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Solidarische Landwirtschaft

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Getreide, Gemüse und die Milchproduktion standen schon vor über 30 Jahren für das Engagement von Joachim Gabriel in einer solidarischen Landwirtschaft. Heute versorgt er die Solawi Marburg mit Zwiebeln.
Getreide, Gemüse und die Milchproduktion standen schon vor über 30 Jahren für das Engagement von Joachim Gabriel in einer solidarischen Landwirtschaft. Heute versorgt er die Solawi Marburg mit Zwiebeln. © Rüdiger Geis

Traditionelle oder ökologische Landwirtschaft sind Begriffe, die die meisten Verbraucher kennen. Im Unterschied zum konventionellen Anbau von Lebens- und Futtermitteln muss der Ökobauer zum Beispiel auf den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln verzichten. So weit, so gut. Aber was verbirgt sich hinter einer Landwirtschaft, die sich solidarisch nennt?

Joachim Gabriel ist mit Leib und Seele Landwirt, auch wenn er einmal »blauäugig und mit viel Idealismus« 1980 den Hof in Weimar-Stedebach übernommen hatte und ihn zusammen mit seiner Frau Thea zum ersten Biobetrieb im Landkreis Marburg-Biedenkopf ausbaute. Schon vor 25 Jahren arbeitete er nach einem Vermarktungsprinzip, das heute als solidarische Landwirtschaft zunehmend Anhänger findet.

Dieses aber immer noch relativ unbekannte Zusammenspiel zwischen Produzierer und Verbraucher ist für Gabriel also nichts Neues. Der 61-Jährige bewirtschaftet einen sogenannten Demeter-Hof. Demeter ist ein geschütztes Markenzeichen für biologisch-dynamisch erzeugte Produkte. Als einziger Bioverband schreibt Demeter seinen Vertragspartnern vor, dass sie auf ihren Bauernhöfen Tiere halten müssen.

Seine Ausbildung als Landwirtschaftsmeister und Landwirtschaftstechnischer Assistent absolvierte er an der Uni Gießen, wo er die ersten Versuche im biodynamischen Landbau miterlebte. 1980 pachtete er den Hof in Stedebach. Getreide, Gemüse, Kartoffeln, Fleisch und Milch zählten anfangs zu den Produkten.

Als zu Beginn der Neunzigerjahre der Hof veräußert werden sollte, Gabriel aber nicht ausreichend Kapital für den Kauf zur Verfügung hatte, gründeten er und seine Frau einen Förderverein. Schnell fanden sich 80 Unterstützer, die sich gegen einen Gutschein die langfristige Lieferung von Milch sicherten und Gabriels so bei der Finanzierung der notwendigen Investitionen unterstützten. Ein Prinzip, nach dem auch die solidarische Landwirtschaft funktioniert.

Gabriel zählt neben dem Gemüsebaubetrieb Grünzeug von Uwe Engelhard in Lohra-Kirchvers zu den Kooperationspartnern der Marburger Initiative, die auch im angrenzenden Landkreis Gießen bei Verbrauchern auf Interesse gestoßen ist. Gegründet wurde sie 2012. »So was brauchen wir auch in Marburg«, war der entscheidende Satz, der am Anfang stand. Ein halbes Jahr lang setzte sich die kleine Gruppe der Initiatoren wöchentlich zusammen. Mit dem Engelhard-Betrieb in Kirchvers fand man einen ersten Partner, der einen Teil seines Betriebs auf solidarische Landwirtschaft umstellte. Damit sich das lohnt, mussten für den Anfang mindestens 50 Interessenten gefunden werden. Mittlerweile hat der Verein rund 100 Mitglieder, die seit Mai 2013 einmal pro Woche mit ökologisch angebautem Gemüse versorgt werden. Je nach Saison und Wetter gibt es Kräuter, Salate, Zucchini, Gurken, Rote Beete, Kartoffeln oder Kohl

Doch wie funktioniert das Prinzip, wie die Finanzierung? Die Idee, die hinter dem Projekt steckt, ist, dass sich ein Kreis von Verbrauchern langfristig mit einem Hof verbindet und gemeinsam dessen jährliche Kosten für Anzucht, Anbau und Ernte finanziert. Von diesen wiederum erhält die Verbrauchergemeinschaft anteilig Erträge.

Am Anfang steht das Bieterverfahren

Die Beteiligung erfolgt über ein geheimes Bieterverfahren zu Jahresbeginn. Dabei bietet man so viel wie der eigene Geldbeutel zulässt. Beim Marburger Verein hat sich ein monatlicher Richtwert von rund 40 Euro herauskristallisiert. Hinzukommt eine einmalige Einlage von durchschnittlich 172 Euro als zinsloses Darlehen, das für gemeinsame Anschaffungen genutzt wird.

Außerdem helfen die Mitglieder zweimal im Jahr auf dem Engelhard-Hof mit: beim Kürbisseernten oder Salatpflanzen. Je nach Höhe des Anteils wird die Menge der Produkte berechnet, die der Anteilseigner erhält. Die Kunden haben die Gewissheit, dass mit Tieren und Pflanzen verantwortungsvoll umgegangen wird, der Landwirt kann auf eine feste Einnahmequelle setzen.

Und das will der Verein weiter ausbauen: »Unsere Anbaupartner verfügen noch über ausreichend Kapazitäten. Derzeit beträgt der Wertanteil der Gemüseproduktion beim Hof Grünzeug etwas über 50 Prozent, für die neue Saison, ab Mai, dann knapp 60 Prozent. Wir würden auch die übrigen 40 Prozent noch gern an Mitglieder vergeben, um den Hof so zu hundert Prozent solidarisch zu finanzieren«, sagt Steffen Schmidt von Solawi Marburg. Der restliche Anteil werde derzeit noch über den Großmarkt abgesetzt. Somit sei ein weiteres Wachstum erwünscht. Und das scheint realistisch, denn laut Schmidt steigen die Mitglieder- und Anteilszahlen jedes Jahr – seit der ersten Saison 2013/14 von 82 Anteilen auf mittlerweile 165. Bis Anfang Mai rechnet der Verein mit rund 200 Anteilen, ein Einstieg ist bis dahin noch möglich. Aktuell hat Solawi Marburg rund 400 Mitglieder. Auch bei den Interessenten auf der Produktionsseite sieht Schmidt eine positive Entwicklung. Eine weitere Kooperation gibt es mit einem Imker in Lohra-Damm, der regionalen Honig liefert. »Auch erhalten wir immer wieder mal Anfragen von anderen landwirtschaftlichen Betrieben, etwa Schäfereien. Auf lange Sicht ist geplant, ein vollwertiges Produktsortiment aufzubauen, sprich eine Vollversorgung der Mitglieder zu erreichen«, erklärt Schmidt.

Er mache auf Info-Veranstaltungen zunehmend die Erfahrung, »dass die Menschen, die uns ansprechen, zumindest schon mal etwas von solidarischer Landwirtschaft gehört haben und sich mit den Themen Ernährung, Regionalität und Ökologie beschäftigen«, sagt Schmidt. »Ein Teil steht dem Konzept dabei sicher noch kritisch gegenüber. Viele lassen sich darauf aber auch ein, was sich in den Anteilszahlen ja widerspiegelt.«

Auch in der Wetterau hat sich das landwirtschaftliche Gemeinschaftsprojekt schon in Ansätzen etabliert. Auf Initiative des Umsonstladens in Friedberg berichtete im vergangenen November die Wetzlarerin Simone Ott über die Aktivitäten des Sonnenhofs in Braunfels-Neukirchen, der 2014 mit der solidarischen Landwirtschaft gestartet war.

Die Infoveranstaltung in Friedberg traf auf ausreichend Interesse, sodass schon im Dezember ein Folgetreffen stattfand, auf dem sich zwei Landwirte bereitfanden, in das Projekt einzusteigen. Der eine ist Holger Pabst in Dorheim, der dort eine Reitanlage betreibt und einen Teil seiner Flächen (rund 35 von 70 Hektar) auch für den Landbau nutzt. Ebenfalls mit im Boot ist der Naturlandhof von Christian Weber in Kaichen.

Beide Höfe sind biozertifiziert und wurden von der Initiative im Januar besichtigt. Webers Betrieb hat als Schwerpunkt die ökologische Schweinehaltung und die Selbstvermarktung von Fleisch und Wurst. Mit dem Hof von Pabst wird derzeit ein Konzept erstellt, rund 1000 Quadratmeter Fläche für die solidarische Landwirtschaft zu nutzen.

Eine weitere Gruppe ist seit Sommer vergangenen Jahres in Nidda-Wallernhausen aktiv. Ende des Monats will sie sich unter dem Namen Bunter Acker feste Strukturen geben und noch in diesem Jahr mit dem Gemüseanbau beginnen.

»Das Unternehmerrisiko, das der Landwirt hat, trägt die Solawi zum Teil mit. Die Mitglieder werden in der Konsequenz selber zum Landwirt«, sagt Gabriel. Schon mit dem Bestellen der Steckzwiebeln werde Geld eingezahlt, dass die Kosten decke. Hinzukomme die freiwillige Beteiligung an der Erntearbeit. Und weil das bisher so gut funktioniert, will der 61-Jährige die Beteiligung an der Solawi auch weiter ausbauen. Mit was genau steht noch nicht fest – die landwirtschaftliche Produktpalette bietet jedoch genügend Möglichkeiten. Rüdiger Geis

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