Opas Computer

Ich bin eine noch immer einsatzbereite elektrische Schreibmaschine. Habe gerade meinen 50. Geburtstag gefeiert. Viele Jahre habe ich meinem Besitzer, er hieß Karl, gedient. Er war verheiratet, das Paar hatte vier Kinder, die längst alle schon wieder eigene Kinder und zum Teil auch Enkel haben. Karl tippte mit vier Fingern und nutzte den Daumen für die Leertaste. Später schrieb sein Sohn auf mir seine ersten Briefe und Texte für die Uni. Er konnte ein bisschen schneller tippen als sein Vater, machte aber viele Fehler. Mein Korrekturband war bei ihm schnell verschlissen. Meist wurde der damals noch recht junge Mann gereizt, weil er dann mit Tipp-Ex-Streifen hantieren musste. Hätte er doch mal einen Schreibmaschinenkursus besucht, dann wäre ihm viel Ärger erspart geblieben. Aber nein, er vertippte sich lieber.
Bald kaufte der Sohn sich seinen ersten Computer, danach war ich abgemeldet. Karl schrieb damals kaum noch was - und wenn, dann meist mit der Hand. Er hatte eine sehr charakteristische Handschrift. Ich bin also schon lange im Ruhestand. Später kam ab und zu Enkelin Kara und schleppte mich in ihr Zimmer. Da war sie noch klein und sagte dann immer: »Ich schreibe mit Opas Computer.« Ihr Vater, etwas ruhiger geworden, half ihr, wenn mein Farbband klemmte. Kara schrieb meist Briefe an ihren Opa, der da schon im Himmel war. Was drin stand? Verrate ich nicht. Fällt unter das Briefgeheimnis!
Heute stehe ich einsam in Karls ehemaligem Büro herum. Neulich habe ich Kara und ihren Papa belauscht. Kara sagte: »Papa, Opas Computer (sie sagt es immer noch, obwohl sie längst weiß, dass ich eine Schreibmaschine bin), bleibt doch für immer hier - oder?« Er antwortete kurz: »Klar«. Da wurde mir leicht ums Herz. So warte ich jetzt darauf, dass wieder kleine Kinder ins Haus kommen und auf mir ihre ersten Schreibversuche machen. Ach, ich habe es gut! (bb)
»Opas Computer« ist die erste Episode einer neuen Serie mit dem Titel »Was Dinge erzählen«. Ab heute immer samstags auf einer der beiden Regionseiten.