die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem oder die israelische Kultusgemeinde in Wien seien gute Ansprechpartner, wie Schmiegelt-Rietig schildert. Das wichtigste aber sind die Kollegen, das Netzwerk. »Oft ergeben sich glückliche Fügungen«, weiß Schmiegelt. Manchmal rücken so die Puzzleteile an ihren Platz und ergeben ein ganz eigenes Bild.
Im Fall Beckert steht nach gut vier Wochen Recherche fest: Es ist keine Raubkunst, das Gemälde wurde rechtmäßig gekauft.