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Warum dauert das eigentlich so lange? Wie Windrad-Projekte jahrelang ausgebremst werden

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Von: Nils Tillmann

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Ein Kran hebt ein Bauteil neben einem unvollendeten Windrad in die Höhe.
Genehmigungsverfahren, Klagen, Lieferprobleme: Der Windkraftausbau in Deutschland dauert oft länger als vorgesehen. © Karl-Josef Hildenbrand/dpa (Montage)

Sogar ein Windkraft-Gipfel von Robert Habeck macht es zum Thema: In Deutschland müssten viel mehr Windräder gebaut werden. Wir zeigen beispielhaft und in Grafiken, warum der Ausbau oft so quälend lange dauert.

Schon seit mehr als zehn Jahren will die Ökostromgruppe Freiburg neue Windräder auf dem Taubenkopf bauen. Nun soll in diesem Jahr endlich der Bau beginnen. So geht es mit vielen Erneuerbare-Energien-Projekten in Deutschland: Bauvorhaben ziehen sich häufig über sehr viele Jahre hin. Eine Analyse von zigtausend Daten der Behörden zeigt, warum.

Auch auf dem Windkraft-Gipfel mit Wirtschaftsminister Robert Habeck ist es ein Thema: Warum dauert das eigentlich so lange? Das Windkraftprojekt am Taubenkopf zeigt es beispielhaft. Nach einer langjährigen Einteilung des Landstrichs in mögliche Standorte für die Windenergie nahm das Projekt 2018 endlich Fahrt auf. Anderthalb Jahre benötigte das Unternehmen anschließend, um einen Pachtvertrag mit Stadt und Forstverwaltung zu schließen. Gleichzeitig wurden erste Umweltgutachten für die Genehmigung eingeholt. Das dauerte weitere zwei Jahre, bis es Ende 2021 soweit war.

Windenergie: Genehmigungen dauern oft viele Jahre

Ähnliche Verfahren müssen alle Windkraftprojekte in Deutschland durchlaufen. Zur Genehmigung sind mitunter Gutachten zum Lärm- und Artenschutz, ebenso wie zu baurechtlichen Standards notwendig. Diese beruhen ihrerseits teilweise auf monatelangen Erhebungen vor Ort.

Im Durchschnitt verstreichen allein von der Einreichung des Antrags bis zur Genehmigung eines Windkraftprojekts schon mehr als zwei Jahre. Dies zeigt eine Erhebung von Bund und Ländern aus dem Jahr 2022. Und einer aktuellen Analyse der Fachagentur Windenergie an Land (FA Wind) zufolge erhält gerade einmal jedes vierte Windkraftprojekt in Deutschland eine Genehmigung innerhalb von zwölf Monaten. Die hohe Anzahl an Beteiligten wie Unternehmen, Behörden und Prüfstellen macht es nicht leichter. Außerdem: Wenn Investoren ihre Pläne ändern oder Fachagenturen Nachforderungen stellen, können sich die Verfahren weiter hinziehen.

Doch selbst wenn dann am Ende alle Unterlagen beisammen sind, drehen sich die Windräder noch lange nicht. Der erwähnte Bundesbericht zeigt zum Beispiel, dass Genehmigungsverfahren in Hessen auch nach Einreichung aller nötigen Unterlagen im Schnitt noch mehr als 27 Monate dauern. Der bundesweite Durchschnitt liegt bei 11 Monaten. Das hessische Wirtschaftsministerium begründet die langen Verfahren mit einer dichteren Besiedelung und einem höheren Vorkommen bedrohter Tierarten als in anderen Ländern.

Es macht die Sache nicht leichter, dass die Verfahrensdauer über die Jahre immer weiter gestiegen ist. 2015 dauerten Verfahren im Schnitt nur anderthalb Jahre, wie ein Bericht der FA Wind zeigt. So kommt auch der Bericht von Bund und Ländern zu dem ernüchternden Schluss, dass die Realität noch „weit entfernt von den angestrebten zügigen Verfahren“ ist, die zum Erreichen der Klimaziele notwendig sind. Dieses Problem ist auch der Bundesregierung bekannt. Seit Anfang des Jahres gilt ein neues Gesetz, das die Genehmigung neuer Windräder vereinheitlichen und beschleunigen soll.

Hunderte Klagen gegen Windkraftprojekte

Wie das Beispiel am baden-württembergischen Taubenkopf zeigt, ist selbst nach der Genehmigung an einen Bau eines Windrades noch lange nicht zu denken. Eine Bürgerinitiative klagte dagegen. In der Klageschrift führte sie unter anderem an, dass der vor Ort nistende Rotmilan gefährdet werden könne.

Das Windkraft-Projekt im Schauinsland ist keineswegs ein Einzelfall: Im Jahr 2019 waren mehr als 300 von ihnen Ziel von Klagen, wie eine Umfrage der FA Wind zeigt. Das entspricht einem Fünftel aller genehmigten, aber noch nicht in Betrieb genommenen Anlage. In Bayern und Hessen waren es sogar rund 40 Prozent. Der häufigste Grund für Klagen ist dabei ähnlich wie am Taubenkopf der Artenschutz, doch auch über Lärmschutz und Baurecht wird oftmals gestritten.

Immerhin: Am Taubenkopf verzögerte die Klage das Projekt kaum. Das berichtet der Geschäftsführer der Ökostromgruppe Andreas Markowsky im Gespräch mit IPPEN.MEDIA. Der Widerspruch gegen das Projekt wurde nach einem halben Jahr zurückgewiesen und Rodungsarbeiten starteten im Winter 2022. Dass das Projekt erneut vor Gericht landet, ist jedoch immer noch nicht ausgeschlossen.

Zudem können Gerichtsverfahren in vielen Fällen sogar weitere Jahre dauern. So zum Beispiel bei in einem Fall in Hessen. Die Gemeinde Willingen klagte dort 2018 gegen den Bau von drei Windrädern. Nach drei Jahren erhielt das Unternehmen schließlich Recht, hatte aber die Pläne geändert, um neuere, leistungsstärkere Windräder zu bauen. Gegen diese klagte die Gemeinde erneut und erhielt Anfang 2022 Recht. Die Zukunft der Windkraftanlage ist unklar.

Lieferengpässe verzögern Umsetzung

Selbst dann, wenn alle anderen Schritte erfolgreich abgeschlossen sind, kann es bis zum tatsächlichen Bau noch sehr lange dauern. Von mehr als 900 Windrädern, die im Jahr 2021 genehmigt wurden, sind bisher gerade einmal 122 in Betrieb. Das zeigt unsere Analyse des Marktstammdatenregisters der Bundesnetzagentur. Das war früher anders: Noch 2010 gingen mehr als die Hälfte der genehmigten Windräder im Folgejahr ans Netz.

Schwer zu beschaffende Materialien ziehen viele der Bauvorhaben enorm in die Länge. Gestiegene Nachfrage, die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg haben langwährende Probleme in den Lieferketten für Baumaterialien zusätzlich verschärft. Exemplarisch zeigt sich dies am Importpreis von Stahl, der sich seit 2015 fast verdoppelt hat.

Genau mit diesem Problem sieht sich nun auch die Windkraftanlage am Taubenkopf konfrontiert. Bis Ende Februar wurden zwar alle Bäume am Standort gefällt. Im Laufe des Jahres sollen Zuwege gebaut und das Fundament gelegt werden. Alles Weitere hinge jedoch von den Zulieferern ab, so Markowsky. Dass die Anlage noch dieses Jahr in Betrieb gehen werde, sei unwahrscheinlich. Und das mehr als zehn Jahre, nachdem das Projekt im Ländle seinen Anfang genommen hatte. 

Unsere Daten, Quellen und Methoden:

Informationen zur Dauer amtlicher Genehmigungsverfahren für und zu Klagen gegen Windkraftprojekte stammen aus dem Jahresbericht 2022 des Kooperationsausschusses von Bund und Ländern sowie von Analysen der FA Wind. Letztere bezieht Daten zu Klagen gegen Windkraftanlagen einer Branchenbefragung, an der 91 Unternehmen teilnahmen.

Unsere Analyse von genehmigten, aber noch nicht in Betrieb genommenen Windkraftanlagen basiert auf Daten, die wir dem Marktstammdatenregister der Bundesnetzagentur entnommen haben. Dort haben wir jeweils das angegebene Ausstellungsdatum der Genehmigung mit dem erstmaligen Inbetriebnahmedatum abgeglichen. Das Genehmigungsdatum bezieht sich in Fällen mit Änderungsgenehmigungen auf die jeweils letzte ausgestellte Genehmigung. Das bedeutet, dass bei einem Anteil der Anlagen das erstmalige Genehmigungsdatum und die erstmalige Inbetriebnahme weiter auseinander liegen können.

Daten zur Entwicklung des Stahlpreises stammen vom Statistischen Bundesamt. Daten zu Zielen und Maßnahmen der Bundesumweltpolitik stammen vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz.

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