Selbst mitten im Winter keine Zirkus-Pause
Friedberg (wz). Wer mag sich schon vorstellen, jede Woche an einem anderen Ort zu wohnen, und auf der dazwischen liegenden Wegstrecke - mal 100 oder mal 300 Kilometer - die 13 mitreisenden sibirischen Tiger vielleicht sogar um ihren stets verfügbaren Swimmingpool zu beneiden?
Für die rund 100 Mitarbeiter und ihre Familienangehörigen aus zwölf Nationen, die beim in Wetterauer Kirschendorf Ockstadt bei Friedberg beheimateten Circus Universal Renz als Artisten oder Dompteure, Clowns oder Jongleure, aber auch als Arbeiter hinter den Kulissen tätig sind, gehören ständig wechselnde Aufenthaltsorte an zehn Monaten eines Jahres zum Lebensalltag.
Selbst zu Weihnachten und Silvester waren sie auf Achse, um in ihrem 2000 Zuschauer fassenden Zirkusrund eine »glanzvolle Unterhaltung für Jung und Alt« zu bieten. Am Sonntag war Schlussvorstellung in Mönchengladbach, in Kürze geht es in Krefeld weiter.
»Die meisten Zirkusunternehmen gönnen sich eine Winterpause, wir aber pausieren im Sommer und präsentieren unseren Zuschauern in der kalten Jahreszeit einen echten Weihnachtszirkus, der sich der Jahreszeit entsprechend vom üblichen Saisonprogramm unterscheidet«, sagt Daniel Renz. Er ist seit 2001 Direktor des 1987 zu neuem Leben erweckten Circus Universal Renz. Seine Eltern Julia und Alois Renz hatten dem Familienunternehmen, das 90 Jahre lang aus dem Blickpunkt der Öffentlichkeit verschwunden war, in Ockstadt eine neue Heimstatt geschaffen. »Der Standort in Deutschlands Mitte ist optimal für ein national agierendes Unternehmen.
« Auf ihrem rund 15 Hektar großen Anwesen, auf dem sich während der Sommerpause Lamas, Esel, Hunde, Pferde und andere Zirkustiere tummeln, verbrachten die beiden »Renz-Ruheständler« auch diesmal wieder den Jahreswechsel.
Sohn Daniel und dessen Ehefrau Patricia hatten derweil mit ihrer Truppe das Quartier im niederrheinischen Mönchengladbach aufgeschlagen. Beim Rückblick auf die vergangenen zwölf Monate Zirkusgeschehen fielen den Senioren etliche Höhepunkte ein; fast war’s schwer, sie einzeln zu benennen.
Da war zum Beispiel der Auftritt bei Florian Silbereisens »Herbstfest der Volksmusik« in Chemnitz, wo der Showmaster sich höchstpersönlich in den Tigerkäfig wagte - natürlich in Begleitung von Daniel Renz, der ihm Mut zusprach. Auch der Elefantenritt von zwei Damen aus Köln bleibt unvergessen. Die beiden hatten während ihres Urlaubs in Thailand einen »Elefantenführerschein« erfolgreich bestanden und dann auch in Deutschland unbedingt ein paar Runden auf dem Rücken eines Dickhäuters drehen wollen. »Es war ein Riesenspaß für uns alle«, sagt die in Linden bei Gießen beheimatete Pressesprecherin Gabi Beutelspacher. Einen Nachmittag lang habe die gutmütige Elefantendame Maja als Reittier hergehalten, bis die Kölnerinnen sich sichtlich zufrieden wieder verabschiedet hätten.
Spektakulär, doch wenig erfreulich, war der zweimalige - und folgenschwere - Absturz des kolumbianischen Artisten Douglas Gerling (24) aus der fünfköpfigen Artistengruppe Camadi im Januar und August. Aus über acht Metern Höhe war er im Januar in Bocholt vom »Todesrad« gestürzt und hatte sich ein Sprunggelenk gebrochen. Sieben Monate später hatte er in Friedberg einen zweiten Unfall, so dass die Camadis seither nur noch zu viert auftreten. »Beide Male passierte der Unfall in der letzten Probe vor der Premiere«, berichtete Beutelspacher. Da hätte man kurzfristig umdisponieren müssen, um die Todesrad-Nummer in kleinerer Besetzung dennoch bringen zu können. »In einem Zirkus muss man immer auf alles gefasst sein.«
Für bundesweite Schlagzeilen sorgte Ende Oktober auch der von einem technischen Defekt verursachte Brand eines Sattelaufliegers, der sechs Zirkustiger von Cuxhaven nach Stade transportieren sollte. 40 Feuerwehrleute waren im Einsatz. Die sibirischen Raubkatzen hatten mit dem Feuer kein Problem: Sie retteten sich mit einem beherzten Sprung durch die Flammenwand in den noch intakten vorderen Teil des Wagens. »Sie waren darauf trainiert, durch brennende Feuerreifen zu springen und blieben während der Löscharbeiten ganz gelassen«, hatte die Polizei vor Ort damals berichtet.
»Alles in allem war es ein Jahr wie viele andere auch«, meint Tourneeleiter Holger Fischer. Er ist bereits dabei, die nächste Premiere in Krefeld vorzubereiten. »Da werden wir im Programm wieder viele Überraschungen bereithalten.«