Van Ooyen schreckt nicht vor Konfrontation zurück
Mitten auf dem Hanauer Marktplatz hält eine Limousine und ein Mann steigt aus, dessen Partei in den vergangenen zwölf Monaten für viel Diskussionsstoff sorgte. Beinahe hätte es in einem westdeutschen Flächenstaat erstmals eine rot-grüne Landesregierung unter Duldung der Linken gegeben - beinahe. Am 27. Januar 2008 hatte die aus der SED-Nachfolgepartei PDS und der Vereinigung Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG) fusionierte Linkspartei den Sprung über die Fünf-Prozent-Klausel geschafft. Bei der anstehenden Neuwahl an diesem Sonntag sehen Demoskopen die Linke bei fünf Prozent der Stimmen.
Mitten auf dem Hanauer Marktplatz hält eine Limousine und ein Mann steigt aus, dessen Partei in den vergangenen zwölf Monaten für viel Diskussionsstoff sorgte. Beinahe hätte es in einem westdeutschen Flächenstaat erstmals eine rot-grüne Landesregierung unter Duldung der Linken gegeben - beinahe. Am 27. Januar 2008 hatte die aus der SED-Nachfolgepartei PDS und der Vereinigung Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG) fusionierte Linkspartei den Sprung über die Fünf-Prozent-Klausel geschafft. Bei der anstehenden Neuwahl an diesem Sonntag sehen Demoskopen die Linke bei fünf Prozent der Stimmen.
Willi van Ooyen, der Vorsitzende der Linkspartei, verabschiedet sich von seinem Chauffeur und schreitet zu seinem Wahlkampfstand. Vorbei am Denkmal der berühmten Brüder Grimm und einer großen Eislauffläche steuert er auf seine Mitstreiter zu. Mit einem herzlichen »Moin Willi« wird er von zwei Helfern begrüßt, und eine gewisse Erleichterung über die eingetroffene Unterstützung steht in den Gesichtern der Wahlkämpfer. »Die Stimmung ist gut«, gibt van Ooyen zu Protokoll. Angesichts der Umfragewerte werde es wohl eine Zitterpartie, erklärt er, »aber ich habe ein gutes Gefühl, dass wir erneut in den Landtag einziehen«, gibt sich der 61-Jährige optimistisch.
Kaum angekommen, packt van Ooyen mit an und schreitet zur Tat. Mit Prospekten geht er bei den Wählern auf Stimmenfang. »Bitte schön, von den Linken«, verteilt er fleißig die Flyer. Mit kurzen knappen Sätzen versucht der Spitzenkandidat, Passanten in ein Gespräch zu verwickeln. Mit Appellen wie »Druck machen« und »nicht unterkriegen lassen« wirbt der bekennende Frühaufsteher für seine politischen Einstellungen. In ersten Diskussionen läuft sich van Ooyen warm. Während im Hintergrund das Kratzen der Schlittschuhkufen zu hören ist und sich ein Bild idyllischer Marktplatzharmonie bietet, bestimmen ernste Themen die Debatten am Wahlkampfstand. Van Ooyen erläutert, worum es bei den Inhalten geht: Wirtschaftskrise, Hartz IV und Dumpinglöhne. Von »verzocktem Geld« und »Kasino schließen« ist die Rede. Doch ein älterer Herr gibt sich nicht zufrieden: »Was sollte mich bewegen, die Linke zu wählen?« fragt der Mann den Politiker. Man biete als einzige Partei die Option für eine andere Politik, antwortet van Ooyen. »Koch beispielsweise hat zur momentanen Krise doch beigetragen« liefert er seine Begründung. Ohne Handschuhe und Schal geht es weiter. Bei strammen Minusgraden ist van Ooyens Jacke sogar etwas geöffnet und gibt einen Blick auf seine Kleidung preis - das blaue Hemd als Markenzeichen.
Der Vater zweier erwachsener Söhne versucht, sich verständnisvoll für die Sorgen des kleinen Mannes zu zeigen. Die Frage nach Autogrammkarten verneint er, denn dafür habe er kein Geld.
»Aber wie sollen die Vorschläge der Linkspartei überhaupt bezahlt werden?«, wird er mehrmals gefragt. »Den Reichen nehmen«, lautet van Ooyens Forderung, die in vielen Diskussionen immer wieder zum Vorschein kommt. Eine Millionärsabgabe wäre seiner Meinung nach eine Lösung. Der Konfrontation eines Passanten mit den Worten »Das bekommen Sie doch niemals hin«, begegnet van Ooyen in gewohnter Manier: »Abwarten«, »Dampf machen«. Um jede Stimme werde er und die Partei kämpfen. Eine turbulente Woche stehe bevor. Man plane sogar ab Freitag einen 48-Stunden-Dauer-Wahlkampf. Ins Schwärmen gerät er, wenn van Ooyen von großen Wahlkampfveranstaltungen mit Gregor Gysi erzählt. »Da waren mehr Leute als bei Jürgen Trittin von den Grünen«, verkündet er stolz, um gleichzeitig daraus positive Signale für einen Aufwärtstrend seiner Partei zu schließen. Doch die Realität am Wahlkampfstand sieht an diesem Tag auch anders aus. Gerade beim Thema »DDR«, »Kommunismus« und »Planwirtschaft« halten sich einige nicht zurück.
Van Ooyen geht der harschen Kritik nicht aus dem Weg, auch wenn er letztendlich nicht alle von seinen sozialpolitischen Vorschlägen überzeugen kann. Ein letztes »Denken Sie mal darüber nach« kann er sich dann schließlich doch nicht verkneifen.
Der Ehemann einer Französin mit Wurzeln in der Friedensbewegung will etwas verändern. Er sei angetrieben von einem »revolutionären Geist«, der sich durch seinen Lebenslauf wie ein roter Faden ziehe. »In jungen Jahren Gewerkschafter, aufgewachsen in einem Arbeiterhaushalt mit insgesamt sechs Geschwistern«, erzählt er von seinen Lebensstationen. »Willi, ist Dir nicht langsam kalt«, fragt ihn eine Helferin nach gut eineinhalb Stunden Straßenwahlkampf. »Nein, ich war als Außerparlamentarier fast mehr auf der Straße als im Büro. Das macht mir nichts aus«, entgegnet van Ooyen.
Und der 3. November 2008? War das nicht bitter, so kurz vor dem Ziel mit dem rot-rot-grünen Projekt zu scheitern? »Ypsilanti hat im letzten Wahlkampf den Fehler gemacht, die Linke aus dem Parlament halten zu wollen«, bilanziert van Ooyen. Für eine linke Politik brauche man jedoch die Stimmen der Linkspartei, erklärt er weiter. In den vergangenen Wochen habe er aber die Erfahrung gemacht, dass die Linke von den Bürgerinnen und Bürgern als normaler betrachtet werde. Das stimme ihn für die Zukunft zuversichtlicher. Und wenn es erneut mit dem Einzug in den Landtag klappen sollte? Wolle er ernsthaft »hessische Verhältnisse« ohne Koalition und klare Mehrheiten? »Wir stehlen uns nicht aus der Verantwortung, aber hinsichtlich der Wahrnehmung von Politik war dieser Zustand wichtig«, verteidigt der Sozialpädagoge seine Äußerung. Angesprochen auf eine Vielzahl ausgetretener Parteimitglieder räumt er Probleme ein und macht gleichzeitig mit einer Aussage deutlich, dass neben CDU und FDP vor allem auch die Sozialdemokraten politisch bekämpft werden: »Die SPD wäre froh, wenn in jedem Ortsverein so wenige ausgestreten wären wie bei der Linken im ganzen Landesverband.«
Markus Becker