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Raus aus der Kohle, aber wie?

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Im Kasseler Fernwärmekraftwerk der Städtischen Werke Energie+Wärme GmbH soll 2025 Schluss sein mit Kohle.	FOTO: DPA
Im Kasseler Fernwärmekraftwerk der Städtischen Werke Energie+Wärme GmbH soll 2025 Schluss sein mit Kohle. FOTO: DPA © DPA Deutsche Presseagentur

Bis zum Jahr 2038 will Deutschland es geschafft haben, auf Kohle zu verzichten. In Hessen könnte das schon früher gelingen. Allerdings fordern Umweltschützer, bereits jetzt, deutlich weiterzudenken.

Wer raus aus der Kohle will, muss rechtzeitig die Weichen stellen. »Wir haben schon vor Jahren damit angefangen, uns war klar, dass die Ära der Kohleverbrennung irgendwann enden würde«, sagt Ingo Pijanka, Sprecher der Städtischen Werke in Kassel. Anfang Oktober beschloss der Aufsichtsrat dann: 2025 soll es so weit sein. Dann sollen im Fernwärmekraftwerk am Rande Kassels statt Braunkohle Klärschlamm und Holz verbrannt werden.

Vor der Pandemie war der Kohleausstieg ein heißes Thema in Hessen. Denn die zehn größten punktuellen Quellen für den Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid sind überwiegend Kraftwerke. Im März legte das Umweltministerium eine Liste vor, die das Kohle- und Gaskraftwerk Staudinger nahe Hanau anführte. Demnach stieß Staudinger knapp 1,6 Millionen Tonnen CO2 im Jahr 2018 aus. Dahinter folg-ten zwei Frankfurter Kraft-werke. Zum Vergleich: Ein Durchschnittspendler mit Pkw verursacht rechnerisch pro Jahr 1,5 Tonnen CO2.

»Die Kohle spielt noch eine sehr wesentliche Rolle«, sagt Werner Neumann, Vorstandsmitglied des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) in Hessen. Auch beim CO2-Ausstoß sei der Anteil der Kohle erheblich - vor allem in Rhein-Main. Kohleheizkraftwerke mit Fernwärme gibt es laut dem BUND in Frankfurt, Offenbach, Kassel. Hinzukommt Staudinger, dessen Steinkohle-Block bis Ende 2025 abgeschaltet werden soll.

Mit einem Fazit, wie weit der Kohleausstieg ist, tun sich die Naturschützer angesichts der komplexen Situation schwer. Klar sei: »Es fehlen vor allem belastbare Konzepte, wohin die Reise gehen soll«, erklärt Neumann. Zwar gebe es Ansätze, doch es müsse über die reine Umstellung der Anlagentechnik hinausgedacht werden. Wer beispielsweise Gas statt Kohle verbrennen wolle, müsse den Weg bis hin zu »erneuerbarem Gas« gehen. »Das dürfte vielen Politikern noch nicht so ganz klar sein.« Während Klärschlamm und Altholz als nachhaltige Brennstoffe gelten, ist Erdgas umstritten. »Es ist durchaus naheliegend, die Anlagen jetzt mit Erdgas zu fahren, weil dafür Motoren und Turbinen verfügbar sind«, sagt Neumann. Aber man sollte zugleich von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare umstellen. So könnten die Energieunternehmen Biogas einkaufen. Im Erdgasnetz könne bis zu zehn Prozent Wasserstoff beigemischt werden, um den Übergang zu den erneuerbaren Energien zu gewährleisten.

Ein Problem ist auch die Kombination mit dem Ausbau der Windenergie. Die Kraftwerke haben in der Regel eine Kraft-Wärme-Kopplung - liefern also Strom und Wärme. Ist viel Windenergie da, müssten die Kraftwerke heruntergefahren werden - aber dann würde Wärme fehlen. »Der BUND hat dazu ein innovatives Konzept und ist im Gespräch mit kommunalen Unternehmen für ein Forschungsprojekt«, sagt Neumann. Die Idee: Eine Kraft-Wärme-Koppelung plus Wärmepumpe. Dann könnte bei viel Windstrom der überschüssige Strom die Wärmepumpe antreiben, die Heizenergie liefert. Bei wenig Windenergie würden die Kraft-Wärme-Kopplung die Lücke mit Strom und Wärme schließen.

Den direkten Einfluss der Politik hält Neumann für begrenzt beim Kohleausstieg: »Die Politik beobachtet nur, was die Unternehmen machen.« Unternehmen wiede-rum verwiesen auf schlechte Rahmenbedingung durch die Bundespolitik. Beim Kohleausstieg-Plan habe man sich auf große Kraftwerke konzentriert. Kleine und mittlere Anlagen seien weitgehend vergessen worden. »Sinnvoll wäre eine Initiative des Landes im Bundesrat, damit eine grüne innovative Kraft-Wärme-Kopplung künftig bessere Bedingungen bekommt.«

Neben fehlenden Förderanreizen gibt es auch praktische Probleme. Der Umstieg von Kohle auf andere Brennstoffe ist laut dem Sprecher der Städtischen Werke in Kassel auch technisch eine Herausforderung: Dabei entstünden andere Nebenprodukte, die den Kraftwerkkessel angreifen. Die Umrüstung des Kasseler Werks koste einen Betrag im »zweistelligen Millionenbereich«. Weil es für Klärschlamm- und Altholzentsorgung Geld gebe, könne man dies langfristig gegenfinanzieren.

In Frankfurt will 2022 die Infraserv GmbH das Heizkraftwerk im Industriepark Höchst auf Gas umstellen. Das zweite Kohlekraftwerk der Stadt steht im Erzeugungspark der Mainova. Man beabsichtige die Umsetzung des Kohleausstiegs bis Mitte 2026 zu realisieren, sagte Mainova-Sprecher Volker Wasgindt. Man werde das Heizkraftwerk vorerst auf Gas mit hocheffizienter Kraft-Wärme-Kopplung umrüsten. Allein durch die Umrüstung dieses Heizkraftwerks West auf Gas werde sich der CO2-Ausstoß ab 2027 um jährlich rund 400 000 Tonnen im Vergleich zu einem Normaljahr verringern. Die CO2-Emissionen der gesamten Heizkraft- und Heizwerke der Mainova habe 2019 bei 900 000 Tonnen gelegen.

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