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Die Mörder kamen mit Rosen

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Von: Rüdiger Geis

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Die Rote-Armee-Fraktion zog 1977 eine Blutspur durch Deutschland. Vor 40 Jahren wurde auch Jürgen Ponto, der Chef der Dresdner Bank in Frankfurt, in seinem Haus in Oberursel ermordet.

Es war ein besonders hinterhältiger Anschlag, der dem in Bad Nauheim geborenen Vorstandssprecher der Dresdner Bank den Tod brachte. »Hier ist Susanne«, meldet sich eine junge Frau durch die Sprechanlage am Gartentor. Die 26-jährige Susanne Albrecht ist die Tochter eines Studienfreundes von Jürgen Ponto. Ohne Arglist lässt er sie ein, überrascht, dass die Bekannte in Begleitung eines jungen Pärchens kommt: Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt. Es sind seine Mörder. Ponto hat keine Chance.

Als bedeutender deutscher Bank-Manager zählte er zu den erklärten Feinden der Linksterroristen. Geboren wurde Jürgen Ponto am 17. Dezember 1923 in Bad Nauheim als Sohn einer ursprünglich Hamburger Kaufmannsfamilie – »auf der Durchreise«, wie er später einmal sagte. Einige Jahre seiner Kindheit verbrachte er in Ecuador, wo sein Vater Handelsgeschäfte betrieb. Sein Abitur machte er in Hamburg. Ponto wurde 1943 beim Kriegseinsatz so schwer verwundet, dass er aus der Wehrmacht entlassen wurde. 1944 begann er in Göttingen ein Studium der Rechts- und Staatswissenschaften.

Lockvogel: Susanne Albrecht

Anfang der 1950er Jahre stieß er zur Dresdner Bank, wo er sich Zug um Zug in die Führungsetage vorarbeitete. 1969 wurde er Vorstandssprecher. Unter seiner Leitung wurde das Geldinstitut internationaler, eröffnete Filialen in Singapur, New York, London, Tokio, Los Angeles und Chicago. Sein fachmännischer Rat war auch beim damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt gefragt, der 1974 Willy Brandt als Regierungschef nachfolgte. Damals war er auch als Finanzminister im Gespräch.

Drei Jahre nach seiner Amtsübernahme stand Schmidt vor der größten Herausforderung seiner Kanzlerschaft. Den Auftakt eines blutigen Jahres mit Morden und Entführungen durch die RAF und palästinensische Extremisten bildete die Ermordung von Generalbundesanwalt Siegfried Buback und seiner beiden Begleiter am 7. April 1977 in Karlsruhe.

Die nächste Bluttat folgte am 30. Juli mit dem Mord an Ponto. Hintergrund war die Inhaftierung der RAF-Führungsriege mit den Gründern Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe in Stuttgart-Stammheim. Offensichtlich um ihre Freilassung zu erpressen, sollte Ponto entführt werden. Der Lockvogel: Susanne Albrecht.

»Zweite Generation« wird aktiv

Die Familie der damals 26-Jährigen war mit den Pontos gut bekannt. Ponto selbst war Pate ihrer jüngeren Schwester Julia. Susanne Albrecht, die Lehramt für Grund- und Realschulen in Hamburg studierte, hatte ein gespanntes Verhältnis zu ihren Eltern. Über die Hamburger Hausbesetzerszene fand sie schließlich Kontakt zur RAF. Mittlerweile hatte Brigitte Mohnhaupt die »zweite Generation« der Terroristengruppe gegründet. Ziel: die Freipressung Baaders, Ensslins und Raspes. Dem diente auch die Geiselnahme in der Stockholmer Botschaft der Bundesrepublik im April 1975, die aus Sicht der Terroristen scheiterte. Zwei Diplomaten wurden von ihnen ermordet, zwei Besetzer starben infolge einer ungewollten Sprengsatzexplosion.

Für Mohnhaupt und ihre Mitstreiter war Susanne Albrecht die ideale Verbindung zu einem Topmanager des verhassten Systems. Zweimal hatte die junge Frau die Pontos im Mai und Juni 1977 schon besucht, die keine Ahnung davon hatten, dass Albrecht mittlerweile zur RAF gehörte. Am 29. Juli vereinbarte der Bankier ein weiteres Treffen für den nächsten Tag zum Tee.

Ein Strauß Rosen für das Opfer

Mit Klar und Mohnhaupt im Gefolge – im Fluchtauto wartet Peter-Jürgen Boock – steht sie an diesem Samstag kurz nach 17 Uhr vor der Tür der Villa in der Oberhöchster Straße 69 in Oberursel. Ponto und seine Frau Ignes sind in Ferienstimmung. Am nächsten Tag wollen sie eine Urlaubsreise nach Südamerika antreten. »Ich dachte nur: Mein Gott, was bringt die Susanne da für Leute mit«, gab Pontos Frau später zu Protokoll. Sie hatte während der Tat in einem Nebenraum gesessen.

Ein Strauß Rosen, den Albrecht mitbringt, soll die scheinbare Harmlosigkeit ihres Besuchs wohl noch unterstreichen. »Ich wollte mich einmal bei euch sehen lassen«, sagte sie bei der Übergabe. Doch innerhalb weniger Minuten kippt die Situation. Ponto will wohl in der Küche eine Vase holen, Klar und Mohnhaupt folgen ihm. Sie zücken ihre Pistolen, erklären dem 53-Jährigen, dass er nun entführt werde. Plötzlich schießt Klar, Ponto wird von fünf Schüssen getroffen. Später sagt Albrecht im Prozess als Kronzeugin aus, sie könne sich nicht erklären, warum Klar geschossen habe. Ponto habe sich nicht gewehrt. Klar sei wohl durchgedreht, vielleicht weil er glaubte, Ponto würde Mohnhaupt angreifen.

Die drei Terroristen fliehen Hals über Kopf aus der Villa und rasen in dem von Book gesteuerten Fluchtauto davon. Ponto wird in die Frankfurter Uni-Klinik eingeliefert, wo er zwei Stunden nach der Tat stirbt. Der Ford Granada wird zwei Tage später in Frankfurt gefunden. Im Hochhaus Südring 3a in Hattersheim hatten Täter eine konspirative Wohnung gemietet. Dies gilt als weiteres Indiz, dass eine Entführung und nicht die Ermordung Pontos geplant war.

Haupttäter 1982 verhaftet

Über eine schwere Panne im Zuge der Ermittlungen berichtete diese Zeitung am 3. August: Der SPD-Bundestagsabgeordnete Axel Wernitz erklärte in der »Bild«-Zeitung, dass das für alle Terroraktivitäten zuständige Bundeskriminalamt erst viereinhalb Stunden nach den Schüssen von der hessischen Polizei über den Vorfall informiert wurde. »Bis 21.30 Uhr wurde nur nach Mördern gefahndet, nicht nach Terroristen«, so Wernitz damals. Das Entsetzen und die Empörung in der Bevölkerung über die Bluttat sind groß, umso mehr, als Ponto durch eine nahe Bekannte in die tödliche Falle gelockt wurde. Mit einem Trauermarsch durch die Frankfurter Innenstadt drücken am 4.

August rund 4000 Menschen – darunter auch viele von Pontos Kolleginnen und Kollegen – ihre Betroffenheit aus. Die Trauerfeier mit 900 Gästen findet am 5. August in der Frankfurter Paulskirche statt. Ponto wird auf dem alten Waldfriedhof von Sensbachtal (Odenwald) bestattet. In Oberursel ist auf dem Rathausplatz ein Brunnen und in der Frankfurter Innenstadt ein Platz nach Ponto benannt.

1982 werden Klar und Mohnhaupt verhaftet. Klar ist an den meisten der RAF-Anschläge und Überfälle zwischen 1977 und 1982 beteiligt. Er erhält wegen gemeinschaftlich verübten mehrfachen Mordes eine lebenslange Freiheitsstrafe. Mohnhaupt wird wegen neunfachen Mordes und mehrfachen Mordversuchs zu fünfmal lebenslanger Freiheitsstrafe und zusätzlich 15 Jahren verurteilt. Auch Boock, der sich ein Jahr vor seiner Verhaftung 1981 von der RAF lossagte, erhält lebenslänglich. Boock ist seit 1998 wieder auf freiem Fuß Mohnhaupt wurde 2007 aus der Haft entlassen. Klar ist seit 2008 wieder in Freiheit.

Keine Versöhnung

Susanne Albrecht kann sich absetzen. Von 1980 bis 1990 lebt sie unter anderen Namen als RAF-Aussteigerin in der DDR. Nach ihrer Enttarnung im Juni 1990 wird sie 1991 zu einer zwölfjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. 1996 wird ihre Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt. Danach arbeitet sie als Deutschlehrerin für Migrantenkinder bei einem freien Träger.

Ignes Ponto zieht nach dem Mord an ihrem Mann mit ihren Kindern Stefan und Corinna in die Vereinigten Staaten. 2011 veröffentlichen Susanne Albrechts Schwester Julia und Corinna Ponto gemeinsam das Buch »Patentöchter«, das sich mit den Traumata der Familien Albrecht und Ponto durch die Ermordung des Bankiers beschäftigt.

Stefan Ponto bezeichnete dies im »Spiegel«-Interview 2014 als »unerträgliches Buch«, das den Mord an seinem Vater verharmlose. Sein Verhältnis zu seiner Mutter und Schwester sei »nicht reparabel«.

Jürgen Ponto wird am 30. Juli 1977 in seiner Villa in Oberursel (r.) von RAF-Terroristen ermordet. Mit einem Schweigemarsch durch die Frankfurter Innenstadt gedenken etwa 4000 Menschen des Vorstandssprechers der Dresdner Bank.

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