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Sprengung in Wetzlar: Mehr Platz für Möbel

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© Patrick Dehnhardt

Wetzlar (pad). Viele Zuschauer sahen sich am Sonntag gegen 5 Uhr morgens in Wetzlar die Sprengung des Wärmetauschers und der Silotürme des ehemaligen Zementwerkes an. Auf dem Gelände soll ein Ikea-Möbelhaus entstehen.

Es ist kurz vor fünf Uhr morgens in der Wetzlarer Innenstadt. Rund 2000 Schaulustige haben sich auf der Hochbrücke über die Bahngleise versammelt. Ein lauter Warnton erklingt, alle Augen richten sich auf den 65 Meter hohen Wärmetauscher und die drei 77 Meter hohen Silotürme des ehemaligen Zementwerkes. Knapp zwei Minuten später drückt Sprengmeister Eduard Reisch den Zündknopf – der Moment der Wahrheit. Über viele Jahrzehnte prägte das Zementwerk das Stadtbild von Wetzlar. Egal ob man auf der Hochstraße der B 49 unterwegs war oder auf den Hügeln der Altstadt – die markanten Gebäude konnte man nicht übersehen. Nicht unbedingt ein Schmuckstück, aber ein Zeichen der Industriekultur, welche die Stadt einst geprägt hatte. Am 28. Februar um 5 Uhr morgens sollte nun dieses Wahrzeichen fallen. »Auf der einen Seite war es schon eine Dreckschleuder«, sagt Thomas Hemmelmann, Leiter des Büro des Baudezernats der Stadt Wetzlar. Er selbst wurde nur wenige hundert Meter vom Zementwerk entfernt geboren. »Auf der anderen Seite prägte es die Stadtsilhouette. Es ist ein Abschied mit einem weinenden und einem lachenden Auge – aber das lachende Auge überwiegt.« Rund zweieinhalb Monate liefen die Vorbereitungen direkt an den beiden Objekten. Denn die Türme bestehen nicht nur aus Beton, sondern auch aus jeder Menge Stahl, erklärt Sprengmeister Reisch später. 250 Kilogramm Sprengstoff wurden in die Bohrlöcher gesteckt, die von 1500 Zündern ausgelöst werden sollten. Damit die Staubwolke nachher nicht die Stadt verhüllt, wurden Wasserwerfer und Schneekanonen aufgestellt, um die Partikel niederzuschlagen. Einige angrenzende Autohäuser haben ihre Neuwagen aber vorsichtshalber umgeparkt. Vor zwei Jahren hatte Reisch in Frankfurt den AfE-Turm gesprengt. Dieser fiel damals perfekt in sich zusammen, bildete später einen schönen Schutthaufen auf der ehemaligen Gebäudegrundfläche. Kein Steinchen flog damals mehr als zehn Meter weit weg von dem Hochhaus. In Wetzlar werden die Gebäude hingegen auf ein vorbereitetes Fallbett kippen. Die hohen Steinhaufen schlucken die Energie des Aufpralls, so die Theorie. Die angrenzende Bahnstrecke – hier soll eine Stunde später der erste Zug rollen – und die Gasleitungen dürfen nicht beschädigt werden. Der Praxistest erfolgt um 4.58 Uhr. Mit einem lauten Donner wird die Basis des Wärmetauschers gesprengt. Langsam neigt er sich zur Seite, kippt dann in nördliche Richtung um. Staubwolken schießen im Fall aus den Öffnungen des Gebäudes, dann zerfällt es in Trümmer, als es auf dem Boden aufprallt. Zu spüren ist davon rund 200 Meter entfernt an der Absperrgrenze nichts. Einige Sekunden vergehen, bevor nun auch die drei Silotürme dran sind. Eben noch als Licht-Werbefläche genutzt, fallen sie der Reihe ebenfalls in nördliche Richtung um. Der dritte bleibt einen Moment noch stehen – etwa doch eine Panne? Als vor einigen Jahren eine andere Firma hier ein Gebäude sprengte, sackte dieses nur ein paar Meter zusammen und blieb dann einfach stehen. Nein – der Turm neigt sich schließlich doch und fällt auf seine beiden Kameraden. Dies war so geplant, damit die Türme nicht gleichzeitig auf dem Boden aufschlagen, erklärte Reisch später. Jubel brandet bei den Zuschauern auf, einige stoßen trotz der frühen Stunde mit Bier auf die erfolgreiche Sprengung an. Die Staubwolke bleibt klein – nur eine Minute später kann man die drei sauber übereinander gestapelten Türme aus der Ferne erkennen. Komplett zerbrochen sind sie nicht, rund 20 Meter hoch stapeln sie sich übereinander. Doch das war absehbar – diese Menge Stahlbeton konnte man nicht pulverisieren. Einige Wetzlarer machen Selfies mit den Trümmern im Hintergrund. Technisches Hilfswerk und Feuerwehr, letztere mit knapp 60 Personen im Einsatz, sind zufrieden. Bahnstrecke und Gasleitung blieben unbeschädigt. Wäre diese ausgefallen, hätte man aber einen Notfallplan in der Tasche gehabt. »Das war eine hervorragende Organisation«, sagt der Einsatzleiter. Auch Reisch ist »absolut zufrieden«. Die Gebäude sind genau auf die vorgesehenen Flächen gefallen, die gemessenen Erschütterungen blieben in Grenzen. »Wir räumen jetzt unser Material auf – und danach werde ich mir einen Kaffee genehmigen,« schmunzelt er. Bis die Turmreste weggeräumt sind, wird es aber noch einige Zeit dauern. Sie bleiben Wetzlar erhalten, landen im Schredder und werden dann zu 80 Prozent unter dem neuen IKEA verbaut werden. Ende Mai, Anfang Juni will man das Areal dann an das Möbelhaus übergeben. Zwischen den Schaulustigen ist auch ein älterer Wetzlarer unterwegs. Er hat einst das Werk mit Brennstoff beliefert, war jeden Tag mit dem Lastwagen hier. »Es ist schon ein bisschen schade«, sagt er mit Blick auf den Trümmerhaufen. So wie er werden sich viele Wetzlarer erst an das neue Stadtbild gewöhnen müssen.

+++ Bildergalerie: Sprengung in Wetzlar

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