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Trommeln für den politischen Neuanfang

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»Jetzt aber grün« prangt in großen Lettern am Wahlkampfstand in der Fußgängerzone des Rheingaustädtchens Eltville. Die ersten Sonnenstrahlen lassen die mit Schnee bedeckten Dächer erstrahlen. Es ist eisig kalt, und der Kontrast an diesem Wintermorgen könnte nicht größer sein: mit schnellen südländischen Rhythmen heizen zwei Trommler in einem Pavillon den Wahkampf der Grünen an - das ist ganz im Sinne des Spitzenkandidaten, Tarek Al-Wazir, der in die warm eingepackten Hände klatscht und sich auf Betriebstemperatur eines Wahlkämpfers bringt.

»Jetzt aber grün« prangt in großen Lettern am Wahlkampfstand in der Fußgängerzone des Rheingaustädtchens Eltville. Die ersten Sonnenstrahlen lassen die mit Schnee bedeckten Dächer erstrahlen. Es ist eisig kalt, und der Kontrast an diesem Wintermorgen könnte nicht größer sein: mit schnellen südländischen Rhythmen heizen zwei Trommler in einem Pavillon den Wahkampf der Grünen an - das ist ganz im Sinne des Spitzenkandidaten, Tarek Al-Wazir, der in die warm eingepackten Hände klatscht und sich auf Betriebstemperatur eines Wahlkämpfers bringt. »Als ich heute Morgen zu Hause auf das Thermometer geschaut habe, waren es minus 14 Grad und ich habe gedacht, Du musst verrückt sein, jetzt loszuziehen.« Doch die Zeit ist knapp und die Wahl im Januar 2008 hat allen Beteiligten einmal mehr verdeutlicht, dass jede Stimme zählt.

Al-Wazir ist an diesem Tag Stimmungskanone und Motivator zugleich. Zwischen etlichen Tassen heißem Tee und dem Verteilen der »Grünen-Zeitung« spricht er mit Bürgern und stellt sich unbequemen Fragen. »Sagen Sie mir doch mal, warum Sie keinen Atomstrom wollen«, fragt ein älterer Herr mit Hund im Schlepptau den Politiker.

Der wiederum holt Luft und bekundet zunächst einmal sein Mitleid mit dem zitternden Tier, um danach zum Punkt zu kommen: »Irreversible Folgen für Mensch und Natur im Fall eines Super-Gaus und die ungeklärte Frage der Entsorgung«, - so lassen sich verkürzt die Antworten des 38-Jährigen zusammenfassen. Obwohl alle Welt von Finanz- und Wirtschaftskrise spricht, beherrschen an dem Stand der Grünen vor allem die Themen Energie, Umwelt und Bildung die Debatten - wobei es nicht immer bei freundlichen Tönen der Passanten gegenüber der Partei bleibt.

Al-Wazir polarisiert und er versteht es, die Aufmerkamkeit auf sich zu ziehen. Das ist nicht nur im beschaulichen Eltville so - sondern auch eine Station weiter, in Frankfurt am Main. Nach Stärkung mit Wiener Schnitzel nach Original-Rezept in einem österreichischen Restaurant geht es ins Getümmel. Zunächst jedoch gibt es Anlaufschwierigkeiten, obwohl Al-Wazir mit Renate Künast bundespolitische Verstärkung aus Berlin bekommt. Auf dem Kaiserplatz ist nicht so viel los, wie sich die Parteistrategen das gewünscht haben. Die geplanten Reden werden kurzerhand gestrichen. »Es bleibt bei dieser Kälte einfach niemand stehen«, liefert Künast die Begründung.

Improvisation ist gefragt. Doch bevor die Frauen und Männer um Al-Wazir die neue Marschroute ausgeben, wird ihnen die Show gestohlen. Das anwesende Fernsehteam schart sich plötzlich nicht mehr um die Spitzenpolitiker, sondern um einen Elfjährigen, der selbst professionelle Parlamentarier an diesem Tag in Staunen versetzt. Er wolle sich bei den Grünen über deren Politik informieren, erklärt er, um sogleich eine Kostprobe seines Wissens zu geben: »Sie waren doch mal Bundeslandwirtschaftsministerin«, sagt Johannes aus Frankfurt zu Künast, die daraufhin mit Al-Wazir und dem Jungen einen politischen Gedankenaustausch pflegt.

Der grüne Landespolitiker setzt - sichtlich angetan von diesem etwas anderen Diskurs - zum Endspurt in Frankfurt an. »Lasst uns auf die Zeil ziehen, ganz vorne bitte die Trommler«, gibt der Politologe die Losung aus und somit zieht der ganze Tross weiter. Mit viel Ironie und einem Schuss Selbstkritik kommt auch das vergangene Jahr zur Sprache. Man habe aus den Ergebnissen gelernt, erklärt Al-Wazir, der jedoch mit seiner nächsten Aussage daran Zweifel aufkommen lässt. Man werde Roland Koch nicht zum Ministerpräsidenten wählen. »Wir wollen den politischen Neuanfang in Hessen«, wiederholt er die Vorgabe, die genauso auch schon 2008 galt.

Auch wenn es also bei der Landespressekonferenz zur Landtagswahl in Wiesbaden im Vergleich zum Vorjahr einen Handschlag zwischen Al-Wazir und Koch gab - eine echte Annäherung scheint in Wahlkampfzeiten schier unmöglich zu sein.

»Er gilt nun mal als klares Gegenmodell zu Koch«, wirft Künast ein, nachdem sie gerade einen Stapel Wahlprospekte unters Volk gebracht hat. Die Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion räumt ein, an jenem 3. November 2008 sprachlos gewesen zu sein, als sie von den vier SPD-Abweichlern gehört habe. Wie sehr dieses Thema die Menschen immer noch bewegt, zeigt sich wenig später, als ein Passant auf Al-Wazir zugeht und ihn zur Rede stellt. »Und Ihr wollt mit denen regieren?«, wirft der Mann dem Grünen-Politiker vor. Alles schon mal gehört, könnte man denken. Doch obwohl für die meisten klar ist, dass es sich bei dem verschmähten Partner der Grünen nur um die Linkspartei handeln könne, fragt Al-Wazir nach: »Mit wem?« »Na mit der SPD«, antwortet der Mann und löst bei den Anwesenden große Verwunderung aus. Und wieder wird klar, dass in Hessen alles andere als politische Normalzustände herrschen.

Nach mehreren Stunden Straßenwahlkampf pur an diesem Tag nähert sich in Frankfurt die Trommeltour ihrem Ende. Da sorgen neue Umfragezahlen für gespannte Blicke. 13 Prozent werden den Grünen vorhergesagt. »Damit müssten Sie doch zufrieden sein«, wird Al-Wazir gefragt. Er gebe nicht viel auf Meinungsumfragen, erklärt der Vater von zwei Söhnen. »Die spannende Frage am 18. Januar wird sein, ob wir so stark werden, um eine schwarz-gelbe Mehrheit verhindern zu können«, fügt er hinzu. Man brauche schließlich eine neue politische Kultur in Hessen und man wolle den dritten Platz von der FDP zurückerobern, nennt Al-Wazir die Wahlziele seiner Partei. 2008 seien die Grünen in der letzten Woche vor dem Urnengang laut Umfragen stark eingebrochen. »Wir müssen noch einen Zahn zulegen«, appelliert die Führungsfigur an ihre Mitstreiter, bevor sich die Gruppe - immer noch angeführt von nimmermüden Trommlern - auf die Zielgerade zum Kaiserplatz begibt.

Markus Becker

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