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Nach Vorwürfen gegen Polizei in Limburg: Polizei-Professor sorgt sich um Vertrauensverlust

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Bürger in Limburg beschweren sich über zu spätes Eintreffen der Polizei (Symbolbild).
Bürger in Limburg beschweren sich über zu spätes Eintreffen der Polizei (Symbolbild). © picture alliance/dpa

Wieder gibt es Vorwürfe, die Polizei in Limburg nehme Anrufer nicht ernst genug und reagiere zu spät. Der emeritierte Polizei-Professor Gerhard Schmelz warnte schon vor einem Jahr vor den Folgen einer chronisch unterbesetzten Polizei.

Mitarbeiter des Irish Pub in Limburg fühlten sich in der Nacht zum 20. Oktober von der Polizei nicht ernst genug genommen, nachdem sie mehrfach die Polizei angerufen hatten. Sie informierten die Polizei zum einen über einen mutmaßlichen Täter, der eine 21-Jährige begrapscht und später geschlagen haben soll, und fühlten sich zum anderen vom gleichen Mann und einer Gruppe von Männern bedroht, die sich vor dem Pub versammelt hatten, das inzwischen geschlossen war. 

Umstritten ist, wie schnell die Polizei reagiert hat: Sie will rechtzeitig zwei Streifen zum Irish Pub geschickt haben, um dem mutmaßlichen Täter einen Platzverweis zu erteilen. Weitere Männer will die Polizei nicht mehr angetroffen haben. Einen Kontakt mit den Mitarbeitern im Irish Pub gab es offenbar nicht.

Limburg: Beschwerden über Polizei nach fremdenfeindlichen Vorfall

Obwohl die Identität des mutmaßlichen Täters bereits wenige Stunden nach dem angeblichen Übergriff geklärt war, verzichtete die Polizei in ihrer Pressemeldung einen Tag später auf einen entsprechenden Hinweis. Warum? „Im Zusammenhang mit dem vorliegenden Sexualdelikt wurde eine allgemein gefasste Pressemeldung mit der Täterbeschreibung gefertigt, damit sich weitere unabhängige Zeugen melden und der Sachverhalt dadurch weiter aufklärt werden kann“, teilte auf Anfrage dieser Zeitung die Sprecherin der Polizei Limburg, Claudia Schäfer-Simrock, mit.

Dass es in Limburg Beschwerden über die Polizei gibt, ist kein Einzelfall. Erst vor wenigen Wochen hatte das Bündnis Courage auf einen mutmaßlich fremdenfeindlichen Vorfall auf dem Europaplatz in Limburg aufmerksam gemacht und ebenfalls den Vorwurf erhoben, die Polizei habe eine Anruferin nicht ernst genug genommen und zu spät eine Streife vorbeigeschickt.

Zwei Männer sollen bereits im Sommer spielende Kinder mit Migrationshintergrund beschimpft und deren Vater aufgefordert haben: "Lern Deutsch! Geh in dein Land zurück und nimm deine Kinder mit!" Eine vorbeikommende Familie (ebenfalls mit Migrationshintergrund) soll auf den Vorfall, der sich am 18. Juli ereignet hatte, aufmerksam geworden sein und versucht haben, den aufgebrachten Pöbler zu beruhigen. "Geh in dein Drecksland zurück!", soll er der Familie daraufhin zugerufen haben. Ein weibliches Mitglied der Familie soll die Polizei gegen 15.15 Uhr alarmiert und über den Vorfall informiert haben. Der Polizist am Telefon soll sich erst nach mehreren Minuten und weil die Frau beharrlich geblieben sei, bereit erklärt haben, eine Streife vorbeizuschicken.

Limburg: Polizei trifft eine Stunde später am Ort des Vorfalls ein

Die Polizei bestätigt im Kern den Vorfall und teilte auf Anfrage dieser Zeitung mit, die angeforderte Polizeistreife sei um 16.23 Uhr am Europaplatz eingetroffen, also eine gute Stunde nach dem Notruf; die Beamten hätten jedoch niemand mehr antreffen können. „Eine Verifizierung des Sachverhalts war daher nicht möglich", teilte ein Polizeisprecher mit.

Das späte Eintreffen am Europaplatz begründete die Polizei mit der „Auftragslage“. Diese sei der Anruferin auch erklärt worden. Die mutmaßlich beleidigenden Äußerungen des Mannes und ein mutmaßlich fremdenfeindlicher Hintergrund seien in dem Notruf so nicht wiedergegeben worden. "Um den Sachverhalt ordentlich zu klären, wurde die Entsendung einer Streife zugesagt", teilte der Sprecher mit. 

"Dies war verbunden mit dem Hinweis, dass es wegen der bestehenden Auftragslage etwas länger dauern könne." Das Eintreffen einer Streife könne grundsätzlich unterschiedlich lange dauern, "je nach aktueller Auftragslage und Priorisierung der einzelnen Sachverhalte". Während der Wartezeit sollten sich Zeugen merken, wie Beschuldigte aussehen und dies später der Polizei mitteilen.

Gibt es im Kreis Limburg-Weilburg zu wenige Polizisten?

Liegt das alles vielleicht daran, dass es im Landkreis Limburg-Weilburg zu wenig Polizisten gibt? Polizei-Professor Gerhard Schmelz beantwortete in einem Interview mit dieser Zeitung diese Frage im Oktober 2018 mit einem deutlichen Ja. „Die Polizei ist generell chronisch unterbesetzt, nicht nur in Limburg!“, sagte er. Ein guter und vertrauensvoller Kontakt zum Bürger sei für die polizeiliche Arbeit essenziell. „Dieser Part der polizeilichen Arbeit wird künftig deutlich mehr Beachtung finden. Denn die Folgen einer bürgerfernen Polizei sind eindeutig: Die Bürger fühlen sich immer unsicherer. 

Dabei braucht die Polizei einen sehr guten Kontakt zu ihnen. Schließlich werden die meisten Straftaten durch oder mit den Bürgern aufgeklärt. Es kann nicht sein, dass jemand bei der Polizei einen Einbrecher meldet und zu hören bekommt, dass erst in einer Stunde ein Streifenwagen geschickt werden kann, weil zum Zeitpunkt dieses Anrufs alle verfügbaren Streifenfahrzeuge im Einsatz sind. Das ist sowohl für den Bürger als auch für die Polizei frustrierend“, sagte Schmelz.

Limburg: Immer mehr Menschen fühlen sich unsicher - unterbesetzte Polizei?

Der inzwischen emeritierte Kriminalitäts-Professor hatte mit Studenten der Verwaltungsfachhochschule der Polizei in Wiesbaden im Herbst 2017 eine repräsentative Umfrage über das subjektive Sicherheitsgefühl in Limburg erhoben. Das eindeutige Ergebnis: Immer mehr Limburger fühlen sich unsicher. 

Auch die Zufriedenheit mit der Polizei in Limburg war abgefragt worden – mit einem eindeutigen Ergebnis: „Die Zufriedenheit mit der Polizei hat in Limburg über die Jahre deutlich abgenommen“, sagte Schmelz im Oktober 2018 dieser Zeitung. „In einer vergleichbaren Studie im Jahr 2010 gaben 66,5 Prozent der befragten Limburger an, mit der Polizei zufrieden zu sein, in der 2017 durchgeführten Befragung waren es nur noch 50,5 Prozent.“ 

Die Polizei könne sich aus personellen Gründen weniger um die Bürger kümmern, als sie es müsste. „Diese chronische Unterbesetzung bei steigenden Anforderungen hat zu derartigen Defiziten geführt, so dass sich Bürger und Bürgerinnen zu Recht nicht mehr hinreichend sicher und teils sogar nicht mehr ernst genommen fühlen“, sagte Schmelz damals. „Dies ist sehr bedauerlich, da sich Polizeibeamte und -beamtinnen weit überdurchschnittlich engagieren und es sicherlich nicht verdient haben, in Anbetracht ihres schweren Dienstes auch noch das Vertrauen der Bevölkerung zu verlieren.“

Nachdem ein Mann eine Frau in einem Pub im Limburg sexuell belästigt und sie attackiert, taucht er wieder am Tatort auf. Die Angestellten rufen die Polizei, doch die lässt auf sich warten.

Trauer und Ohnmacht, Entsetzen und Fassungslosigkeit in Limburg. Die in ihrem Ablauf und ihrer Brutalität außergewöhnliche Femizid hat die Stadt wieder in die Schlagzeilen gebracht - und Erinnerungen an ein schreckliches Verbrechen an fast gleicher Stelle geweckt.

Von Stefan Dickmann

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